Letzte Lebenszeit

Gifhorns Ort der Ruhe für die letzte Lebenszeit: Im Hospizhaus an der Lindenstraße wird den sterbenden Gästen jeder Wunsch erfüllt

Marieke Eichner Veröffentlicht am 21.02.2023
Gifhorns Ort der Ruhe für die letzte Lebenszeit: Im Hospizhaus an der Lindenstraße wird den sterbenden Gästen jeder Wunsch erfüllt

Andrea aus Schwülper (links) ist seit Anfang Dezember Gast im Hospizhaus Gifhorn. Seit acht Jahren hat sie die unheilbare Krankheit ALS. An ihrer Seite: die psychosoziale Begleiterin Petra Bachmann.

Foto: Michael Uhmeyer

Tod, Trauer und das Sterben gehören zum Leben dazu. Und darum gilt es, aus der Lebenszeit, wie lang sie auch sein mag, das Beste zu machen – auch wenn sie zu Ende geht. In der stationären Palliativbegleitung im Hospizhaus Gifhorn wird medizinisch, pflegerisch und psychosozial alles für ein Sterben ohne Leiden getan. Das umfasst nicht nur die Hospizgäste, sondern auch deren An- und Zugehörige. In insgesamt acht Zimmern plus zwei Angehörigenzimmern im ersten Stock können Erwachsene gastieren, im Erdgeschoss trifft man sich im Speiseraum, im Kaminzimmer, dem Spielzimmer für Kinder oder dem Andachtsraum. Ein helles, ein freundliches Haus – Besuchszeit: rund um die Uhr.

„Sprechen und Schlucken geht zum Glück noch“, sagt Andrea, während ihr Atemgerät ein leises Surren von sich gibt. Alle paar Sekunden bekommt sie über den Schlauch an ihrer Nase einen Stoß für tiefere Atmung. Denn Andrea hat seit acht Jahren ALS – amyotrophe Lateralsklerose. Eine nicht heilbare Krankheit, bei der die Muskulatur schleichend abbaut und der Körper immer schwächer wird.

„Bei mir fing‘s in den Beinen und Füßen an“, berichtet die 62-Jährige aus Schwülper und zeigt, wie sie mit beiden Händen den Labello vor sich auf dem Tisch greifen kann.

Seit Anfang Dezember wohnt sie im ersten Stock des neuen Hospizhauses in Gifhorn, früher versorgten ihr Mann und eine Palliativkrankenschwester sie zu Hause. Sich auf fremde Hilfe einzulassen, dass müsse man erst mal lernen – aber im Hospiz gefiele es ihr sehr gut. „Jeder Wunsch wird erfüllt, man muss es nur sagen“, betont Andrea und erzählt dann noch, wie zur Weihnachtszeit im Speiseraum im Erdgeschoss Musik für die Gäste und deren Angehörige gespielt wurde. „Mein Mann war noch tagelang begeistert!“

Neben Andrea sitzt Petra Bachmann, die psychosoziale Begleiterin im Hospiz für Gäste sowie An- und Zugehörige. Gemeinsam mit ihr hat Andrea abgewogen, ob sie ein Interview geben möchte, für ein Foto bereit sei. Aufgrund ihrer Krankheit hat sie nicht viel Kraft. Doch es ist ihr ein großes Anliegen, über ALS zu sprechen. „Die Krankheit ist wenig publik, es wird zwar geforscht, es gibt zwei Medikamente“, aber für mehr Forschung seien es wohl zu wenig Erkrankte.

Pfleger Maik Breitkopf bringt das Essen auch gern zu den Gästen aufs Zimmer. Manchmal backt das Personal Kuchen für alle. Man nimmt sich Zeit.

