Letzte Ruhe

Niemand muss alleine sterben: Der Verein für ambulante Hospizarbeit Gifhorn begleitet auf dem Weg in den Tod

Marieke Eichner Veröffentlicht am 11.10.2022
Niemand muss alleine sterben: Der Verein für ambulante Hospizarbeit Gifhorn begleitet auf dem Weg in den Tod

Die leitende Koordinatorin Jeannette Ehlers (von links), Vorsitzende Ingrid Pahlmann, Claudia Baderscheider sowie Christine Zecchino und das gesamte Team sind nun im neuen Hospiz-Haus zu finden.

Foto: Michael Uhmeyer

Im September öffnet Gifhorns Hospiz-Haus. Unter einem Dach sind dort jene Institutionen zu finden, die am Lebensende unterstützend zur Seite stehen: das Palliativnetz Gifhorn, die Hospiz-Stiftung und die Gemeinnützige Gesellschaft, die das Haus operativ führt. Außerdem der Verein für ambulante Hospizarbeit. Der begleitet Schwerstkranke und Sterbende im Sterbeprozess. Die ehrenamtlich Betreuenden sind täglich mit dem Tod konfrontiert: KURT hat Vorsitzende Ingrid Pahlmann und Koordinatorin Jeannette Ehlers gefragt, warum sie sich dieser herausfordernden Aufgabe stellen.

„Wer setzt sich schon mit dem eigenen Lebensende auseinander? Den Tod verdrängt man gern“, spricht Ingrid Pahlmann das Tabu-Thema an. „Aber Sterben gehört zum Leben dazu“, betont die Vorsitzende des Vereins für ambulante Hospizarbeit. „Und je früher man sich dessen bewusst wird, desto besser kann man das Leben genießen. Weil man weiß, wie schnell es vorbei sein kann.“
Der Verein für ambulante Hospizarbeit zählt zurzeit 82 ehrenamtlich Begleitende, hinzu kommen Koordinatorinnen, Bürokräfte und der Vorstand. „Die Gesellschaft hat sich verändert, es ist nicht mehr so, dass immer eine zweite Generation im Haus ist, wenn jemand im Sterbeprozess liegt oder schwerst erkankt ist“, erklärt Ingrid Pahlmann. „Und deshalb ist es ein unheimlicher Segen, wenn man jemanden hat, der einspringt, die Familie, die Angehörigen, die Zugehörigen unterstützt.“

„Sterben, Tod und Trauer kann niemand abnehmen. Aber ich kann sagen: Ich bin bei Ihnen, ich bin da.“
Jeannette Ehlers, Leitende Koordinatorin im Verein für ambulante Hospizarbeit Gifhorn

Foto: Michael Uhmeyer

Der Verein übernimmt keine pflegerischen oder medizinischen Aufgaben. „Wir arbeiten psychosozial, seelsorgerisch“, beschreibt die leitende Koordinatorin Jeannette Ehlers die Sterbebegleitung. „Unsere Ehrenamtlichen hören zu, machen noch mal nette Sachen mit den Schwerstkranken“, ergänzt Ingrid Pahlmann. „Oder gehen mit den Kindern Eis essen oder ins Kino. Sie kommen in einer solchen Situation manchmal zu kurz. So haben sie das Gefühl: Ich bin auch wichtig, ich darf auch lachen und fröhlich sein. Denn oft ist das Zuhause sehr bedrückend.“ Die Ehrenamtlichen kümmern sich nämlich auch um die An- und Zugehörigen im Sterbeprozess. „Wo Ängste, Unsicherheiten, Verzweiflung sind, da sind sie da“, fasst Jeannette Ehlers zusammen.

Zuweilen kontaktieren Pflegeheime den Verein. „Wenn keine Angehörigen da sind, dann setzt sich ein Begleiter ans Bett und ist für denjenigen da“, so die Koordinatorin. „Gibt eine Berührung, hält die Hand. In der Hospizarbeit geht es um Nähe.“ Eine Sterbebegleitung kann also ein Einsatz von wenigen Stunden sein bis hin zu mehreren Jahren. „Wir haben eine Begleitung, da geht schon jemand zehn Jahre lang jede Woche hin“, berichtet Jeannette Ehlers. Die Begleitung endet – im glücklichen Fall – mit der Verbesserung der Gesundheit. Oder mit dem Tod. Häufig sind die Ehrenamtlichen dann noch ein- bis zweimal bei den Angehörigen. „Dann verweisen wir auf andere Angebote unseres Vereins“, sagt die Koordinatorin. „Wir bieten nämlich auch Trauerbegleitung an.“ Und Ingrid Pahlmann ergänzt: „Schön finde ich auch die Bestattung Unbedachter. Denn eine Bestattung ohne Angehörige ist eine traurige Sache. Also gehen unsere Ehrenamtlichen dahin und geben einen würdigen, festlichen Rahmen für diese Menschen.“

Manchmal reicht es, die Hand von Sterbenden zu halten. Manchmal braucht es keine Worte. Nähe und Empathie sind das Wichtigste.

