Land & Leute

Wut, Angst, Depressionen sind mögliche Folgen der Corona-Isolation - Gifhorner Experten geben Tipps für mentale Gesundheit

Sophie Isabell Bremer Veröffentlicht am 18.04.2020
Wut, Angst, Depressionen sind mögliche Folgen der Corona-Isolation - Gifhorner Experten geben Tipps für mentale Gesundheit

Die häusliche Isolation birgt Gefahren – Wut, Angst und Abgeschlagenheit sind mögliche Folgen des Kontaktverbots in Zeiten der Corona-Pandemie. Praktische Alltagstipps können jedoch dabei helfen, unsere mentale Gesundheit zu stärken.

Foto: Adobe Stock (Symbolfoto)

Keine Restaurantbesuche oder Konzerterlebnisse, der Verwandtenbesuch am Wochenende fällt aus und der geplante Filmabend mit dem Freundeskreis reduziert sich auf ein bescheidenes Treffen zu zweit – an unterschiedlichen Enden der Couch. Die Abstands- und Isolationsregeln während der Corona-Pandemie stellen uns vor eine besondere Herausforderung. Das öffentliche Leben ist zum Stillstand gekommen, alle sollen zu Hause zu bleiben. Doch wie ergeht es uns in dieser Isolation? Reagieren wir mit Wut, Angst oder Abgeschlagenheit? Vier Gifhorner Therapeutinnen und Therapeuten klären auf über die Folgen, welche die Isolation für uns alle hat. Sie geben praktische Alltagstipps, mit denen wir unsere mentale Gesundheit stärken können. Und nicht zuletzt geht es auch um mögliche Auswirkungen der Isolation auf Kinder und Jugendliche.

„In einer Krise haben Menschen das grundlegende Bedürfnis sich mit anderen zusammenzutun“, erklärt Karlheinz Lux (68). „Uns jetzt zu Hause abzuschotten widerspricht unserer menschlichen Natur.“ So werde die Isolation auf Dauer gewiss zum psychischen Kraftakt, vermutet der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut aus Meine. Doch etwas Positives habe die bundesweite Isolation: Wir sind nicht alleine! „Es besteht ein gemeinschaftliches Leiden, weil jeder einzelne von uns von den Maßnahmen betroffen ist.“ So seien, unter normalen Bedingungen, viele Menschen mit psychischen Problemen gerade dadurch gehandicapt, dass sie denken, sie stünden alleine da. „Die Regelungen während der Corona-Pandemie betreffen aber alle, wodurch das Problem für viele erträglicher wird“, stellt Karlheinz Lux fest.

„Es ist wichtig, Angst zuzulassen! Und den Verstand einzuschalten, um die Gefährdung realistisch einzuschätzen.“
Katharina Pöschel, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie aus Gifhorn

Foto: privat

Der Übergang von einem unbeschwerten Alltag zu einem eingeschränkten Leben unter strengen Regelungen ist kein leichter: Wir müssen uns neu organisieren, Eltern navigieren ihre Arbeit im Home-Office, während die Kinder im Nebenzimmer toben. Viele fühlen sich durch die neuen Regeln instinktiv eingeengt und machtlos. Lagerkoller und Grübeln drohen. Diese Emotionen seien aber ganz natürlich im Angesicht von Veränderungen, sagt Katharina Pöschel (56). „In der Psychologie nennen wir so eine Umstellung einen Anpassungsprozess“, erklärt die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie aus Gifhorn. Vor allem Angst ist eine menschliche Reaktion und mehr als angemessen in Zeiten der Corona-Pandemie – „sie kann sehr sinnvoll sein, damit wir uns auch an die neuen Regeln halten“. Daher sollten die eigenen Gefühle in der Krisenzeit nicht verdrängt werden: „Es ist wichtig, Angst zuzulassen!“, betont Katharina Pöschel. „Und den Verstand einzuschalten, um die Gefährdung realistisch einzuschätzen und die Angst nicht übermächtig und erdrückend werden zu lassen.“

Wut sei hingegen eine Vorstufe zum Deprimiertsein: „Oft werden Menschen auch wütend, weil sie nicht zulassen wollen, dass sie ängstlich sind. Dabei geht es um eine Abwehrhaltung“, so die Fachärztin. Dies könne zu Aggressionen führen – und sich in Streit in den eigenen vier Wänden entladen. Auch eine Zunahme häuslicher Gewalt sei leider nicht auszuschließen, erklärt Katharina Pöschel.

Während die Isolation eine hochemotionale Angelegenheit ist, sollten wir ihren tatsächlichen Nutzen nicht vergessen: Wir wollen die alten Menschen in unserer Gesellschaft und solche mit Vorerkrankungen schützen, das Sterberisiko im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus ist bei ihnen höher. „Sich diese Notwendigkeit der Isolation bewusst zu machen, ist besonders wichtig“, erklärt Maria Kalaitzi-Sigwarth. „Das gibt uns Energie, mit der ungewohnten Situation zurechtzukommen“, sagt die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin aus Gifhorn. Der Mensch ist von Natur aus in der Lage, mit einer Reihe von neuen und auch schmerzvollen Veränderungen umzugehen: „Tagtäglich müssen wir uns auf neue Dinge einstellen. Wie zum Beispiel auf eine neue Arbeitsstelle – oder den Verlust eines Jobs. Oder auch, im schlimmsten Fall, den Tod einer geliebten Person.“ Wenn das alles gelingt – warum sollten wir nicht auch mit einer Isolationsphase klarkommen? Um die Anpassung zu erleichtern, sollten wir zudem nicht stets von dem schlechtesten Zukunftsszenario der Corona-Pandemie ausgehen – das schüre unnötige Ängste, so Maria Kalaitzi-Sigwarth. Aber: „Wer dazu neigt, in dieser Situation ängstlich zu sein, sollte es auf keinen Fall in sich aufsaugen“, appelliert sie. „Es hilft, mit Vertrauenspersonen ganz offen über seine Ängste zu sprechen.“

