Kopfüber

Ich fühle mich nicht ernst genommen: In seiner Kolumne ärgert sich KURT-Redaktionsleiter Malte Schönfeld über die roboterhafte Sprache in der Politik

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 22.02.2025
Ich fühle mich nicht ernst genommen: In seiner Kolumne ärgert sich KURT-Redaktionsleiter Malte Schönfeld über die roboterhafte Sprache in der Politik

„Die Sprache der Politik ist seltsam geworden. Menschen werden gar nicht menschlich angesprochen“, findet Malte Schönfeld in seiner Kolumne „Kopfüber“. Der KURT-Redaktionsleiter hofft auf mehr Verve, Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit.

Foto: KURT Media via Dall-E

Wenn am Abend des 23. Februar die Stimmzettel ausgezählt werden, wird wohl schon ziemlich viel Klarheit über die nächste Regierung herrschen. Besiegelt ist schon jetzt, was die Kanzler- und Spitzenkandidatinnen und Kandidaten auf den Wahlpartys sagen werden.

Der Gewinner: „Wir haben einen Wählerauftrag bekommen.“ Oder: „Wir werden ernste Gespräche mit allen demokratischen Parteien führen.“

Die Verlierer: „Das ist ein schwarzer Tag für unsere Partei.“ Oder: „Wir können jetzt nicht einfach wieder zum Tagesgeschäft übergehen.“

Mit diesen und vielen weiteren Floskeln lässt sich astrein das Bullshit-Bingo spielen. Schon 2008 hielt ein Bürger vor der US-Wahl fest, dass seine Frau bei der Rede des republikanischen Kandidaten John McCain ein Bingo der vorher gewählten und in ein Kastenfeld eingetragenen Schlagbegriffe erzielte – 25 Minuten nach Beginn der 90-minütigen Debatte. Pfiffige Beobachter sammelten seitdem Bullshit-Bingos nicht nur zum Wahlsonntag, sondern auch zur Klimakatastrophe, für den verhassten Montag und über Einzelkinder.

Die Sprache der Politik ist seltsam geworden. Polit-Talkshows sind ein bloßes Abspulen von auswendig gelernten Stichpunkten, Debatten zum Schein, statt ein kluges Argumentieren in der Arena. Menschen werden gar nicht menschlich angesprochen. Politiker sprechen beinahe ausnahmslos wie Roboter.

Ich fühle mich nicht ernst genommen. Auch nach vier Jahren Auslandssemester kann mir Annalena Baerbock noch immer nicht überzeugend erklären, was sie sich unter feministischer Außenpolitik vorstellt. Ich muss mittlerweile davon ausgehen, dass es nur eine Nebelkerze ist. Und die FDP-Politiker schwören uns in Fragen der Wirtschaft immerzu darauf ein, technologie- und ergebnisoffen zu bleiben. Klingt für mich inzwischen nach Verantwortungsabgabe und Verschleudern von Steuergeldern.

Die Kanzlerin Merkel dereinst und Olaf Scholz zuletzt bekamen gleich ureigene Substantivierungen fürs Verschleiern und Ausweichen wie Auszeichnungen ans Revers gesteckt: das Merkeln und das Scholzen. Noch beim Regierungs-Aus druckste Habeck irritierenderweise rum, so als wolle er seine große Liebe doch noch für einen zweiten Versuch gewinnen. Teilweise erwachsen Gesetze zu sperrigen Wortungetümen, oder in bestimmten Politikfeldern wird alles in einen Topf geworfen: Einwanderung, Migration, Asyl. Oder es wird gelogen, so wie im Falle von Alice Weidel, die fakenewste, Hitler sei ein Linker gewesen. Was kommt als nächstes? Der Mensch braucht Kohlenstoff zum Atmen?

Die Entfremdung des Bürgers in der Gesellschaft, auch die Entfremdung von sich selbst, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Aufgabe der Politik sollte sein, Menschen zu einem Miteinander zu bewegen, von dem wir alle profitieren – wirtschaftlich wie sozial. Verständlichkeit, Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit der Sprache sind dabei grundlegend. Auch Verve und Cleverness sind gefragt.

Wenn Politikersprache weiter degeneriert, verlassen sich Bürger und Wähler irgendwann mehr auf KI als auf Menschen. Weil die Imitation so gut ist. Die Entfremdung nimmt dann weiter zu, ob sie feministisch oder technologieoffen ist.


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