Glauben & Zweifeln

Wer wirken möchte, bleibt in der Kirche - KURT-Kolumnist Martin Wrasmann erklärt, warum ein Austritt keine Option ist

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 16.01.2022
Wer wirken möchte, bleibt in der Kirche - KURT-Kolumnist Martin Wrasmann erklärt, warum ein Austritt keine Option ist

Theologe Martin Wrasmann antwortet KURT-Volontär Malte Schönfeld auf seinen Plan, aus der Kirche auszutreten, mit einem Brief.

Foto: Michael Uhmeyer

KURT-Volontär Malte Schönfeld plant, aus der katholischen Kirche auszutreten, seine Ambitionen schildert er in einem Statement, das wir in der Infobox für Sie verlinkt haben. Martin Wrasmann, katholischer Theologe aus Gifhorn und KURT-Kolumnist, pflichtet ihm in einigen Punkten bei, hält aber dagegen: Um für eine bessere und gerechtere Welt zu wirken, kann es von Vorteil sein, der katholischen Kirche weiter anzugehören.

Lieber Malte, Deine knallharte Abrechnung mit der katholischen Kirche hat eine Logik, die sowohl aus Deinen biographischen wie auch aus allgemeinen Erfahrungen nachvollziehbar ist und der ich auch als ein Mensch in der Kirche in wesentlichen Zügen nicht widersprechen kann und will, bis auf Deine Einschätzungen zum Laizismus beziehungsweise Säkularismus. Dazu später.

Du hast Deine Trennung vollzogen, ich bleibe drin, obwohl wir eine ähnliche Kritik haben an geschichtlichem und konkretem Erscheinungsbild, zumindest in den Punkten, die Du aufführst.
Meine Entscheidung, drin zu bleiben, rührt aus meiner Biographie und einer großen Leidenschaft für das Evangelium Jesu Christi: „Er hat mich gesandt, / damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde / und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze.“ Gerade jetzt im Advent stoße ich immer wieder an die großen Verheißungsworte des Alten Testaments: „Jetzt aber – so spricht der HERR, / der Dich erschaffen hat, Jakob, / und der Dich geformt hat, Israel: Fürchte Dich nicht, denn ich habe Dich ausgelöst, / ich habe Dich beim Namen gerufen, Du gehörst mir! Wenn Du durchs Wasser schreitest, bin ich bei Dir, / wenn durch Ströme, dann reißen sie Dich nicht fort. Wenn Du durchs Feuer gehst, wirst Du nicht versengt, / keine Flamme wird Dich verbrennen.“

Die Person Jesu und seine Art zu handeln und zu glauben ist die prägende Grundlage für mein Verbleiben in der Kirche: Jesus war weder ein Narr noch ein Rebell, aber offensichtlich beiden zum Verwechseln ähnlich. Schließlich wurde er von Herodes als Narr verspottet, von seinen Landsleuten als Rebell ans Kreuz ausgeliefert. Wer ihm nachfolgt, muss damit rechnen, dieser Verwechslung zum Opfer zu fallen, immer neu und immer mehr. Der Kern der Botschaft Jesu treibt mich an, die Botschaft war und ist mystisch und politisch zugleich, eingewoben in einen Glauben an einen lebensschaffenden Gott und in einem Bild vom Menschen, der in seiner Würde unantastbar ist.

Du siehst also, Malte, in Deinem ersten Punkt habe ich mich so entschieden: Auch mein Glaube knüpft sich an die Existenz – weil er ist, darum glaube ich. Nun die alles entscheidende Frage: Braucht es zum Vollzug dieses Glaubens die Kirche? Jemand hat mal sehr pointiert formuliert: Jesus verkündete das Reich Gottes und was kam, war die Kirche. Ja, ich leide oft darunter, dass unsere Kirchen ihren eigenen Ansprüchen auf vielerlei Ebenen nicht gerecht werden. Ja, ich leider darunter, dass ich den eigenen Ansprüchen bezogen auf die Botschaft, an die ich so sehr glaube, hinterherhinke. Und gerade dennoch finde ich in meiner Kirche einen Ort des Aufstands, ich kann immer wieder aufstehen, auch dann, wenn ich versagt habe oder Ziele verfehlt habe.

Im Dialog: Martin Wrasmann (links) und Malte Schönfeld diskutieren den geplanten Kirchenaustritt des KURT-Volontärs.

