Stadtentwicklung
Fördergelder bezahlen unsere Reise in die Zukunft: Gifhorns Integriertes Stadtentwicklungskonzept soll ab 2024 Gelder akquirieren
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 27.03.2023
Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept, kurz ISEK, hat das Ziel, die Gifhorner Innenstadt zukunftsfähig aufzuwerten. Dazu gehören natürlich auch kulturelle Anlässe wie das Weinfest.
Foto: Nils Mahnke (Archivfoto)
Ein heller Tag Anfang März. Eigentlich der einzige helle Tag in diesen Wochen. Im 2. Stock des Gifhorner Rathauses – ganz am Ende des langen Gangs muss man links abbiegen, dann kommt ein Konferenzraum mit Designer-Stühlen von Bauhaus-Künstler Marcel Breuer – liegt das Büro von Oliver Bley. Die Tür steht zwei fußbreit offen, der Stadtbaurat telefoniert, winkt aber schon mal. Eine halbe Minute Wartezeit. Viel habe er um die Ohren, sagt Oliver Bley, das sei aber gut. Und dieses Pensum werde auch mindestens bis zum Jahresende nicht abnehmen. Denn die Gifhorner Stadtverwaltung steckt mitten in der Ausarbeitung ihres Integrierten Stadtentwicklungskonzepts, kurz ISEK, was sowas wie die Zukunftsgrundlage unserer Stadt ist. Aktuell wird ein Leitbild geformt, dabei hilft auch die Auswertung der Bürgerumfrage. Im neuen Teil der Stadtentwicklung-Serie fasst KURT für Euch das riesenhafte ISEK zusammen
Am 19. Juli 2021 beginnt die Reise in die Gifhorner Zukunft. Der Rat der Stadt fasst den Beschluss zur Erarbeitung eines Integrierten Stadtentwicklungskonzepts – einstimmig.
Dass die Politik mitten in der Corona-Pandemie, eine Zeit voller Umwälzungen, Dringlichkeiten und Nöte, die Erarbeitung in Auftrag gibt und die dazugehörigen Budgets klärt, kann schon jetzt als richtige Entscheidung gewertet werden. Denn es dauert, bis so ein Riesenkonzept ausgearbeitet ist. Und in Anbetracht der Welt-, Bundes-, Stadt-Lage ist es, je nachdem, wen man fragt, fünf vor oder fünf nach zwölf.
Die Zukunftsaufgaben, so heißt es über die Hintergründe und Ziele des ISEK vonseiten der Verwaltung, seien für unsere Stadt genauso wie für viele andere Kommunen bedeutend; vom demographischen Wandel ist da die Rede, von der Klimakrise, Energieeffizienz, Mobilität, dem Strukturwandel im Einzelhandel. Ganz schön viel auf einmal, was bis dato in Teilbereichen betrachtet, sachbearbeitet und aktiviert wurde.
Ohne ISEK, da gab‘s dann ein Sportstättenentwicklungskonzept – alleine schon der Name. Auch das brandenburgische Senftenberg, Isselburg in Nordrhein-Westfalen und Ludwigshafen in der Pfalz haben sowas. Oder die Bedarfsplanung. Oder die Verkehrsplanung. Welche Abteilung da jetzt gerade was gemacht hatte und vor allem wie erfolgreich sie war, schwierig zu sagen.
„Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir das zusammenführen müssen, um Ressourcen zu schonen und ganzheitlich zu schauen: Wohin soll es denn mit Gifhorn überhaupt gehen?“, erklärt Stadtbaurat Oliver Bley. Die Probleme der Zukunft, sie hängen zusammen, kleben aneinander und können nur gelöst werden, wenn ein neuer Plan entsteht.
Ein Kernteam im Rathaus, bestehend aus vier Personen, begleitet das Projekt von der Idee bis zum letzten strategischen Ziel: Da wären Oliver Bley als Projektleiter, Maike Klesen als Leiterin des Fachbereichs Stadtentwicklung, Kathrin Bünder als Projektassistenz und Rebecca Koch für die Öffentlichkeitsarbeit. In der ersten Phase wurde die gesamte Verwaltung zu einem Workshop eingeladen – jeder sollte zumindest mal vom ISEK gehört haben, wenngleich natürlich nicht alle 550 Angestellten involviert sind.
Dann wäre da die Politik: Der Stadtrat, der im Juli vor zwei Jahren grünes Licht gab, ist immer eingebunden. Dem Projektteam sei wichtig, nicht im stillen Kämmerlein einen Plan auszuhecken, „sondern in kleineren Schritten zu arbeiten, um der Politik immer die Möglichkeit zu geben, die Zwischenergebnisse zu beraten und Beschlüsse fassen zu können“, so Oliver Bley. Zuletzt war dies im Januar bei der Gremienpräsentation so.
Als dritter Akteur ist dann Umbau-Stadt zu nennen. Das Berliner Planungsbüro berät inhaltlich und methodisch, wertet Daten aus und analysiert. Ganz am Anfang reisten sie für lange Zeit durch Gifhorn, an den Schlosssee, in die Ortsteile, machten Luftaufnahmen. „Bestimmte Punkte sind bei der Erstellung eines ISEK in vielen Kommunen ähnlich“, erklärt Projektleiter Bley. „Sie wissen um Trends und Entwicklungen.“ Tagesgeschäft sozusagen, die Methodik ist übertragbar.
