Kopfüber

Über Brunswiek Helau: Unser Kolumnist beobachtet, wie sein Freund von einem DJ-Ötzi-Double mit einer Frikadelle beworfen wird

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 26.03.2023
Über Brunswiek Helau: Unser Kolumnist beobachtet, wie sein Freund von einem DJ-Ötzi-Double mit einer Frikadelle beworfen wird

Brunswiek Helau! Der Braunschweiger Karneval ist nichts für Zartbesaitete. Neben den üblichen Nebenwirkungen des Alkoholkonsums besteht die Gefahr, von einem Fleischball getroffen zu werden.

Foto: Adobe Stock

Es ist Sonntag. Karnevalssonntag. Ich blicke mit einem zugekniffenen Auge aus dem Fenster; gelb scheinen die Sonnenstrahlen auf die Gründerzeit-Fassade gegenüber. Ich greife nach links, fühle die Packung und zerkaue eine Kopfschmerztablette, auf dem Geburtstag gestern gab‘s Moscow Mule. Mittags blinkt mein Telefon auf: „Komm ran jetzt!“ Meine Freunde hauen sich schon vormittags einen rein. Für ein paar Sekunden verharre ich ohne Regung unter meiner Flanellbettdecke. Dann springe ich mit der Zahnbürste und Aronal im Mund unter die Dusche.

In Braunschweig heißt der Karneval eleganterweise Schoduvel. Das kommt, so sagt man, vom Mittelniederdeutschen und bedeutet so viel wie „Scheuch den Teufel“. Schoduvel. Das geht gut von der Zunge. Genauso wie Löwenstadt, Prinzenpark, Arkaden. Soll der größte Umzug Norddeutschlands sein, 300.000 Karnevalisten und Schaulustige werden erwartet, mehr als 120 skurrile, groteske und bizarre Wagen. Auch Stephan Weil, unser gewählter Landesvater, hat sich angekündigt.

Als ich an der Küchenstraße auf meine Freunde und Bekannte treffe, sind diese bereits in fabelhafter Laune: rosa Häschen, eine Piratin mit Säbel, eine selbsternannte sexy Nonne, ein bisschen Schminke hier, dort Katzenohren. Zur Begrüßung werde ich von einem Bekannten auf den Mund geküsst. Einen ersten ekligen, milchigen Likör kann ich erfolgreich abwehren.

Der Umzug ist nun in vollem Gange. Wagen für Wagen schleppt sich an uns vorbei, als wir am völlig überlaufenen Hagenmarkt stehen. Neben uns ein beachtliches Gemeinschaftskostüm von acht Männern – sie gehen als Wolters-Conti mit dunkel geschminkten Gesichtern, statt Blackfacing nun also Bierfacing, was wirklich zeitgemäß ist. Das bringt auch mich richtiggehend in Laune.

Die Katze reicht mir den Sekt halbtrocken, danach kaufe ich ein Bier und noch eines. Vielleicht doch mal gucken, was der milchige Likör so kann. Wir korrespondieren gut miteinander.

Und dann sehe ich ihn, Stephan Weil, ein Leuchten in den Augen, Narrenkappe auf dem Kopf, 10 Jahre Ministerpräsident, unser Karneweil. Die Masse jubelt, eine junge Frau ruft „Stephan, ich liebe Dich!“, atemloses Gelächter, schnell noch einen Sekt. Dann ein Wagen mit DJ-Ötzi-Double, von oben wirft jemand meinem Häschen-Freund eine Frikadelle an den Kopf – wortwörtlich nicht zu fassen.

Vorbei an einem See aus Pisse und den Boxen, aus denen der Malle-Hit „Der Zug hat keine Bremse“ dröhnt, und den Super Marios und dem Indiana Jones und der jungen Frau mit den aufgespritzten Lippen, wo ich nicht genau weiß, ob das jetzt Teil der Verkleidung ist, und zertretenen Bierflaschen und geworfenen Kondomen wechseln wir in die Disco Dax.

Es scheint so, als wäre ich der einzige ohne Verkleidung. Um diesem sozialen Druck standhalten zu können, schnell noch zwei, drei Bier. Die Mucke wummst, mir geht‘s gut, alle anderen sind total am Ende. Ich sehe einige Gifhorner Fußballspieler, die Nonne knutscht in einer Ecke rum, ein Typ mit Platzwunde wird aus dem Laden begleitet, das Bukett von Urin und Magensäure liegt in der Luft. Sodom und Gomorra, Babylon Braunschweig. Eine Bekannte legt sich mit glasigen Augen auf meine Schulter und flüstert fragend in mein Ohr, ob sie nach Kotze riecht. Verwesungsmoleküle tanzen durch die Luft. Ich bejahe.

Am nächsten Morgen schaue ich aufs Telefon, drei Nachrichten erreichten mich um 5.57 Uhr:

„ich weiß nichts mehr

habe mein Handy aus der Oker gefischt

im Februar schon die Story des Jahres“

Brunswiek Helau!, denke ich. Dass uns das alles nicht peinlich ist.

KURT-Kolumnist Malte Schönfeld schreibt die monatliche Kolumne „Kopfüber“. Leserbriefe gern an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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