„Der eingeschränkte Kontakt zu Freunden ist für Kinder ein großes Erschwernis. Jetzt sind die Eltern gefragt, ihnen Halt zu geben.“
Claudia Hunold-Meding, Kinder- und Jugendlichen-psychotherapeutin aus Rethen

Foto: privat

Während viele Menschen während der Corona-Pandemie mit angemessener Angst und natürlichen Gefühlen von Einengung reagieren, sind andere härter getroffen: Besonders labil seien laut Maria Kalaitzi-Sigwarth jene Personen, die ohnehin bereits mit Angststörungen und Zwangsstörungen zu kämpfen haben. Sie haben ein unnatürlich hohes Angstempfinden und reagieren sehr sensibel auf Impulse von außen, die auf mögliche Gefahren hinweisen. „Die Situation kann ihre Symptome verschlimmern“, berichtet Maria Kalaitzi-Sigwarth. So könnte eine zwangsgestörte Person auf irrationale Verhaltensweisen zurückfallen, wie zum Beispiel ein extremes Händewaschen – oft wird dieses ritualisiert und beispielsweise alle halbe Stunde wiederholt, ohne dass ein konkreter Grund wie eine Verunreinigung oder Außenkontakt vorliegt. Oder sie wollen das Haus gar nicht mehr verlassen – aus Angst jemanden anzustecken und schuld an dem Tod von Menschen zu sein. Für sie ist der Umgang mit der Corona-Pandemie eine erhebliche Herausforderung, da zu den normalen Sorgen sehr viele überbewertete, irrationale Ängste hinzukommen.

Nicht nur Erwachsene haben mit der veränderten Situation zu kämpfen, ganz besonders auch Kinder und Jugendliche. Schulen, Kindergärten und selbst Spielplätze sind geschlossen – die Kinder haben, neben vereinzelten Notgruppen, nur ihre eigenen Familien als Kontaktpersonen. „Der eingeschränkte Kontakt zu ihren Freundinnen und Freunden ist für die Kinder ein großes Erschwernis“, erklärt Claudia Hunold-Meding (68). Soziale Kontakte sind schließlich wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung: „Geschwisterbeziehungen sind nicht das Gleiche wie Freundschaften mit anderen Kindern, die sie lernen müssen zu halten“, sagt die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin aus Rethen.

Jetzt sind die Eltern gefragt, den Kindern Halt zu geben. „Gelingt dies nicht, kommt es vermehrt zu Spannungen in der Familie“, so Claudia Hunold-Meding. „Dabei ist die Vorerfahrung mit den Eltern entscheidend.“ Andersherum neigen die Kinder in Notsituationen dazu, sich um die eigenen Eltern zu sorgen und sich selbst zurückzunehmen. „Das kann negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung ihrer eigenen Bedürfnisse haben“, erklärt die Therapeutin. „Sie können nicht mehr über das, was sie selbst beschäftigt oder was sie sich selbst wünschen, sprechen. Womöglich entwickeln die Kinder ein Falsches Selbst – das heißt, sie würden zum Beispiel versuchen für ihre Eltern so etwas wie Mama oder Papa zu sein.“

Die Eltern sollten die Lage so neutral wie möglich erklären, rät Claudia Hunold-Meding – „sie nicht katastrophisieren, aber auch keine Schuldzuweisung aussprechen“. Gibt es finanzielle Sorgen etwa durch den Verlust eines Arbeitsplatzes, sollten Eltern dies nicht an ihre Kinder herantragen, sondern mit Partner, Partnerin oder Freunden darüber reden – „um sie nicht zu belasten“. Wiederum sollten Sorgen in der Familie nicht geleugnet werden, da der Nachwuchs eine negative Laune ohnehin aufspürt. Denn: „Kinder beobachten ihre Eltern den ganzen Tag über“, erklärt Claudia Hunold-Meding.

Die Kinder müssen selbstverständlich über ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse reden können – und Eltern müssen ihnen das möglich machen. „Daher sollten sich Eltern jetzt bewusst auf sie einlassen“, empfiehlt die Therapeutin aus Rethen. „Sie fragen, was sie machen wollen und sich mit ihnen beschäftigen.“ Bei gutem Wetter ist ein Familienausflug in den Park eine schöne Option. Gemeinsame Mahlzeiten und Spieleabende sind außerdem gute Möglichkeiten, das Zusammenleben angenehm zu gestalten.

Die Abstands- und Isolationsregeln während der Corona-Pandemie betreffen letztlich jeden von uns. Ist davon auszugehen, dass sie eine prägnante Auswirkung auf die Gesellschaft haben werden – besonders, wenn sie über viele Monate anhalten sollten? Die vier Psychotherapeuten sind sich einig: So was sei noch für niemanden absehbar. Und Karlheinz Lux merkt an: „Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie keinen Effekt haben würden...“


Coole Leute gesucht – wir stellen ein!

Informiere Dich über Jobs in unserem Medienhaus! Wir sind auf der Suche nach tollen Menschen, die bei uns einsteigen möchten.

Mehr erfahren