Musik

In der Badewanne wird das Songtempo bestimmt: Der Steinhorster Musiker nooc hat KURT einen Einblick in sein Studio gewährt

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 10.08.2022
In der Badewanne wird das Songtempo bestimmt: Der Steinhorster Musiker nooc hat KURT einen Einblick in sein Studio gewährt

Der Rockmusiker nooc in seinem Steinhorster Studio. Hier sind auch Teile von „Distorted Roads“ entstanden, seinem nächsten Album.

Foto: Privat

Eigentlich hätte „Distorted Roads“, das zweite Album von Timo Mayer-Brandt alias nooc, längst fertig sein sollen – doch der Rockmusiker aus Steinhorst verlor sich in seiner Vision von perfekt programmiertem Bass und Schlagzeug. Nun helfen zwei Bekannte aus, und jetzt steht für nooc die Arbeit an, aus den Demos von echten Musikern gespielte Songs zu basteln. KURT gewährte der Gitarrist dazu in seinem Heimstudio einen Blick hinter die Kulissen – wie geht das eigentlich: von der Idee bis zur CD?

Zum Blick ins Nähkästchen führt nooc den Besucher in den Keller. Dort präsentiert er zwei Räume, vor zwei Jahren erst fertig ausgebaut: den Gitarrenraum und das eigentliche Studio. Im Gitarrenraum stehen Verstärker, Effektgeräte und Mikrofone, durch ein kleines Loch in der Wand führen Kabel ins Studio nebenan. Dort, zwischen Sofa, Sessel, Gitarren, Gesangsmikrofon sowie Schreibtisch mit Apple-Computer und Keyboard, spielt nooc seine Gitarren. Durch das Loch dringen seine Licks per Kabel in den Gitarrenraum, in dem sie verzerrt aus dem Verstärker brüllen, vom Mikrofon aufgenommen und wiederum per Kabel durch das Loch zurück ins Studio geleitet werden, auf den Computer und in die Studiomonitore, über die er hört, was er da eigentlich spielt. Natürlich könnte er sich die Mühe auch sparen, die Gitarre direkt an den Computer anschließen und dort mit Effekten verzerren, aber: „Das kannste vergessen, das klingt alles scheiße. Ich möchte mit Mikrofon aufnehmen, das ist eine andere Philosophie.“

Doch woher weiß nooc überhaupt, was er auf seiner Gitarre spielen will? Alles beginnt mit etwas, das ihm auf der Gitarre einfällt; nooc nennt es „Lick“, also improvisierte Tonfolgen, die bei ihm hängenbleiben. Das ist die Basis: „Du spielst es tagelang, komponierst einen Song drumherum, arrangierst, schreibst den Text, damit Du eine Vorstellung von dem Song bekommst.“ Klingt kurz und schmerzlos, aber so ein Song ist das Ergebnis intensiver kreativer Arbeit.

Und auch technischer. Bisweilen dreht nooc am Sound akribisch herum: „Ein Lick habe ich mal verzerrt und mal clean aufgenommen – verzerrt war es zu vermatscht, clean hatte es zu wenig Dreck.“ Also nahm er es ein drittes Mal auf, und siehe da: Jetzt war er zufrieden. Seine Gitarre doppelt nooc fast immer, was bedeutet, dass er seine Parts zweimal exakt gleich spielen muss: „Das dauert manchmal.“ Auch seinen Gesang nimmt er mehrfach auf, nooc deutet auf eine Ansammlung von Audiofiles auf seinem Bildschirm: 39 Versionen der Strophe eines seiner Lieder liegen dort sichtbar vor.

Die besten Takes doppelt er ab und an zu einem Chor mit sich selbst: „Das klingt fett und fluffig. Das ist eigentlich eine Beatles-Idee, dass der Chor in der Strophe reinkommt.“ Und die Beatles sind für den Harmonie- und Melodiefreund Inspiration, ebenso Red Hot Chili Peppers, Muse und Rage Against The Machine. Von letzteren guckte er sich das Effektgerät Whammy ab, das er vorführt: Man kann mit dem Fuß sprunghaft die Tonhöhe der Gitarrensounds variieren.

Seine elektrischen Gitarren kann nooc nicht zählen, akustische hat er jedoch nur eine, und die ist hervorragend. Auf der spielte er einen Song für das Album ein, im oberen Stockwerk, als der Keller noch nicht fertig war. Ein Lastwagen fuhr währenddessen am Haus vorbei, und der ist auf der Aufnahme zu hören. Er lacht: „Das lasse ich drauf!“

Es fällt auf, dass „Distorted Roads“ rockiger klingt als die erste Platte. Trotzdem verzichtet nooc nicht auf synthetische Elemente. „Elektronisches Zeug klappert immer mit“, sagt er, „das macht mir Spaß – und das macht Spaß beim Hören.“ Und sei es nur eine rückwärts laufen gelassene Gitarre. Oder ein verzerrtes Rhodes-Piano, das als Wortspiel die Grundlage für den Albumtitel bildet. nooc steht eine immense Sample-Datenbank zur Verfügung, mit Keyboardsounds, Orgeln, Streichern, Mellotrons, Trompeten und noch vielem mehr: „Mit Plug-Ins holt man sich Qualität ins kleine Studio.“