Foto: Michael Uhmeyer

Deutschlandweit leben 6000 bis 9000 Menschen mit ALS – die Zahlen schwanken je nach Quelle. „ALS kann genetisch sein – ist es bei uns aber Gott sei Dank nicht“, ergänzt Andrea. „Manchmal geht gar nichts. Bei manchen muss die Lunge abgesaugt werden. Das ist bisher an mir vorbeigegangen und ich hoffe, dass das so bleibt.“ Es sei zudem schwierig, bei ALS passendes Pflegepersonal zu finden, aber zum Glück habe das Gifhorner Hospiz gleich Ja gesagt.

„Wir helfen ganzheitlich“, erklärt Pflegedienstleiterin Katrin Böhme. Dazu gehören nicht nur die Pflege und die Medizin, sondern auch explizit die psychosoziale Begleitung der Gäste sowie auch deren An- und Zugehöriger. „Wir sind nicht nur zum Lindern von Symptomen da. Wir haben das Bestreben, der letzten Lebenszeit so viel Qualität wie möglich zu verschaffen.“ Ein Sterben ohne Leiden.

„Es geht uns darum, die Individualität jedes einzelnen Lebens bis zum Ende gestalten zu können“, ergänzt Bettina Tews-Harms, Leiterin des Hospizhauses. „Damit jeder Mensch bis zum Ende so leben kann, wie er es sich vorstellt.“ Darum sind Hospize klein, so kann auf alle Gäste bestmöglich eingegangen werden. So wie im Gifhorner Hospizhaus: Die acht Zimmer sind zurzeit alle belegt, doch zwei weitere wurden schon in der Bauphase als Reserve geplant. Die Anzahl der zugelassenen Zimmer richtet sich nach der Einwohnerzahl. „Momentan haben wir fünf Personen auf der Warteliste für einen Platz“, weiß Bettina Tews-Harms.

Im Gifhorner Hospizhaus haben die ambulante und stationäre Sterbebegleitung ihren Platz. Die Gästezimmer befinden sich im ersten Stock.

Foto: Michael Uhmeyer

Die Aufnahme wird ärztlich verordnet, wenn eine unheilbare Krankheit fortschreitet, das Lebensende absehbar ist und palliativ-pflegerische und -medizinische Betreuung nötig sind. Der Aufenthalt wird von den Krankenkassen bezahlt, trotzdem hat das Hospiz keine Vollfinanzierung vom Staat. „Es gibt eine Finanzierungslücke von fünf Prozent“, erklärt Bettina Tews-Harms. Das sind immerhin eine Viertelmillion Euro, die das Haus pro Jahr braucht. „Darum sind das Hospizhaus und die Hospizstiftung auf Spenden angewiesen.“ Auch über ehrenamtliches Engagement, etwa in der Gartenarbeit, freue man sich.

Die Hospizleiterin wünscht sich ein offenes Haus, in das sich Interessierte „rein trauen“, darum plant sie verschiedene Veranstaltungen für Gäste und die Öffentlichkeit. Vielleicht auch wieder einen Tag der offenen Tür.

„Man fühlt sich hier wirklich aufgehoben“, fügt eine Bewohnerin des Hospizhauses noch hinzu. „Es war eine sehr gute Entscheidung hierher zu kommen. Was die Küche macht, das Personal, die Pflege – ein Traum!“ Man nehme sich viel Zeit, es gebe keinen Druck beim Personal und jeder Wunsch werde sofort erfüllt. „Dass hier jeder stirbt, das ist klar – aber ich wünsche mir, dass es diese Häuser in dieser Weise für jeden Menschen gibt, der nicht mehr so lange hat.“

Hospizhaus Gifhorn
Lindenstraße 33, Gifhorn
info@hospizhausgifhorn.de
hospizhausgifhorn.de

Spendenkonto:
DE02 2695 1311 0162 4020 10


Coole Leute gesucht – wir stellen ein!

Informiere Dich über Jobs in unserem Medienhaus! Wir sind auf der Suche nach tollen Menschen, die bei uns einsteigen möchten.

Mehr erfahren