Engagement

Ich hatte Angst vor Langeweile – ein Irrglaube: Annette Redeker erhält den Gifhorner Hut für ihr Engagement um die Aufklärung jüdischer Geschichte

Mia Anna Elisabeth Timmer Veröffentlicht am 30.12.2023
Ich hatte Angst vor Langeweile – ein Irrglaube: Annette Redeker erhält den Gifhorner Hut für ihr Engagement um die Aufklärung jüdischer Geschichte

Mit Hummel ist Annette Redeker regelmäßig unterwegs. Am liebsten spaziert sie in der Natur an der Oker.

Foto: Mia Anna Elisabeth Timmer

„Als die Laudatorin fragte, was ich so mache, da konnte ich selbst gar nicht alles aufzählen“, lacht Annette Redeker (62), die nun auch zu den Gifhorner Hutträgern gehört – eine besondere Auszeichnung für vorbildliche, umfangreiche ehrenamtliche Tätigkeit in Stadt und Landkreis Gifhorn. Was genau es mit ihrem Herzensanliegen auf sich hat – der museumspädagogischen Arbeit sowie der historischen Aufarbeitung und Aufklärung rund um den Jüdischen Friedhof in Gifhorn – erklärt sie KURT bei einem Spaziergang durch den Wald in ihrer Wahlheimat im Westen unseres Landkreises.

„Komm, wir fahren an die Oker – da bin ich gern“, bittet Annette Redeker freundlich vor dem Interview. Das ist einer ihrer Lieblingsplätze und die Route, die sie mit Hund Hummel langspaziert. „Hummel, los, hier entlang“, treibt sie ihre Jagdhündin in die passende Richtung. „Ich weiß, gar nicht, wo ich anfangen soll“, überlegt die neue Hutträgerin, und führt mit konzentriertem Blick fort: „Geplant war‘s auch nie, dass ich so viel mache. Das ist einfach so passiert.“ Noch sind wir auf weitem Feld, bald geht’s in den Wald – doch zuvor noch eine Pause am Wasser. Annettes Jagdhündin wird ganz energisch. „Eigentlich kennt sie ja die Richtung, aber bei diesem Wetter und dem Fluss voraus wird sie ganz aufgeregt – Hummel, hier.“

Es geht weiter – nun ist Platz durchzuschlüpfen und es führt ein enger Weg durch den Wald. Hummel versucht loszulaufen, Stöcker knirschen unter den Pfötchen, Annette hält sie ruhig und sicher an der Leine – sie beginnt zu erzählen: „Angefangen hat alles gegen 1999/2000, glaube ich.“ Damals machte sie ein Volkshochschulkurs für Kultur und Landwirtschaft – wer den absolvierte, der war daraufhin Kultur- und Landwirtschaftsführer. „Ich dachte, ich könnte Langeweile bekommen – ein Irrglaube.“ Zu Beginn wurde wohl versprochen, dass Leute ausgewählt würden, um Führungen in Gifhorn zu leiten. „Und dann wollte ich natürlich auch ausgewählt werden.“

Also fing Annette mit ihren Führungen an: durch die Heide, den Wald, die Stadt, für Kinder, Sprichwörterführungen gemeinsam mit einer Kollegin und und und... Quasi so, wie sie nun gerade durch ihren Wald bei Seershausen führt. „Und ich überlege mir gerne Neues.“ Nicht zu vergessen ihre Führungen durch das Historische Museum Schloss Gifhorn – die sie zu weiteren ehrenamtlichen Tätigkeiten brachte. „Alles nahm eben so seinen Lauf.“ Etliche Schulklassen begleitete sie bereits durch das Museum – und so durch die Gifhorner Historie. „Ich freue mich sehr, wenn ich Schülern die Geschichte nahebringen kann“, erklärt Annette mit einem breiten, stolzen Lächeln.

Im Jahr 2014 stand die 100-Jahr-Feier des Museums im Gifhorner Schloss an. Natürlich war Annette involviert, schließlich arbeitete sie dort schon seit geraumer Zeit ehrenamtlich mit. Bei der Recherche, wie das Museum entstand, stieß Annette auf den Gifhorner Ehrenbürger Alexander Menke – ein Jude, der sich maßgeblich an der kulturellen Entwicklung unserer Stadt beteiligte. Durch seine Initiative schmückt das Historische Museum Schloss Gifhorn unsere Stadt. „Und auch der Apfelsinenball verdankt Menke seinen Namen, der die damals noch sehr exotischen Orangen zum Tanzvergnügen des Schützenvereins spendete“, berichtet Annette.