Denn eines muss gesagt sein: Ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept ist keine Neuerfindung mit Gifhorner Patent. Ganz im Gegenteil. Inzwischen ist es sowas wie die Eintrittskarte zum politischen Gelddepot: Nur wer ausgeklügelte Konzepte anzubieten hat, kommt in die Förderprogramme von EU, Bund und Land. „Ein ISEK ist da Voraussetzung“, so Oliver Bley. Deshalb kann sich das Kernteam nicht nur auf die Beratung des Planungsbüros verlassen, sondern auch in anderen Mittelzentren, die wie Gifhorn ticken, nachfragen, worauf es ankommt.
Projektleiter Oliver Bley greift bei der Ausformulierung des ISEK-Leitbilds auch auf die Ergebnisse der Bürgerumfrage zurück.
Foto: Michael Uhmeyer
Neben dem Workshop für die Verwaltung wurden in Expertenrunden auch andere wichtige Gifhorner Akteure wie die Wohnungsbau-Gesellschaft und die City-Gemeinschaft befragt. Bloß niemanden ausschließen – und schon gar nicht die Gifhornerinnen und Gifhorner. Bei Präsenzabenden und in einer großen Online-Umfrage durften sie ihrer Meinungen freien Lauf lassen, Wertungen abgeben, Wünsche äußern. Einzelne Graphiken finden Sie, liebe Leserinnen und Leser, auf diesen Seiten.
Ob es Punkte gibt, die in der Auswertung der Umfrage überrascht haben? Oliver Bley schüttelt den Kopf: „Das große Aha war nicht dabei. Im Grunde gibt es viele Menschen, die sich in ihrem Lebensumfeld hier wohlfühlen. Das ist eine gute Grundlage für das ISEK. Für uns stellt sich nun die Aufgabe, wie wir diese positiven Dinge noch besser machen und die Gefahren, die womöglich lauern, eliminieren.“
Mit Gefahren meint Gifhorns Stadtbaurat sowas wie den Trading-Down-Effekt, also das pulsierende Leben in der Innenstadt mit Cafés, Boutiquen und Bekleidungsgesschäften, was aus unterschiedlichen, ineinandergreifenden Prozessen leeren Straßen, leeren Kassen und damit Leerstand weicht. Wie ein Dominostein nach dem nächsten automatisch umfällt. Oliver Bley erinnert an den Heidesee: „Den gibt‘s jetzt nicht mehr.“ Und selbst als es ihn noch gab, sei zuerst die Gastronomie verschwunden. „Es gibt Notwendigkeiten, diese Bereiche zu identifizieren und zu schützen.“
Klar, die Umfrage ist nicht repräsentativ. Aber es zeigen sich dennoch mitunter sehr spannende Bewertungen der Gifhornerinnen und Gifhorner. Wie bei der Zufriedenheit mit den Wohnwelten. Herr Bley, wie konnte es denn zu diesen grauenhaften Zahlen kommen? „Es steht außer Frage, dass wir in einer Region leben, die nach wie vor wächst und wo der Wohnraum ein nachgefragtes Gut ist. Er ist nicht beliebig verfügbar. Wir leben zum Glück nicht in einer schrumpfenden Region. Wenn ich an Teile Niedersachsens denke, wo wir viel Leerstand vorfinden, hätten wir diesen Wert eventuell nicht.“ Natürlich wünsche man sich viele erfüllte Wohnträume, so Oliver Bley. Doch: „Wenn man realistisch ist, muss man irgendwo Abstriche machen. Die eierlegende Wollmilchsau aus Einfamilienhaus, im Grünen, mit sehr guter Verkehrsanbindung an die Schulen und Nahversorgung, aber auch zu einem günstigen Preis wird es in der Regel nicht geben.“
Wie sich zeigt, schätzen viele Gifhornerinnen und Gifhorner das Kleine und Beschauliche, sie wünschen sich den Erhalt des Charakters, aber auch mehr Freizeitangebote und Leben in der Innenstadt. Und da kommt wieder das ISEK ins Spiel. Die Zukunftsfähigkeit der Innenstadt sei das vordere Ziel, unterstreicht Oliver Bley: „Die muss erhalten und verbessert werden.“ Und das soll über die erwähnten Förderanträge geschehen.
Diese müssen bis Mitte 2024 gestellt sein. Was bedeutet, dass die zweite Phase des ISEK-Plans, in der wir uns gerade befinden, nämlich die Leitbildentwicklung, nicht ewig andauern kann – denn sonst wird‘s hinten raus eng. Schließlich geht‘s bei der Maßnahmenerstellung, der dritten Phase, dann in die Vollen. Sie sei für alle beteiligten Akteure – die Verwaltung, die Politik, die Bürgerinnen und Bürger – „am greifbarsten“, so Oliver Bley. Am Schluss steht eine lange Liste von kleinteiligen konkreten Maßnahmen und langfristigen strategischen Zielen. Am besten, so der Projektleiter, decke eine Maßnahme mehrere Belange und Bedarfe ab, dann sei sie besonders wertvoll für das gesamte Konzept und die Stadtentwicklung Gifhorns. Und das alles vor den eingangs angesprochenen Disruptionen Klimakrise, Pandemie-Folgen, Umwälzung der Arbeitswelt.
„Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept ist kein Thema nur für Großstädte. Wir sind da als Mittelstadt mit unserer Größe in guter Gesellschaft“, stellt Oliver Bley ein letztes Mal klar. Aber nur wenn Gifhorn an die nächsten 10, 15 oder gar 20 Jahre denkt, bekommt es die nötigen Euros aus Berlin, Hannover oder Brüssel. Und dafür muss das ISEK her. Schließlich soll die Reise in die Zukunft nicht vorschnell storniert werden.
Alle Infos und Umfrageergebnisse:
isek.stadt-gifhorn.de