Politik

Um Vorbild zu sein, muss man glaubwürdig bleiben: Gifhorns Landrat Tobias Heilmann zieht im großen Interview seine Halbzeitbilanz

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 21.09.2024
Um Vorbild zu sein, muss man glaubwürdig bleiben: Gifhorns Landrat Tobias Heilmann zieht im großen Interview seine Halbzeitbilanz

Seit Ende 2021 ist Tobias Heilmann Landrat im Landkreis Gifhorn. In seiner Halbzeitbilanz spricht er über die Verwaltung als moderner Arbeitgeber, die Digitalisierung und neue Formen der Wirtschaftsförderung.

Foto: Landkreis Gifhorn

Wie schnell die Zeit doch vergeht: Gifhorns Landrat Tobias Heilmann darf auf die erste Hälfte seiner ersten Amtszeit zurückblicken. „Ein Fulltime-Job an sieben Tagen in der Woche“, erklärt der in Ummern wohnende SPD-Politiker, der verheiratet ist und drei Kinder hat. „Aber ich liebe es einfach. Ich möchte gestalten, und ich habe Lust auf Menschen.“ Im Interview mit KURT-Redaktionsleiter Malte Schönfeld spricht der 48-Jährige über seine Halbzeitbilanz an der Spitze der Gifhorner Verwaltung, die Herausforderungen unserer Zeit und seine Vorhaben bis Oktober 2026.

Herr Landrat, bis 2030 möchten Sie die Kreisverwaltung vollständig digitalisieren. Wie genau?
Wir haben uns das Ziel gesetzt, spätestens 2030 alle Services für die Bürgerinnen und Bürger digital anzubieten, um 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche erreichbar zu sein. Die Digitalisierung brauchen wir ebenfalls für unsere interne und externe Kommunikation.

Gerade scannen wir unsere alten Akten ein. Angefangen mit der Ausländerbehörde – alle aufgereiht, sind das zig Kilometer. Endlich kommen wir in einen digitalen Workflow. Umso mehr freue ich mich, dass eine Sogwirkung entsteht und andere Verwaltungsbereiche nachziehen wollen. Das geht aber nur mit einem kulturellen Wandel des Arbeitens.

Die Kreisverwaltung soll ein moderner Arbeitgeber werden. Was hat sich schon alles geändert?
In einer Mitarbeiterbefragung haben wir geschaut, was sich die Kolleginnen und Kollegen wünschen. Und nach der Auswertung sind wir schnell in die Umsetzung gekommen.

Zum einen war betriebliches Gesundheitsmanagement ein Thema. Job-Ticket, Fahrrad-Leasing, regionale Fitness- und Sportangebote – einiges haben wir da eingeführt.

Zum anderen die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit Laptops, Headsets, modernen Schreibtischen. 100 neue Stellen konnten wir besetzen, wir entwickeln das Führungskräftefortbildungskonzept fort – das stimmt mich sehr positiv. Die Kolleginnen und Kollegen sollen Bock auf ihre Arbeit haben. Das ist wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.

Neu ist auch die Landkreis Gifhorn Innovation & Service GmbH zur Wirtschaftsförderung. Wie sollen Unternehmen und Start-ups künftig unterstützt werden?
Wir werden gemeinsam Ge-werbeflächen entwickeln, um mehr Gewerbesteuern einzunehmen, und das Standortmarketing verbessern. Wenn eine Gemeinde für ein Unternehmen keine passende Fläche findet, müssen wir schneller und agiler in die nächste Gemeinde vermitteln. Da liegen ungenutzte Potenziale, die zu Wertschöpfung führen können.

Außerdem installieren wir Förderlotsen, die über sämtliche Förderprogramme kenntnisreich Auskunft geben können, und für Unternehmer der erste Ansprechpartner werden sollen. Das ist gerade für Start-ups praktisch, die dafür in den eigenen Reihen noch kein Personal stellen können.

Der Klimawandel gilt als die größte Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Gerade lokale Projekte können viel bewirken. Welche Maßnahmen zur Anpassung möchten Sie initiieren?
Vieles von dem, was wir als Landkreis machen können, haben wir schon auf den Weg gebracht. Wir kontrollieren unsere zehn größten Liegenschaften, um ihren Energieverbrauch anhand neuer Systeme auszuwerten und zu minimieren. Unsere Hausmeister sind da richtige kleine Energiemanager geworden. Auch LED-Lampen haben wir flächendeckend umgerüstet.

Beim Thema Freiflächenphotovoltaik haben wir mit den Gebietseinheiten Leitfäden entwickelt. Diese beinhalten Kriterien, damit die Gemeinden im Landkreis annährend ähnlich handeln können. Auch arbeiten wir an einem Mobilitätskonzept, unter anderem mit dem Ziel, die Potenziale für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos zu ermitteln.

Gegründet haben wir auch das Forum Wasser. Als landwirtschaftlich geprägter Landkreis, der aus leichten Böden besteht, sind wir auf Beregnung angewiesen. Wir wissen, dass unsere Grundwasserspiegel nicht gerade überlaufen. Ein Thema ist: Wie können wir ein Wassermanagement organisieren, welches den Grundwasserspiegel mindestens hält oder sogar anhebt. Sowas könnte über große Wasserbassins funktionieren, die wir im Winter aus dem Elbeseitenkanal befüllen, um sie im Sommer als Beregnung zu nutzen.

