Kunst

Fragmente der Welt zapfen unsere Gefühle an: Stipendiatin Nozomi Hasegawa stellt im Künstlerhaus Meinersen aus

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 16.11.2025
Fragmente der Welt zapfen unsere Gefühle an: Stipendiatin Nozomi Hasegawa stellt im Künstlerhaus Meinersen aus

Auf das achten, was unbeachtet bleibt: Die japanische Künstlerin Nozomi Hasegawa befasst sich in der Ausstellung „Im Sommergrün der Erinnerung“ mit Landschaften und rückt sie ins Zentrum.

Foto: Nozomi Hasegawa

Mit unseren Erinnerungen ist das so eine Sache. Sind sie vertrauenswürdig? Und sind wir es als diejenigen, die von diesen Erinnerungen berichten? Inspiriert von Landschaften, Fundstücken und Szenerien aus Meinersen und Umgebung erschafft die Japanerin Nozomi Hasegawa, Stipendiatin der Bösenberg-Stiftung im Künstlerhaus Meinersen, eine abstrakte Verschmelzung von Erinnerung, Wahrnehmung und Imagination. Die Abschlussausstellung „Im Sommergrün der Erinnerung“ ist bis zum 14. Dezember im Künstlerhaus zu sehen, zur Vernissage am 21. November ist ab 19 Uhr geladen.

Es sind drei Dinge, die einem bei den Gemälden von Nozomi Hasegawa auf Anhieb auffallen: die Farben, die Formen, der kalte Hintergrund. „Komposition und Form sind mir nicht unwichtig, aber die Farbe spricht mich als Erstes an“, sagt die 37-Jährige. Tupfer, Striche und Flächen fliegen in einem geordneten Chaos über die Leinwände wie Herbstlaub oder Schneeflocken. „Manche Kompositionen passieren spontan, zufällig“, erzählt die Künstlerin. Steckt in diesem Vorgang nicht auch Magie? „Vielleicht. Ich möchte jedenfalls nicht darauf verzichten.“

Technisch geht dabei enorm Faszinierendes vor, denn die Inspirationen für ihre Ölmalerei – eine Technik, die vor 600 Jahren erfunden wurde – entstammen von 3D-Scans, die Nozomi Hasegawa mit dem Handy erstellt. „Schon immer hat Malerei versucht, Altes und Neues zu kombinieren“, verweist die Künstlerin auf Experimente mit der Fotografie. Was die 3D-Scans wohl so faszinierend macht: Sie sind Oberflächen, die zwar Tiefe haben, aber nicht mehr vollständig kohärent sind.

Landscape Composition -4- (2024), Öl auf Leinwand, 130 x 100 cm.

Foto: Nozomi Hasegawa

Menschen und Tiere fehlen in dieser Naturserie komplett. Offensichtlich hinterlassen sie nicht einmal Spuren in dieser Welt, die Nozomi Hasegawa beobachtet. Es ist die Gleichgültigkeit der Menschen, gegen die sie anmalt. Sie packt uns Gäste fast, stellt uns vor ihre Werke und zeigt uns: Schaut genau hin, das ist Eure Umwelt, das passiert um Euch herum, das alles lebt.

Die Künstlerin achtet auf das, was häufig unbeachtet bleibt. Und sie zeigt es uns in einer Fusion. „In meinen Arbeiten möchte ich die Motive abstrakt und klar malen. So ensteht ein Kontrast zwischen Klarheit und Unklarheit, Komplexität und Monotonie“, erklärt sie. Als Meisterschülerin der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, in der Klasse von Wolfgang Ellenrieder, die zuvor nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Tokio mehrere Jahre als Unternehmensberaterin gearbeitet hatte, ist ihr der Kontrast nicht fremd.

Neben den Pflanzen, den Blumen und den Landschaften, die in Fetzen und Bruchstücken liegen, ist es noch ein anderes Thema, für das sich die Künstlerin interessiert: die Erinnerung. „Sie selbst finde ich nicht ganz so spannend, aber den Prozess des Erinnerns schon“, berichtet Nozomi Hasegawa. Was man abspeichert, was bleibt, das ist eine genaue Betrachtung wert. Und was dichtet man im Laufe der Jahre – ob unabsichtlich oder als Schutzmechanismus – dazu? Der Mensch ist schon ein unzuverlässiger Erzähler, erkennen wir.

Schöpfung -1- (2025), Öl auf Leinwand, 165 x 140 cm.

Foto: Nozomi Hasegawa

In „Landscape Composition -4-“ sieht man sogar die drahtgitterartigen Linien, polygonale Strukturen aus dem 3D-Scan, die wie durch einen Glitch als Ur-Code der Welt plötzlich und unverhofft zutage treten. So, als würde uns jemand zeigen: Unter unserer Individualität, in der wir einzigartige Erinnerungen schaffen können, liegt ein biochemisches, allgemeingültiges Molekül-Muster.

Nozomi Hasegawas Arbeiten haben etwas Traumhaftes, so als würde man durch ein Musikvideo von Björk wandeln oder durch Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“. Und weil die Erinnerungen so lückenhaft sind, ist da auch Melancholie. Man fragt sich: Kann der Vorgang des Erinnerns eine vorwärtsgerichtete Kraft sein? Oder hängt man immer im Rückwärtsmodus fest? Das muss wohl jeder Gast für sich selbst entscheiden.

Ausstellung von Stipendiatin Nozomi Hasegawa:
„Im Sommergrün der Erinnerung“
Künstlerhaus
Hauptstraße 2, Meinersen
Vernissage: 21. November, 19 Uhr
Ausstellung bis 14. Dezember:
Do., Sa. & So. 15 bis 18 Uhr


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