Glauben & Zweifeln

Diese Kirche kann unmöglich meine Kirche sein - KURT-Kolumnist Malte Schönfeld erklärt seinen Austritt

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 13.01.2022
Diese Kirche kann unmöglich meine Kirche sein - KURT-Kolumnist Malte Schönfeld erklärt seinen Austritt

KURT-Kolumnist Malte Schönfeld (rechts) plant seinen Austritt aus der katholischen Kirche, er sagt: „Diese Kirche kann unmöglich meine Kirche sein.“ Martin Wrasmann, Autor der Kolumne „Glauben & Zweifeln“ erwidert, dass es durchaus gute Gründe gibt, auch bei Bedenken in der Kirche zu bleiben.

Foto: Michael Uhmeyer

KURT-Kolumnist Malte Schönfeld ist sich sicher: Ich trete aus der katholischen Kirche aus. Der Entschluss steht für den Volontär fest, und er macht ihn fest an den (Missbrauchs-)Skandalen, dem unvollständigen Laizismus und der Ablösung des kirchlichen Glaubens zugunsten eines individuellen Glaubens. Die Antwort von Martin Wrasmann, Autor der Kolumne „Glauben & Zweifeln“, warum es bei aller Kritik auch gute Gründe gibt, um in der Kirche zu bleiben, haben wir für Sie in der Infobox verlinkt.

Ich bin katholisch getauft und muss neun oder zehn Jahre alt gewesen sein, als mich meine Religionslehrerin in der Grundschule fragte, ob ich an Gott glauben würde. Nach einigen Sekunden des Überlegens antwortete ich: „Es kann gut sein, dass es Gott gibt. Aber vielleicht auch nicht.“ Heute weiß ich: Mein Glaube knüpfte sich an die Existenz. Wenn er ist, dann glaube ich. Wenn er nicht ist, glaube ich auch nicht. Ich wollte mir auch ein Hintertürchen offen halten, weil ich Angst hatte, eine schlechte Note zu bekommen.

Auf dem Gymnasium habe ich weiter den katholischen Religionsunterricht besucht. Ich mochte meinen Lehrer. Seine Themenauswahl erschien mir modern, die Kurse dankten es ihm mit reichlich Meinung. Gibt es die Seele? Was ist Ehrfurcht? Einmal sollten wir Kurzvorträge vorbereiten, wir lasen Hans Küng, Blaise Pascal und Sigmund Freud. Ich dachte mir: Wir dürfen Kritik an dem Fach äußern, das wir gerade versuchen zu lernen. In der Oberstufe diskutierten wir über die Sterbehilfe – es hatte mir schon immer mehr Spaß bereitet, die Sterbehilfe und nicht die Kurven zu diskutieren. Mündlich bekam ich 15 Punkte, schriftlich vier.

Ungefähr zur selben Zeit. Wir sitzen bei meiner Familie im Garten, es ist Sommer, ich habe Geburtstag. Gerade hat die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika einen Gala-Auftritt hingelegt, Argentinien hatte beim 0:4 nicht den Hauch einer Chance. Mein rationaler Großcousin und meine gläubige Tante streiten sich. Wie denn Gott existieren könne bei all dem Leid, möchte er schließlich von ihr wissen. Das Theodizee-Problem, ein Totschlagargument. Sie möchte nicht diskutieren. In der Ferne hört man den Autokorso auf der Braunschweiger Straße.

Meine Beziehung zur katholischen Kirche war nie die beste. Schon als Kind langweilte ich mich häufig, wenn ich mit Oma und Opa in die Sonntagsmesse der St. Altfrid-Gemeinde ging. Meine Knie taten weh von den Holzbänken, mein Hintern auch. Manchmal fanden auch meine Großeltern die Messe langweilig, meistens, wenn die Predigt vom Pfarrer nicht saß. Wir gingen trotzdem regelmäßig hin. Einmal hielt ich eine Fürbitte. Beim Beichten fiel mir nichts ein, ich hatte dennoch das Gefühl, mich falsch verhalten zu haben. Am Tag meiner Heiligen Kommunion hielt ich die brennende Kerze schräg, mir tropfte das heiße Wachs auf den Handrücken. Von meinem Kommunionsgeld kaufte ich mir ein Fahrrad und eine PlayStation 2.

