KURT vor Ort

Riecht ja gar nicht muffig! Wie ich zum ersten Mal in einem Sarg lag

Marieke Eichner Veröffentlicht am 30.08.2020
Riecht ja gar nicht muffig! Wie ich zum ersten Mal in einem Sarg lag

"Erstaunlich geräumig hier drin.“ Marieke Eichner im Selbstversuch.

Foto: Çağla Canıdar

Ich bin baff. Erstaunlich geräumig hier drin – die üblichen weißen Polster fehlen ja auch. Damit wäre die Bewegungsfreiheit dann schon eingeschränkt, aber die allermeisten Leichen liegen ja still im Sarg.

So, jetzt mal ausstrecken und gucken, ob‘s passt. Ich lehne mich zurück, falte die Hände auf dem Bauch und schließe die Augen. Typische Beerdigungspose. So liege ich auch immer auf dem Sofa, wenn ich zu viel gegessen hab – Hände über der Plauze verschränkt. Ein Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.

Die Sonne kitzelt auf meinen Wangen und immer noch habe ich den schönen Geruch von warmem unbehandelten Holz in der Nase. Hier im Sarg ist er noch intensiver als im Fond des Leichenwagens, den ich schon inspiziert habe.

Es riecht dort wie im Wohnmobil meiner Großeltern – nach altem 80er-Jahre-Auto. Von irgendwoher warf mir mein Unterbewusstsein sofort das diffuse Gefühl von kindlicher Sicherheit und Zu-Hause-Sein ins Bewusstsein. Ich fragte mich kurz, ob ich das seltsam finden sollte – doch dann überwog wieder die Neugier.

Das Auto gehört dem Leichenwagensammler Peter M. Heimann aus Gifhorn. Und als der die Hecktür seines Mercedes Typ 124 VF öffnete, schlug mir der Duft nach Holz und ein Schwall warmer Luft entgegen.

Da lag er, der Sarg. Ich war mir dann doch unsicher: Trau ich mich nun oder trau ich mich nicht? Ich hatte mir fest vorgenommen, zu fragen. Na los, im schlimmsten Fall findet er Dich seltsam – und der Mann sammelt immerhin Leichenwagen. Also: „Darf ich mal Probe liegen?“ Peter guckte einen Moment lang überrascht – dann: „Na klar!“

Und da lieg ich nun. Ich blinzle. Meine Füße ragen über die Kante des Sarges. Papa hatte recht, ich hab echt Quadratlatschen. Sagt man nicht, die würden ein Leben lang weiterwachsen? Brauche ich vielleicht einen Sarg in Extra-Größe für meine Riesenfüße? Ist das dann überhaupt noch mein Problem? Sind das die richtigen Fragen, wenn man zum ersten Mal in einem Sarg liegt?

Sollte ich mir nicht lieber seriöse Gedanken machen? Über die Vergänglichkeit allen Seins? Über die unbegreifliche, weil übermenschlich komplexe Wahrheit, dass wir allesamt aus dem Nichts kommen und irgendwann auch wieder ins Nichts gehen werden? Und dass wir uns die Zeit dazwischen nicht entgehen lassen sollten?

Ich öffne die Augen. „Die Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen“, sage ich zu Peter. Im Nachhinein betrachtet eine ungeplante Anspielung auf meine ohne Zweifel bahnbrechende philosophische Sarg-Erkenntnis: Carpe Diem. Oder ganz viral formuliert: Yolo.

Ich richte mich wieder auf. „Dein Hintern ist dreckig“, lacht unsere KURT-Fotografin – und ich klopfe mir den Holzstaub aus der Jeans. Das war‘s wert.


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