Kopfüber

Es gibt keine Erlöser in dieser Welt: Unser Kolumnist Malte Schönfeld denkt über Therapieplätze und Life Coaches nach

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 06.04.2025
Es gibt keine Erlöser in dieser Welt: Unser Kolumnist Malte Schönfeld denkt über Therapieplätze und Life Coaches nach

Aufgepeitscht und um keinen unterkomplexen Lösungsansatz verlegen, ziehen manche Lifecoaches ihren Kunden das Geld aus der Tasche. In „Kopfüber“ kritisiert Malte Schönfeld diese frechen Marketingstrategien.

Foto: Illustration: KURT Media via Dall-E

Es kann verdammt schwierig sein, sich in dieser Welt zurechtzufinden. Wir wissen, dass beides eine Belastung ist – alles machen zu können, und nichts. Etwas aufzubauen, was in sich Sinn trägt und überdauert, ist gar nicht so leicht. Für den einen sind es der sichere Job, das gebaute Haus und die gesunde Familie. Andere möchten ungebunden, solitär und unterwegs sein. Doch allein herauszufinden, was genau jetzt der eigene Verwendungszweck ist – das ist wohl die Mühsal.

Einem guten Freund von mir geht es gerade nicht gut. Wie viele meiner Freunde zuvor steckt er tief in einer Depression. Warum die Krankheit gerade in diesen Tagen ihre unheimliche, dunkle Anziehungskraft ausspielt, das ist abschließend nicht wirklich zu klären.

Auch wenn es kein Depressionsgen zu geben scheint, müssen wir unserer biologischen Vorprägung Aufmerksamkeit schenken; außerdem wissen wir, dass Depressionen sich in Familien häufen können. Sozialer Druck spielt eine Rolle, die immer weiter tickende Uhr, das nie enden dürfende Wachstum im Kapitalismus. Traumata. Natürlich Armut. Und manchmal ist es auch einfach nur eine Fehlregulation der Neurotransmitter, ein biochemischer Mangel, der eine totale Ermattung befördert. Wir sind angreifbar und fast schutzlos, wenn sich die Verfassung so roh offenbart.

Und gleichzeitig fehlen zehntausende Psychotherapeuten – auch in Gifhorn – für eine angemessene Versorgung. Schuld sind die aberwitzige Finanzierung der Weiterbildung nach dem Studium und die veraltete Bedarfsplanung, die zu wenig Kassenzulassungen vergibt.

In der Not ist der Mensch – wie übrigens im Krieg auch – zu allem fähig. Und er ist so verwundbar, dass sein kritisches Bewusstsein getrübt ist. Seine Entscheidungen trifft er dann irrational und zutiefst widersprüchlich.

Life Coaches bewegen sich, auch in Gifhorn, in einem Graubereich zwischen Motivation, Persönlichkeitsentwicklung und fragwürdigen Heilsversprechen. Jeder kann sich Life Coach nennen. Während einige seriöse Coaches Praktiken zur Selbstorganisation lehren, gibt es auch Herden schwarzer Schafe.

Viele Life Coaches arbeiten mit manipulativen Marketingstrategien. Sie versprechen einen Durchbruch, wenn man doch nur genug an sich arbeiten würde, und verschweigen dabei die krankmachende Struktur dahinter. Der Durchbruch soll immer nur ein Seminar weit entfernt sein, diese spülen dem Life Coach zehntausende Euros aufs Konto. Preise, die nicht selten als sittenwidrig verurteilt werden. Hilfebedürftige, die vermutlich eher eine Psychotherapie oder Schuldnerberatung bräuchten, werden in ein endloses System aus immer neuen „Weiterbildungen“ gelockt. Eine Schuldumkehr entsteht: Wieso geht es mir nicht besser, wenn ich doch so viel an mir arbeite?

Wenn man in einer Sinnkrise steckt, ist es verlockend, einem Life Coach zu vertrauen, der sich als starker, allwissender Erlöser inszeniert. Doch Erlöser gibt es nicht in dieser Welt.

Jedes Mal, wenn der Staat als Grundversorger versagt, profitiert davon am Ende eine Person, die ihr Eigeninteressse über das der Gemeinschaft stellt. Die Verlagerung von systemischen Problemen auf die individuelle Verantwortung ist der Zyklus, den wir durchbrechen müssen.


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