Im Nachgang ist es schwierig einzuordnen, wann wir uns getrennt haben, die Kirche und ich. Wahrscheinlich ging das doch relativ schnell. Je älter man wird, desto offener wird man für die Einflüsse des Lebens, der Kultur. Was hatte mir die Kirche noch zu bieten, was die Messen?

„Es darf keine Kirche geben, die so viel Macht in sich vereint“: KURT-Volontär Malte Schönfeld plant seinen Austritt.

Foto: Nelson Ndongala

Ich hörte den Papst und seine Vertreter reden. Über die Abtreibung, die Rechte und die Stellung der Frau generell, über Homosexualität, über Meinungsfreiheit. Ich stellte fest: Das katholische Menschenbild hatte mit dem Menschen nichts mehr zu tun. Vetternwirtschaft, Korruption, intransparente Geldflüsse, Schikanen gegen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – die Liste der Skandale und Kontroversen ist bibeldick.

Es hatte für mich nie den Anschein, als würden sie – die Skandale und Kontroversen – weniger, sondern eher mehr. Was war mit dem sexuellen Missbrauch und den Vergewaltigungen an Kindern und Jugendlichen, deren Aufklärung stets verdunkelt wurde? Nicht nur in Deutschland, auch in den USA, Kanada, Australien und Irland kamen die finsteren Schrecken ans Licht. Und im Grunde genommen überall, wo es die katholische Kirche gibt.

Doch nie war es die Kirche, die sich um Aufklärung bemühte. Leben wurden zerstört, doch die Bischöfe und Kardinäle verschleierten. Sie hinderten. Noch heute werden die Täter geschützt – und die Opfer verhöhnt. Und wer glaubt, diese Übergriffe hätten sich nun wie von alleine eingestellt, der glaubt auch, dass es möglich sei, über Wasser zu laufen.

Es kann keinen Gott geben, denke ich mir, ohne es zu wissen. Noch wichtiger aber ist: Es darf keine Kirche geben, keine Institution, die so viel Macht in sich vereint.

Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, wir lebten in einem laizistischen Land. Säkularisiert ja, laizistisch nein. Noch immer gibt es den Religionsunterricht. Noch immer wird über Kruzifixe in Amtszimmern und Kopftüchern bei Beamtinnen debattiert. Noch immer führen wir christliche Feiertage ein. Noch immer dürfen Kanzler und Beamtinnen im Amtseid um Gottes Hilfe bitten. Noch immer erhalten in Deutschland die Kirchen jährlich über 500 Millionen Euro an Dotationen aus Steuermitteln, ein gesetzliches Fossil aus dem 19. Jahrhundert.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich verschoben. Die Gruppe der Agnostiker und Atheisten wächst. Auch sie begeben sich auf die Suche. Doch anstelle der Kirche tritt ein individueller
Glaube, der nicht institutionalisiert ist. Es ist der private Glaube, der die Beschaffenheit der Welt ganz selbstverständlich im Ungewissen lässt. Und wer Geschichten über Leben, Tod und Auferstehung erfahren möchte, schaut lieber „Game of Thrones“.

Mein Kirchenaustritt ist nur logisch. Diese Kirche kann unmöglich meine Kirche sein. Sie hat es zu verschulden, dass ich aufgehört habe zu glauben. Es gibt kein Hintertürchen mehr.

Lesen Sie hier die Antwort von Martin Wrasmann, Autor der Kolumne „Glauben & Zweifeln“: Meine Kirche gibt mir den Rahmen zur gesellschaflichen Veränderung.


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