Kopfüber
Über Butter am Ellbogen: Unser Kolumnist Malte Schönfeld meint, wir sollten Warnung und Klimakatastrophe ernst nehmen
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 27.07.2025
Warnungen auszusprechen, sollte Schäden abwenden – ob am Frühstückstisch oder hinsichtlich des globalen Klimas. KURT-Redaktionsleiter Malte Schönfeld meint, dass wir einer Warnungsmüdigkeit entgegenwirken sollten.
Foto: KURT Media via Dall-E
„Pass auf, Du hast da Butter am Ellbogen“, schreckt eine Freundin aufmerksam auf und wedelt mit dem ausgestreckten Zeigefinger. Den Arm eingedreht und den Hals verrenkt, kann ich es kaum erkennen, aber ja, doch, da bin ich wohl ungestüm über den Frühstückstisch gefahren und habe die butterweiche Butter touchiert. Beinahe hätte ich mich abgestützt, dann wäre das Malheur passiert, ein grässlicher Fettfleck auf der hellblauen Tischdecke. Das Unheil konnte, der Warnung sei Dank, abgewendet werden.
Vor Kurzem wollte ich unbedingt die unabgeschlossene thomasmannpädophile High-Fantasy-Buchreihe zur softpornografischen Mittelalter-Drachen-Übererfolgsserie „Game of Thrones“ wieder lesen. Ich denke, ich brauche hier nicht weiter auszuführen, worum es da jetzt genau geht. Weil ich den ersten Teil nicht als Printausgabe besitze und mir auch für 18 Euro im Neukauf ein wenig zu geizig war, googelte ich einfach „das lied von eis und feuer band eins pdf“. Verblüfft stellte ich beim Lesen der Lektüre fest, dass einem vor allem ein Satz ins Gedächtnis gehämmert wird: Der Winter naht. Das hatte ich ganz vergessen. Immer wieder. Der Winter naht. Wie der Ruf der Kassandra. Im Buch ist es eine Mahnung, die keiner mehr ernst nimmt – bis es zu spät ist. Winter heißt im Kosmos dieser Welt jedenfalls weniger Frost und kalte Füße, sondern apokalyptische Zombies aus dem Norden.
Es gibt eine Warnungsmüdigkeit, auch bei uns, in der echten Welt, die vermehrt zu defätistischem Einigeln führt. Wir sehen das beim Klima. Ob man es jetzt Klimawandel oder Klimakatastrophe nennt – das ist eine Frage der Rhetorik. Beide Begriffe, sie meinen im Endeffekt aber dasselbe: Das gibt Stress, das endet tödlich.
Wenn in Gifhorn einmal 38 Grad gemessen werden, dann ist das nichts Neues. Hitzemomente gab‘s früher schon. Oder anders gesagt: Wir hatten bereits häufiger Butter am Ellbogen; jetzt aber lehnen wir uns extra noch in die Butterdose und pressen den Arm mit aller Gewalt auf die schöne Tischdecke mit den Blumen, die wir von Mama und Papa geerbt haben. Zumal sich auch die unaufgeklärten Apologeten inzwischen wundern, warum die Dürre so lange anhält und der Regen auf dem vertrockneten Garten sofort verdampft.
Noch bis 31. August läuft die Umfrage zum Klimaanpassungskonzept. Im Gifhorner Rathaus möchten man wissen, was die Bürger klimatisch erleben und wie sie darauf reagieren. Horrende Schäden nach Überflutungen, gelber Rasen, der nicht mehr bewässert wird, Einkaufen nur noch morgens und abends, mehr Speichermöglichkeiten für Regenwasser, Homeoffice statt Hitzebüro – die privaten Erfahrungen sehen ganz unterschiedlich aus. Doch wichtig ist: sich überhaupt mit dem eigenen Befinden beschäftigen und Veränderungen feststellen. Die Stadt soll klimarobust werden. Doch wie klimarobust bin ich selbst?
Permanente Alarmbereitschaft macht uns empfindungslos, das ist wohl wahr. Wahr ist aber auch, dass Verdrängung zu Stress führt. Und das Klima auszublenden, nun, das ist unmöglich. Möchten wir also in einer dauerhaften Angststörung leben? Vermutlich nicht. Genauso wenig wie wir unser Leben lang mit Butter am Arm durch die Weltgeschichte spazieren möchten.