Regelmäßig führt Annette Redeker über den Jüdischen Friedhof in Gifhorn. „Es macht mir Spaß, wenn mir jemand zuhört“, sagt sie.

Foto: Archiv

Ihr Interesse war geweckt – schon hielt sie einen Vortrag zur Familie Menke und damit zusammenhängend über den Jüdischen Friedhof in Gifhorn. „Auch das passierte einfach so“, schmunzelt Annette. Und mittlerweile: „Wenn es Anfragen zur Geschichte der Juden in Gifhorn gibt, landen die in der Regel bei mir.“ Etwa gab es zu dem Thema 2017 eine Ausstellung im Schlossmuseum. Führungen über den Jüdischen Friedhof leitet sie bis heute.

Außerdem gehört sie zur Arbeitsgruppe, die sich um die Stolpersteine kümmert – seit 2021 wird das Projekt von Künstler Gunter Demnig auch in Gifhorn gefördert. „Das bedeutet mir sehr viel“, verrät Annette, während der Boden unter den Füßen matschiger wird und der Wald zunehmend dichter. Das hält sie nicht auf. „Mein Interesse kommt aus dem Historischen – das hat keinen religiösen Hintergrund. Das ergibt auch Sinn: Die Juden wollten immer einfach nur Teil von Gifhorn sein.“

Natürlich arbeitete sie an historischen Veröffentlichungen des Stadtarchivs mit – wie Band 2 der Schriftenreihe: „Der Jüdische Friedhof in Gifhorn – Geschichte, Dokumentation, Spurensuche“. Seit 2019 ist sie mit großem Zeitaufwand ehrenamtliche Mitarbeiterin im Stadtarchiv. „Das eine zieht das andere auch nach“, meint Annette. Und sie hält auch zahlreiche Vorträge. „Vorher bin ich immer aufgeregt. Aber sobald ich auf der Bühne bin, ist alles gut. Ich behaupte sogar: Man muss aufgeregt sein.“

Das Gestrüpp öffnet sich, hier geht‘s steil runter zur Oker. Erkennbar ist auch ein Stückchen von Seershausen, wo Annette mit ihrem Mann Burkhardt wohnt: „Vor 32 Jahren sind wir aus Dortmund hergezogen. 94 haben wir hier unser Haus gebaut. Hier fühle ich mich beheimatet.“ Auch im Schützenverein Meinersen ist sie Mitglied, wurde im Jahr 2002 sogar Damenkönigin.

„Wir sind da“, schließt sie den Spaziergang und die Erzählung von ihrem Werdegang. „Ich glaub, wir sind durch, das hat ja zeitlich perfekt gepasst“, freut sie sich. Hummel zeigt sich genauso zufrieden wie das Frauchen. „Ach, das hätte ich glatt vergessen: Etwa zehn Jahre lang leitete ich das Vormittagskolleg“, entspringt es Annette Redeker. „Ich sag doch, das war so vieles, ich vergesse es fast...“

Vorbildlich, ehrenamtlich, hütlich

Annette Redeker wurde in den illustren Kreis der Gifhorner Hutträgerschaft aufgenommen.

Foto: Michael Uhmeyer

Kultur- und Landschaftsführerin, ehrenamtliche Mitarbeiterin im Historischen Museum Schloss Gifhorn, ehrenamtliche Mitarbeiterin im Gifhorner Stadtarchiv, Mitarbeit an der Aufklärung der jüdischen Geschichte in Gifhorn und Dozentin in der Erwachsenenbildung an der Kreisvolkshochschule – all das macht Annette Redeker aus Seershausen, und dafür wurde sie jetzt in den illustren Kreis der Gifhorner Hutträgerschaft aufgenommen.

„Mit der ehrenvollen Auszeichnung Gifhorner Hut ehren wir diesmal eine Persönlichkeit für ihre vorbildlichen, umfangreichen ehrenamtlichen Tätigkeiten in Gifhorn und im Landkreis Gifhorn“, verkündete Ursula Brüns in ihrer Laudatio – und so wurde Annette Redeker im Eiskeller der Gifhorner Hut aufgesetzt

Begonnen wurde die Tradition übrigens 1983 von Wolfgang Braun. Nahezu jedes Jahr wird seitdem eine weitere Person für besonderes Engagement in Stadt und Landkreis Gifhorn ausgezeichnet.


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