Foto: Kampus Productions/Pexels

Auf die Sterbebegleitung werden die Ehrenamtlichen intensiv vorbereitet. Zum einen mit einem etwa zehnmonatigen Kurs. Die Ehrenamtlichen reflektieren zunächst ihre eigenen Biografien. „Das ist das Wichtigste“, unterstreicht Jeannette Ehlers. „Wenn Menschen am Lebensende ihre Geschichte erzählen, ist es wichtig zu wissen, wie der eigene Weg war.“ Wer die innere Sicherheit hat, die eigene Identität zu kennen, ist gefestigt genug, Menschen in Ausnahmesituationen zur Seite zu stehen. „Wichtig sind auch unsere kontinuierlichen Ehrenamtsabende“, so Ingrid Pahlmann. „Mal mit einem Thema, mal einfach, um nur zu erzählen, sich auszutauschen.“

Wann und wie oft die Ehrenamtlichen vorbeischauen, schreibt der Verein nicht vor. „Wenn es einmal in der Woche ist, so für zwei, drei Stunden, das wäre toll“, meint Jeannette Ehlers. „Wenn es zum Lebensende hingeht, dann gehen die Begleiter manchmal jeden Tag hin. Das bekommen wir Koordinatoren dann oft erst im Nachhinein mit.“ Welche Verbindung zwischen den Schwerstkranken oder den Sterbenden und ihrer Begleitung entstehen, das sei schon ein Geschenk.

Darum achten die Koordinatoren beim Erstgespräch darauf, dass die Chemie stimmt. „Wir wollen schließlich eine Bereicherung sein“, macht Jeannette Ehlers deutlich. Beim Hausbesuch machen sich die Koordinatoren ein Bild vor Ort. Anschließend prüfen sie, welche Betreuenden die gleichen Interessen haben, welche Bedingungen die Betreuenden selbst erfüllen können und wollen – kurz gesagt: Wer passt menschlich? Haben sich beide Seiten kennengelernt und der Funke ist übergesprungen, entsteht eine Verbindung, die ihresgleichen sucht.

„Es gab da eine Begleitung, ein junger Mann, er ist nur 28 geworden, die sind zusammen Cabrio gefahren und haben ganz laut die Mucke aufgedreht und Heavy Metal gehört“, erzählt Jeannette Ehlers. „Er hat ihn sogar auf den Händen in die Ostsee getragen.“ Zuweilen begleiten die Ehrenamtlichen Wunschmoment-Fahrten, sie backen, singen, beten, planen Beerdigungen mit. „Eine Dame wollte noch Weihnachtsgeschenke für ihre Familie kaufen, konnte das aber körperlich nicht mehr. Da ist der Begleiter mit ihr in die Stadt gegangen.“ Manch ein Sterbender möchte Abschiedsbriefe hinterlassen, auch hierbei helfen die Ehrenamtlichen.

„Für Berufstätige ist es eine Entlastung: Der Angehörige ist nicht allein zu Haus. Und dem zu Begleitenden geben unsere Ehrenamtlichen die Chance, Dinge zu sagen, die man seinem Partner oder seiner Partnerin nicht erzählen kann.“ Das betont Jeannette Ehlers immer wieder: „Sie können alles ansprechen!“

„Wir merken: Mehr und mehr Menschen verlieren die Hemmschwelle unsere Hilfe anzunehmen“, freut sich Ingrid Pahlmann. „Sie merken: Ich bin nicht alleine in einer solchen Situation.“ Die Vorsitzende appelliert: „Ihr müsst das nicht allein durchstehen. Da gibt es Leute, die sind wirklich gut geschult, die lassen Euch nicht allein.“ Sterben, Tod und Trauer könne niemand abnehmen. „Aber ich kann sagen: Ich bin bei Ihnen, ich bin da“, ergänzt Jeannette Ehlers.

„Die Sterbenden und Schwerstkranken schenken uns ja unheimlich viel Vertrauen. Ich komme zu einem Hausbesuch und manchmal wird mir die ganze Lebensgeschichte gleich erzählt“, berichtet die Koordinatorin. „Es ist eine Bereicherung. Ich denke oft: Du bist gesund und kannst so viel machen. Und die Menschen, die wir betreuen, können das nicht mehr.“ Das hört sie auch oft von den Ehrenamtlichen: „Ich bin jetzt viel achtsamer, sage meinen Kindern, meinem Mann, viel öfter, dass ich sie liebe und stolz auf sie bin.“

Tag der offenen Tür im Hospiz Gifhorn
Sonntag, 18. September
10 bis 17 Uhr
Lindenstraße 33, Gifhorn

Verein für ambulante Hospizarbeit Gifhorn
Tel. 05371-9907901
info@hospizarbeit-gifhorn.de
www.hospizarbeit-gifhorn.de


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