Musik

Wir sind gewachsen – als Band, als Musiker und als Menschen: Wie nah Tod und Leben beieinander liegen, klären B and the Rattlesnakes im KURT-Interview

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 30.05.2021
Wir sind gewachsen – als Band, als Musiker und als Menschen: Wie nah Tod und Leben beieinander liegen, klären B and the Rattlesnakes im KURT-Interview

B and the Rattlesnakes brennen auf ihr nächstes Live-Konzert – wie hier beim Gifhorner Altstadtfest im Sommer 2018.

Foto: Michael Uhmeyer

Das Album klingt wie das perfekte Radioprogramm: abwechslungsreich, mit enormer Stilvielfalt und wechselnden Stimmungen – dabei kommt alles von ein und derselben Band. Mit „BatR One“ legen die fünf Gifhorner von B and the Rattlesnakes ein beeindruckendes Debüt vor, getragen von Schicksalsschlägen genauso wie von Glück. Im Interview mit KURT-Mitarbeiter Matthias Bosenick spricht Winfried „Winni“ Hummel über seinen lebensgefährlichen Unfall, Björn Gasa über den Tod seines Vaters und Sebastian „Basti“ Priebe über ein genauso kleines wie auch großes Geschenk, an das er und seine Frau schon beinahe nicht mehr geglaubt hatten. Und Sören „Sai“ Palucki und Fabian Wolschendorf blicken auf ihren Teil des wohl bewegendsten Jahres der Band-Geschichte zurück.

Winni, wie ist das mit Deinem Unfall eigentlich passiert?

Winni: Ich wurde spätabends als Fußgänger auf dem Dorf von einem Auto angefahren. Ich kam ins Krankenhaus. Ich war sofort ausgeknockt, ich konnte mich nicht an den Unfall erinnern, das war nur ein paar Schritte von der Wohnung weg, nach Hause konnte ich noch. Eine Nachbarin hat mich gesehen und den Rettungswagen gerufen. Ich blieb in Plau am See an der Mecklenburgischen Seenplatte bis Mitte Mai, erst Krankenhaus, dann Reha. Nach meiner Kopf-OP war meine Schädelplatte schließlich wieder komplett.

Björn: Wir waren Winni in Plau am See besuchen, und da haben wir einen getroffen, der auf einer Seite keine Schädelplatte mehr hatte, nur Haut, das hat man später zurückgebaut. Das war krass, es zu sehen und auch nicht zu wissen, wie es weitergeht. Das war fünf Wochen nach dem Unfall.

Er kann wieder lachen: Winfried Hummel ist nach schwerem Unfall genesen und zupft wieder den Bass.

Foto: Michael Uhmeyer

Basti: Wir haben gebetet, dass er überhaupt wieder aufwacht!

Björn: Am Anfang war die Sprache ein Problem, Sprachfindung, sie haben ihm Zettel hingelegt, da sollte er Worte zu Oberbegriffen zuordnen. Auch die Instrumente musste er wieder lernen: Bei uns spielt Winni Bass, beruflich Harfe.

Winni: Ich bin Orchestermusiker. Aufgrund von Corona waren die Theater zu, ich habe ewig nicht Harfe gespielt.

Björn: Wir haben im September das erste Mal wieder zusammen geprobt.

Basti: ...was einem Wunder gleicht! So ist der Song „2020“ entstanden, mit Strophen über jeden von uns.

Hat sich denn etwas wegen des Unfallfahrers ergeben?

Winni: Die Polizei hat ermittelt, aber den Fahrer nicht gefunden.

Björn, was passierte gleichzeitig mit Deinem Vater Ulli?

Björn: Der Februar hatte es in sich. Einen Tag vor Winnis Unfall kam mein Vater mit einer Bauchspeicheldrüsenentzündung ins Krankenhaus. Von einem Tag auf den anderen hatte er Bauchschmerzen. Er kam nach Berlin in die Charité und ist im August verstorben.

Ein halbes Jahr hat ein guter Freund von mir vor Ort um ihn gekämpft. Vermutlich hatte ein Gallenstein alles ausgelöst, es kam zu Gefäßzerstörungen und Entzündungen. Anfangs sah es noch so aus, als würden sie es packen, aber sie haben am Ende nichts mehr tun können. In der Folge ist ein Song entstanden, der letzte Song auf der Platte („Lausche dem Wind“). Der war nicht geplant. Ich brauchte Ablenkung und habe eine alte Gitarrenskizze von Sai gefunden und einen Text dazu gemacht, der war eigentlich für Sai gedacht. Ich habe dann aber gemerkt, das könnte man den Lebenden und den Verstorbenen widmen. Die Zeit von Februar bis August hat mich mitgenommen, Corona war mir scheißegal.

Ulli und Moni Gasa unterstützten die Band vom ersten Tag an. Leider verstarb „Papasnake“ im vergangenen Jahr. Ein Teil des Albums ist ihm gewidmet.

