Kopfüber
Wie ich mit Dua Lipa tanzte, fast jedenfalls: Unser Kolumnist Malte Schönfeld berichtet von einem Urlaub auf Ibiza
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 25.09.2025
KURTs Redaktionsleiter Malte Schönfeld im Urlaub auf Ibiza, im Hintergrund ist die mythische Insel Es Vedrà zu sehen.
Foto: Privat
Sogar ein Pullover liegt mir noch auf den Schultern, als ich die Gangway hinabjogge. Gleich spüre ich, wie er zur Last wird. Ibiza. Angekommen am Aeroport d‘Eivissa Sant Josep, wie der Flughafen schöner auf Katalanisch heißt, sind das erste, was mir auffällt, die steifen Palmen, die uns auf der flimmernden Landebahn wie maurische Statuen in Empfang nehmen.
Unsere Finca liegt an einem Berghang und ist eine formelhafte Anordnung in Vollendung. Kleine Quader hängen an großen, die Flure schmal, überall Treppen. Für manche geht die ibizenkische Bauweise auf die Phönizier und Karthager zurück, die vor tausenden Jahren eroberten. Durchgesetzt hat sich am Rande der Landstraßen eine Architektur der Einfachheit: Sand, Lehm, Wacholderbalken, Kalkwände, deren Räume Funktionsglieder einer fast restlos kubischen Wohnwelt sind. Im Schlafzimmer hängt eine Postkarte von Picassos „Guernica“.
In den Bergen von Santa Eulària des Riu lärmen die Zikaden. Was hilft, ist Estrella, ein leichtes Bier, das vor 150 Jahren vom Elsässer August Kuentzmann Damm erstmals gebraut wurde und seitdem erfolgreich die Halbinsel flutet. Ich liege im Pool, im Schatten des Sonnenschirms, und lese die Essays von David Foster Wallace über Tennis. Ein Satz über Roger Federer bleibt hängen: „Er ist ein Wesen aus Fleisch und Licht.“ Dann döse ich, zugedeckt, und die Wärme ist klar und eindringlich und arkanisch. Lose Beobachtungen der Tage: Straßen hungriger Ameisen in der Küche, ein Porsche 550 Spyder im Wert von mehreren Millionen Euro, Meteoritenschauer, Oliven in Kamille, galante Spiegeleiquallen.
Einmal essen wir im Es Boldado, das auf einer Klippe liegt und im Michelin Guide verzeichnet ist, Paella und Arroz Negro, einen Reis, der durch die Tinte von Tintenfischen mitternachtsblau gefärbt und im Geschmack kräftig ist. Uns liegt der Blick offen auf Es Vedrà, eine mythische Insel, die einst in Homers „Odyssee“ die Heimat der Sirenen gewesen sein soll. Heute hüpfen wohl nur noch drei Ziegen auf den Felsen, die von einem asketischen Mönch auf die Insel verschifft wurden. Wie übrigens Helgoland auch gilt für einige Esoteriker Es Vedrà als der letzte sichtbare Zipfelgipfel Atlantis‘.
Eines Abends stehen wir auf der Gästeliste im Pikes, einem Hotel und Club, der für die Abgeschiedenheit vor der Welt stehen möchte. Wham! drehten hier das Musikvideo zu „Club Tropicana“, Freddie Mercury gab an selber Stelle seine späten Geburtstage, und es heißt, zu jeder Bestellung an der Bar habe es damals eine Bahn Koks gratis gegeben. Auf einem Träger Estrella fliege ich also durch das Pikes, von Bodenhaftung befreit, und tatsächlich, als hätte Freddie den Abend in die Hand genommen, taucht zwischen ecstasygeladenen Engländern Dua Lipa auf, die wahrhaftige Dua Lipa, in einem silbernen Kleid, Sirene der Neuzeit.
Tagsdrauf schnorchel ich ein letztes Mal durch die Bucht Cala d‘en Serra, die wegen ihrer Hotelbauruine – ursprünglich entworfen von Star-Architekt Josep Lluís Sert – in den 1970ern Berühmtheit erlangte. Wie ich so mit dem Rücken zum offenen Meer treibe, entdecke ich am Grund ein klimperndes Augenpaar, es ist ein Oktopus, zweifellos, doch es braucht nur eine Unaufmerksamkeit meinerseits, eine leere Sekunde, und der Oktopus ändert das Muster auf seiner Haut. Ein Wesen aus Fleisch und Farbe.