Foto: Michael Uhmeyer

Die Botschaft des Evangeliums ist auf Gemeinschaft angelegt. „Wo zwei oder drei oder mehr zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“, ist eine theologische Grundfeste. Glaube ist kein Selbstzweck, sondern kontextualisiert sich in konkreten Lebensvollzügen. Ich leugne hier keineswegs die große Identitätskrise in der Kirche, im Volk Gottes, Religion ist für viele heute nicht einmal mehr Privatsache. Und zu viele zweifeln nicht einmal mehr, dass der Kirche tagtäglich der Verdacht entgegenschlägt, dass das Christentum nur noch mit verbrauchten Formen und Worten den Ängsten und Fragen, den Konflikten und Hoffnungen unserer Lebenswelt begegnet und nicht mal mehr trösten kann. Nun, Malte, kommt mein zweites und schwerstes Argument, warum ich bleibe und warum es die Kirchen braucht: Kein gesellschaftlicher Veränderungsprozess, historisch wie aktuell, kommt ohne Formen einer Vergemeinschaftung (Institutionalisierung) aus, für diese Vergemeinschaftung braucht es Verständigung (Regeln), über die gemeinsame Vision, über gleiche Ziele, über verständigte Haltungen.

Meine Kirche gibt mir diesen Rahmen vor. Wir haben eine Vision, die wir teilen. Würde ich über andere Formen von Vergemeinschaftung, in denen ich lebe – zum Beispiel dem Staat – meine ganze Kritik auskippen, müsste ich aus der Bundesrepublik Deutschland austreten, weil die Latte dessen, was nicht gut läuft, fast unermesslich ist. Tue ich nicht, weil diese demokratische Gesellschaft es mir ermöglicht, ja abfordert, daran mitzuwirken, sie zu verbessern, mit vielen anderen guten Willens.

Deshalb bleibe ich der Kirche treu, was für eine altmodische Vokabel, ja, weil sie mir es ermöglicht, für eine bessere, gerechtere Welt zu wirken, und ich vielen Träumer:innen immer wieder begegnet bin, die mir von ihren Hoffnungen und Erfahrungen berichtet und erzählt haben, wie sie aus der Kraft Gottes leben und handeln. Diesen Glauben teilen und feiern wir in der Kirche.

Und, Malte, als Kind der 68er haben mich große Geister geprägt, wie die Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer, die mich angetrieben haben, den Geist der Aufklärung im Geist des Evangeliums Jesu Christi zu entdecken. Oder jemand wie Heinrich Böll, dessen Zitat sich mit meiner Biographie verwoben hat:

„Ich überlasse es jedem Einzelnen, sich den Albtraum einer heidnischen Welt vorzustellen oder eine Welt, in der Gottlosigkeit konsequent praktiziert würde: Den Menschen in die Hände des Menschen fallen zu lassen. Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab für sie: Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.“
Ich durfte mit vielen Weggefährt:innen erfahren, auch hier in Gifhorn, dass die Botschaft Jesu Christi handlungsleitend war. Eine kirchliche Gemeinschaft in der Nachfolge Jesu hat es hinzunehmen, wenn sie von den Klugen und Mächtigen verachtet wird. Aber sie kann es sich nicht leisten – um Jesu willen –, von den Armen und Kleinen verachtet zu werden, von denen, die keinen Menschen haben. Sie nämlich sind die Privilegierten bei Jesus, sie müssen auch die Privilegierten in seiner Kirche sein.

Und darum, Malte, um auf Deine Laizismus-These zurückzukommen, glaube ich, sind die Kirchen schon lange keine Marktführer:innen in Sachen Moral und Wertehoheit. In der Tat, da stimme ich Dir zu, braucht es eine noch klarere Trennung von Kirche und Staat, vor allem, damit die Kirchen frei bleiben oder werden. Und es braucht eine radikale Transparenz über die finanziellen Mittel, die die Kirchen erhalten, aber da ist vieles auf einem klärenden Weg.

Für mich bleibt eines entscheidend: Gelingt es uns als Kirche, uns zu radikalisieren, also zu den Wurzeln (lat. radix) zurückzukehren und so der Botschaft des Evangeliums einen neuen breiten Raum zu geben? Ich bin da großer Hoffnung, weil wir vieles, auch hier in Gifhorn Positives erreicht haben. Ohne die Kirchen in unserer Stadt und ihren spirituellen, kulturellen und sozialen Impetus wäre das Antlitz von Gifhorn ziemlich blass. Deshalb werbe ich dafür, dass viele bleiben oder da wo sie sind, sich für den Kern der Botschaft Jesu einsetzen, in der Sprache der Weihnacht: Gott wird Mensch, damit der Mensch Mensch wird. Und wer Geschichten über Leben, Tod und Auferstehung erfahren möchte, schaut lieber in die Lebens- und Glaubensgeschichten von Menschen, das wäre mein Tipp, Malte.

Ich danke Dir für Deine offene Kritik, die ich auch in vielen Dingen teile, aber wie Du lesen durftest, im Grundsatz nicht. Ich freue mich über den Austausch mit Dir und weiteren konstruktiven Dialog.

Lesen Sie dazu das Statement von KURT-Kolumnist Malte Schönfeld: Diese Kirche kann unmöglich meine Kirche sein.

Martin Wrasmann, katholischer Theologe aus Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe gerne an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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