Foto: Michael Uhmeyer (Archiv)

Mein Vater war für uns stets Support, er war immer mittendrin. Wir haben ihm ein persönliches Bandshirt gemacht, das hat er nie mehr angezogen. Meine Mutter hat uns in seinem Namen Geld für die Produktion der CD vermacht. Die Finanzierung über Live-Konzerte fiel durch Corona ja aus. Man lernt: Sowas passiert, niemand ist schuld daran, Du kannst nur lernen, damit zu leben, damit umzugehen. Band, Freundschaft, Familie bringen mich weiter. Ich konnte es musikalisch verarbeiten und habe das damit ein gutes Stück geschafft. Du schleppst es nicht mehr mit Dir rum.

Basti, welche Geschichte steckt hinter der Geburt Deines Kindes?

Basti: Die bösen Geschichten haben uns noch mehr zusammengeschweißt als Band, wir haben gesagt, jetzt erst recht, die CD wird es geben, und wenn nicht mit Winni, dann für ihn. Zum Glück sind wir jetzt zu fünft hier. Wir haben noch mehr an unserem Ziel gearbeitet. Tod und Leben liegen nah beieinander. Meine Frau und ich hatten jahrelang den Kinderwunsch und dabei lauter Rückschläge: Auf natürlichem Weg geht‘s nicht. Und es ist schließlich rausgekommen: Das liegt an mir.

Also sind wir in eine Kinderwunschklinik gegangen, da haben drei Vorversuche nicht geklappt. Aber im Juni haben wir dann erfahren, dass der erste richtige Versuch geklappt hat. Im Januar ist Ben geboren, alles gesund, alles dran – ich platze vor Stolz. Wir haben gehofft, wir haben gebangt, und ich dachte: Andere schieben den Kinderwagen, Du schiebst nur Frust – es hat geklappt!

Geschenke, auf die man lange wartet, erfreuen besonders: Basti Priebe mit Frau Sarah und Sohn Ben.

Foto: Privat

Sören, wie sieht Dein Teil der Geschichte aus?

Sören: Das Jahr hat angefangen, wir haben gestartet mit den ersten Aufnahmen, voll motiviert. Dann kamen die Nachrichten, das haut einen vom Hocker. Für die Platte ist mir die Motivation flöten gegangen. Ich hatte das im Hinterkopf, wir wollen die Platte machen, aber alles musste sich rütteln und schütteln. Dann habe ich die Federführung übernommen für die Aufnahmen und die Vorproduktion. Im Oktober kam der Punkt, da habe ich gesagt, Leute, wir müssen Gas geben. Ich habe ein DIN-A3-Chart gemacht, mit Wachsmalstiften, mit den Songs und den Instrumenten drauf, das Masterchart: Jetzt geht‘s los.

Drei Monate gab es für mich nur noch Arbeit und Platte. Die Jungs kamen nach und nach alle zu mir und haben ihre Aufnahmen gemacht. Wir haben Erfolge gefeiert und Tränen geweint. Das war eine intensive Reise. Wir sind gewachsen als Band, als Musiker und als Menschen.

Björn: Zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt war alles dabei – uns einzufangen, ist echt eine harte Nummer gewesen.

Fabian, wie erging es Dir?

Fabian: Als das Winni passierte, das war krass, ich war 300 Kilometer von Gifhorn entfernt und bekam mehrere Anrufe von Basti, der mich nicht erreichte, das machte schon so ein merkwürdiges Gefühl. Als ich Björn erreichen konnte, erfuhr ich von Winnis Unfall und dass Björns Vater ins Krankenhaus gekommen ist. Die Nachrichten waren schockierend für mich und ich hatte das Gefühl, schnellstmöglich nach Hause fahren zu müssen. Am gleichen Abend trafen wir uns alle bei Basti, sind spazieren gegangen und haben darüber gequatscht, was passiert ist.

Es war klar, dass wir zusammenkommen und einander Halt geben. 2020 habe ich mir viele Gedanken über meine Lebenssituation gemacht. Eigentlich hatte ich alles, was ich wollte: Meine Beziehung, meine Familie und Freunde um mich herum, die Band und die Musik und meine Arbeit in Braunschweig alles takko, und ich war irgendwie trotzdem nicht zufrieden. Ich habe versucht, Weichen zu stellen, den Lehrer zu reduzieren und eine Coaching-Ausbildung zu machen. Das gab mir viel Energie und ich kann heute sagen, dass das eine der wertvollsten Erfahrungen meines Lebens ist.

Durch Corona sind Konzerte weggefallen, die Energie geben. Feedback von Menschen, denen man mit Musik eine Freude macht, blieb aus. Wenn man irgendwo spielt, wo einen die Leute nicht kennen, und die dann stehenbleiben und Feedback geben: Ihr strahlt so viel Energie aus. Wenn das wegfällt, ist es schwierig.

Die CD-Produktion kann man wohl als Achterbahnfahrt beschreiben. Dabei habe ich die Meetings bei Sai zum Aufnehmen, Kaffeetrinken, Quatschen, Planen sehr genossen. Bei diesem Prozess haben wir uns als Band noch mehr ausgetauscht, was zu noch mehr Offenheit auch nach außen geführt hat. Diese Ehrlichkeit und Authentizität bedeuten mir sehr viel und sind auch auf der CD zu hören. Der Kern ist: Wir verbinden uns miteinander und bilden eine Einheit, das ist ein geiles Gefühl.


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