Auch fällt auf, dass in fast jedem Song ein Gitarrensolo vorkommt. „Das macht auch Spaß“, grinst nooc. Dabei rüttelt es an seiner „Gitarristenehre“, dass er kein Solo jemals zusammenschneidet, sondern immer in einem Take spielt, und sei es noch so kompliziert: „Ich spiele den ganzen Tag, bis ich‘s habe, irgendwann kriegt man‘s hin – es macht Sinn, sich Mühe zu geben.“ Und noch einen Insider verrät nooc: Einen Song hatte er vor Jahren noch deutlich langsamer aufgenommen gehabt, der wurde mit der Zeit zusehends flotter. „Das ideale Songtempo kannst Du in der Badewanne herausfinden“, grinst nooc. „Wenn Du in der Badewanne liegst und der Song kommt Dir zu langsam vor, dann stimmt das meistens auch.“

Ein weiterer Bestandteil seiner Songs sind für nooc die politischen Texte. „Ich denke dabei oft: Der Song müsste genau jetzt rauskommen“, sagt er. Doch landete alles zunächst auf seiner Festplatte, Songs über inhaftierte Journalisten in der Türkei, über Afghanistan-Soldaten, die damit leben müssen, dass sie Menschen töten mussten, über die Flüchtlingskrise 2015, gegen Kapitalismus, gegen Fremdenfeindlichkeit – und dann sieht er aktuelle Nachrichten und begreift erschüttert: „Es passiert so viel Scheiße in der Welt, dass es immer wieder passt.“

Und nun hofft nooc, sich seinen Traum erfüllen zu können, das Album komplett von Menschen eingespielt zu bekommen. Den Ausschlag dazu gab sein langjähriger Freund und Schlagzeuger Manfred „Manne“ Uhlig aus Hamburg, der schon mit namhaften Größen die Welt bereiste, darunter mit Lacrimosa, Das Auge Gottes, dem Rosenstolz-Nachfolge-Projekt Gleis 8 und Lotto King Karl. Er bringt Bassist Jens Wrede mit an Bord, der ebenfalls eine üppige Liste an Beteiligungen vorzuweisen hat, nicht selten als Begleiter Uhdes, etwa bei den Barmbek Dream Boys. Zuletzt legt als Mischer Steffen Häfelinger Hand an einige der Songs, und der hat nun wirklich schon die ganze Welt in seinem Studio 438 zu Gast gehabt.

Zu dieser spontanen Zusammenarbeit kam es aufgrund einer Stagnation: Bereits als das Debüt „The Beauty Of It All“ vor fünf Jahren erschien, hatte nooc die 14 Songs für „Distorted Roads“ fertig komponiert und die Demos eingespielt. „Manche richtig gut“, sagt der Musiker, „aber mit einem großen Manko: Das Schlagzeug ist programmiert.“ nooc selbst spielt es nämlich über sein Keyboard und spezielle Plug-Ins ein, als wäre es ein leibhaftiges Schlagzeug. „Ich programmiere mir den Wolf“, stöhnt er. Man kann nur staunen, wie echt das klingt, doch der Profi winkt ab: „Musiker hören das, ich habe nur ein Grundverständnis.“ Die Folge: „Ich hatte Zweifel, als ich die erste CD wieder gehört habe, ich war nicht zufrieden, weil ich weiß, dass alles programmiert ist.“

Mit diesen Zweifeln unterbrach nooc seine mühevolle Arbeit. Und dann kam auch noch Corona. Anstatt weiter seinen Job am Keyboard zu verrichten, komponierte er kurzerhand mit „I Can‘t Stand The Rain“ und „Another Death Of You And Me“ zwei neue Songs. Eines Tages kam Manne vorbei, hörte das erste neue Lied und fragte, ob er die Songs mal trommeln sollte? Ebenso flott ging es mit Jens, der nooc einige Hörbeispiele schickte, aus denen er die besten Sounds auswählte – zu hören ist jetzt ein Fender-Bass aus dem Jahr 1964. Dann war plötzlich alles echt eingespielt – und nooc hatte die Erleuchtung: „Scheiße, das ist der Weg, das zu machen!“

Heißt jetzt also: „Distorted Roads“ bekommt ebenfalls komplett echt eingespielte Instrumente. nooc seufzt zwar: „Die ganze Arbeit, die ich reingesteckt habe, war für die Katz. Doch das ist jetzt ein lebendigeres, fluffigeres Gefühl, alles fügt sich besser zusammen.“ Vor dem Album stehen indes noch die beiden „Corona-Songs“, wie nooc sie nennt: Die will er schnellstmöglich über seine Plattenfirma als digitale Single veröffentlichen.

Und gleichzeitig wirft er bereits einen Blick auf das dritte Album, das sich mit dem Titel „Shit Filter“ an alle Schwurbler richten wird. Kein Stillstand bei nooc!


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