Sie setzen auf den Ausbau der B 4 und den Lückenschluss der A 39. Warum?
Ganz einfach: Unsere Bürgerinnen und Bürger werden sich freuen, ihren Arbeitsweg auf der B4 endlich in einer angemessenen Geschwindigkeit fahren zu können.

Tobias Heilmann ist noch mindestens bis Oktober 2026 im Amt. Bis dahin möchte der 48-Jährige noch viele Aufgaben angehen.

Foto: Landkreis Gifhorn

Attraktiv ist ein Ausbau natürlich auch für Industrie und Gewerbe. Unsere Infrastruktur durch den baldigen Lückenschluss der A 39, die DB-Verbindung Braunschweig-Hamburg, die Weddeler Schleife, die Bahnstrecke Celle-Wittingen und den Elbeseitenkanal mit dem neuen Schiffshebewerk in Scharnebeck wird in Deutschland einmalig sein. Davon soll auch der gesamte Nordkreis profitieren, der im Vergleich mit dem Süden mit Sicht auf die Infrastruktur nicht weiter abfallen darf.

Der ÖPNV im Landkreis Gifhorn ist für viele Menschen, die auf dem Dorf wohnen, nicht zufriedenstellend. Am Wochenende deckt der Busverkehr manchmal nicht mal die Abendstunden ab. In Grippezeiten fallen ganze Linien aus. Ist man also doch nur mit dem Auto mobil?
In einem so ländlichen Landkreis wie dem unsrigen wird die individuelle Mobilität immer eine Rolle spielen. Trotzdem wollen wir weiter den ÖPNV stärken. Vorgemacht haben wir das in der Samtgemeinde Wesendorf mit den Flexo-Bussen – unheimlich gut wurde das angenommen, so dass wir das On-demand-System auf den ganzen Landkreis ausgedehnen wollen.

Und seit 1. Juni bekommen die Busfahrerinnen und Busfahrer dank eines neuen Tarifvertrags einen höheren Stundenlohn – so haben wir auch wieder Neueinstellungen.

Fast 100.000 Menschen pendeln täglich im Landkreis Gifhorn. Die Bahnverbindungen nach Hannover, Braunschweig und Wolfsburg sind eine Katastrophe. Das schwächt den Wirtschaftsstandort Gifhorn.
Mein direkter Ansprechpartner ist der Regionalverband. Da bin ich nicht nur einmal auf die Füße gestiegen, dass er das endlich besser organisiert. Ich sehe aber, dass die Situation auch für ihn nicht einfach ist: hoher Kostendruck, Fachkräftemangel. Die Energiekosten sind gestiegen. Die Metronom-Verkehrsgesellschaft hat sogar Insolvenz angemeldet.

Aber ja: Wenn die Politik die Erwartungshaltung schürt, dass alle Bürgerinnen und Bürger auf den ÖPNV umsteigen sollen, dann müssen Land und Bund auch liefern.

Muss die Schuldenbremse weg?
Ich bin ein Fan davon, die Ausgaben im Blick zu haben. Und ich bin ein Fan der Doppik, der doppelten Buchführung, die mir zeigt, wie groß das Anlagevermögen und die liquiden Mittel sind. Aber wenn wir unsere Zukunftsinvestitionen nicht tätigen, dann kappen wir uns selbst und verlieren gegen unsere Nachbarländer.

Die Demographie stellt Pflege, Arztpraxen und Krankenhäuser vor scheinbar unlösbare Aufgaben. Wäre es nicht hilfreich, wenn wir entbürokratisieren und qualifizierte Geflüchtete schneller auf den Arbeitsmarkt dürften?
Da sagen Sie was: Wir haben viele Menschen, die zu uns gekommen sind, die noch einen Integrations- und Sprachkurs ablegen müssen.

Doch die Wartezeiten betragen teilweise zwei Jahre. Die Hürden sind so hoch, dass nicht mal der pensionierte Deutschlehrer dozieren darf. Da denke ich doch: Sag mal, sind wir durcheinander? Da müssen wir die Standards senken – doch leider liegt das nicht in meinem Kompetenzbereich. Das sind Themen, die ich an unsere Innenministerin Nancy Faeser weiterreiche.

Und auch beim Thema Berufsanerkennung – zum Beispiel bei Ärzten – stehen wir uns selbst auf den Füßen.

Noch bis Oktober 2026 läuft Ihre Amtszeit. Für welches Projekt hätten Sie gerne 50 Millionen Euro mehr zur Verfügung?
Auf jeden Fall für unsere Schulen. Dass wir unseren Kindern moderne Bildungsstätten zur Verfügung stellen mit Lehrern, die wir für einen guten, motivierenden Unterricht ausstatten. Der schlimmste Satz ist, wenn ich mit erfahrenen Menschen spreche und sie beim Blick auf die Schule sagen: Tja, so sah‘s in meiner Jugend auch schon aus.

Und zum anderen würde ich die energetische Sanierung aller weiteren Liegenschaften vorantreiben. Denn wir müssen da als Vorbild verbindlich vorangehen. Auch, um glaubwürdig zu bleiben.


Coole Leute gesucht – wir stellen ein!

Informiere Dich über Jobs in unserem Medienhaus! Wir sind auf der Suche nach tollen Menschen, die bei uns einsteigen möchten.

Mehr erfahren