Kopfüber-Kolumne

Über das Leben in der Pandemie

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 15.05.2020
Über das Leben in der Pandemie

Liebes Tagebuch...

Foto: Ketut Subiyanto von Pexels

  1. April: Erster Eintrag im Corona-Tagebuch. Mildes Wetter, ganz angenehm, sonnig. Überlege, zur körperlichen Ertüchtigung eine Jogging-Einheit um den See zu machen. Um nicht shutdownfett zu werden. Entscheide mich dann aber dafür, lieber einen Brokkoli-Nudel-Auflauf zu machen.

  2. April: Geburtstag Adolf Hitlers. Muss ich nach dem Aufstehen als erstes dran denken. Dann an meinen Lieblingssatz von ihm: „Es gibt nichts Schöneres als Gartenwirtschaft.“ Wäre er mal bei den Blumen und den Kräutern geblieben. Dann ist auch noch 4/20, also Tag des Kiffens. Vertrete mir im nahegelegenen Park die Füße und sehe viele Pärchen, die sich beim Spaziergang gegenseitig einen Joint anreichen. Cannabis soll ja Krebszellen töten. Vielleicht hätte Hitler besser kiffen sollen. Selbstauflösung.

  3. April: Komme ganz gut aus dem Bett, direkt ab unter die Dusche. Beim Bäcker schläft die Bedienung erstaunlicherweise im Stehen ein, und ich komme nicht umhin, die Klingel auf dem Tresen zu nutzen. Schlafen am Arbeitsplatz. Den Leuten ist mittlerweile alles egal.

  4. April: Geburtstag meines Mitbewohners. Sekt und Bier am Nachmittag, abends zu viert vor den Schlossarkaden. Cornern nennt sich das. Die Sonne steht noch extrem hoch, keine Wolke ist zu sehen. Dafür sechs Polizeibusse. Die Beamten fordern unsere Personalausweise an, um zu kontrollieren, ob wir auch wirklich in einem Haushalt wohnen. Kurzes Funkgespräch in die Zentrale, dann die Bestätigung: Wohnen wir. Mit einem breiten Michael-Schumacher-Siegerlächeln wünschen wir den Aufpassern noch einen schönen Abend, als sie uns die Ausweise zurückgeben. Sind kurz davor, eine Champagnerdusche anzustiften. Monza, oh, Monza.

  5. April: Tagsüber Textproduktion und Recherche. Schaue mir die Videos eines Profs an. Es wundert mich nicht, dass sich sein Auftreten von einem herkömmlichen Seminar überhaupt nicht unterscheidet. Leiernde Stimme, Humorlosigkeit, Charisma-Vakuum. Ich frage mich immer wieder, wie solche Leute es schaffen. Überhaupt schaffen. Durchs Leben. Wissen alles über Kant, Nietzsche und Heidegger. Trotzdem in ihren Augen eine ratlose Traurigkeit. Mut macht das nicht gerade.

  6. April: Kaufe mir mal wieder eine Cola Light. Befriedigt mich gar nicht.

  7. April: Habe übrigens seit drei Wochen mein Nasenspray abgesetzt. Vielleicht bin ich deswegen so unentspannt. Schlaf mit Unterbrechungen. In einem Traum erklärt mir Uschi Glas, wie man sich Küsschen rechts, Küsschen links gibt. „Man küsst dabei nicht wirklich“, sagt sie. „Nur die Wangen berühren sich.“ Achso, wusst‘ ich noch gar nicht.

  8. April: Lese früh morgens einen Artikel mit der Überschrift: „Seelsorgetelefon in Corona-Zeiten: Sollen wir beim Sex jetzt Mundschutz verwenden?“ Kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das unsere Probleme sind. Abends bereite ich eine Weißkohl-Pfanne mit Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer und vegetarischem Hack zu. Schmeckt wahnsinnig lasch. Habe jetzt noch ein Kilo Weißkohl im Kühlschrank, mit dem ich nichts anzufangen weiß.

  9. April: Es steht – mal wieder – fest, dass das der heißeste April seit Wetteraufzeichnung ist. Lege mich nur in Badehose auf den Balkon, um mir einen Teint zuzulegen. Höre dabei ein Podcast-Interview mit Modeschöpfer Wolfgang Joop, der auf die Frage, ob er Angst habe, antwortet: „Ich habe immer Angst.“ Beschäftigt mich noch Tage später.

  10. April: Treffe beim Supermarkt-Einkauf einen ehemaligen Mitschüler wieder. Er verfällt direkt in hohle Phrasendrescherei, die in dem Vorschlag gipfelt, dass wir uns ja unbedingt mal wieder sehen müssten, wenn das mit Corona alles vorbei ist. Garantiert, Marcel. Konnte dich noch nie ausstehen. Färbe mir abends mit einer Freundin die Haare rosa. Ergebnis: nicht der Rede wert.

  11. April: Hätte mal wieder Lust, ein Fußballspiel des SSV Kästorf zu schauen. Saftiger Rasen, betrunken-pöbelnde Rentner, der Geruch von Bratwurst und Senf. Nirgendwo wird so ehrlich rumgebrüllt wie beim Sport. Ich vermute, dass nach Corona die Ära des Schreiens beginnt.

  12. April: Früh auf, direkt unter die Dusche, frühstücke mattes Roggenbrot mit indischer Streichcreme, Gurke und Tomaten. Erster Blick aufs Handy, Nachricht von einer Freundin um 4.32 Uhr: „Malte ich glaub wir müssen bald mal reden“.


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