Glauben & Zweifeln

Wenn der Papst den Segen versagt, braucht es kirchlichen Ungehorsam - Der Vatikan lehnt homosexuelle Paare ab, segnet aber Tiere und Gebäude

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 02.05.2021
Wenn der Papst den Segen versagt, braucht es kirchlichen Ungehorsam - Der Vatikan lehnt homosexuelle Paare ab, segnet aber Tiere und Gebäude

Martin Wrasmann hat schon homosexuelle Paare gesegnet – und wird es wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen entgegen der Vatikan-Chuzpe auch weiterhin tun.

Foto: Çağla Canıdar

Wieder einmal hat eine Botschaft aus dem Vatikan für großen Aufruhr gesorgt: „Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?“ Papst Franziskus hat auf diese Frage eine lapidare Antwort gegeben: „Nein.“ Viele Gläubige und Verantwortliche in der katholischen Kirche, besonders in Deutschland, sind sprachlos über diesen neuerlichen Vorstoß aus der päpstlichen Behörde, zumal es in jüngster Zeit eine andere Tonalität in den Aussagen des Papstes gegeben hat: „Wenn jemand homosexuell ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?“ Während die katholische Kirche eine Rolle rückwärts hinlegt, ist der gesellschaftliche Diskurs deutlich weiter in Sachen Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

„Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ Fast genau 20 Jahre ist es her, dass sich Klaus Wowereit kurz vor seiner ersten Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin zu seinem Schwulsein bekannte. Seitdem und sicher auch schon Jahre zuvor hat es eine breite gesellschaftliche Diskussion über die grundsätzliche Akzeptanz diverser sexueller Beziehungsformen in Deutschland gegeben, wobei beileibe noch nicht der Endpunkt der Diskussion gekommen ist. Noch immer kann von keiner Gleichberechtigung unterschiedlicher sexueller Präferenzen die Rede sein. Es gibt immer noch eine Diskriminierung: Man wird ja noch sagen dürfen...

Aber, und das ist die gute Seite der Entwicklung, die Akzeptanz und Toleranz hat sich deutlich erhöht, auch durch das Coming-out von Menschen wie Klaus Wowereit und vielen Tausend mehr. Zwei große Organisationen tun sich indes schwer im Umgang mit Homosexualität: der Fußball und die katholische Kirche – ebenso etliche christliche Religionsgemeinschaften. Jedoch mit diametralem Befund.

Während die Vorstände von Fußballvereinen für Offenheit und Toleranz werben, folgt eine nicht zu unterschätzende Fan-Gemeinde diesem starken Impuls nicht. Derzeit seien „die Chancen gering, so einen Versuch (Coming-out) in der Bundesliga zu wagen und halbwegs unbeschadet davonzukommen“, schrieb Ex-Nationalspieler Philipp Lahm vor ein paar Wochen. Denn sowohl im Fußball als auch im Umfeld würde es vermutlich an Akzeptanz fehlen – sogar im eigenen Team, bei den Fans, erst recht bei den Gegnern. „Gebrüllte Beleidigungen, Beschimpfungen und diffamierende Äußerungen“ wären die Folge: „Wer würde das aushalten?“ Homosexualität widerspricht scheinbar dem traditionellen Rollenbild des starken Mannes.

In der katholischen Kirche läuft es umgekehrt. Da sagen die Führungsspitzen bis zum Papst klar, was sie von Partnerschaften außerhalb der Ehe von Mann und Frau halten. Die kirchliche Basis stimmt mit den Füßen ab und stellt sich in aller Breite gegen diese kirchliche Lehrmeinung. Hätten sich Generationen über die vergangenen Jahrhunderte an das Gebot des rein ehelichen Verkehrs gehalten, wären Milliarden von Menschen nicht geboren worden. Sicher kann man mit der kirchlichen Lehre argumentieren, dass die Liebe von Frau und Mann ein hohes Gut ist und seinen besonderen Wert hat – aber diese Überzeugung darf nicht gegen andere Lebensformen gestellt werden.

Deshalb ist es schon ungeheuer- und abenteuerlich, gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen zu verweigern, wie es vor wenigen Wochen der Papst gefordert hat. Als hätte die katholische Kirche ein Patentrecht auf Segen und könne bestimmen, wem er zu Teil wird und wem nicht. Dabei verkennt sie in ihrer Doktrin, dass es nur ein Ursprungsrecht auf Segen gibt – das liegt allein in den Händen Gottes, der seinen Segen jedermann und jederfrau zugesprochen hat: „Ich will Dich segnen und Du wirst ein Segen sein.“ (1. Mose 12,2).

Eltern geben den Segen an ihre Kinder weiter, damit sie wissen, dass Gott mit ihnen ist. Gerade in der katholischen Kirche ist es eine lange Tradition, in verschiedenen Lebenssituationen den Segen Gottes weiterzugeben. So werden Tiere gesegnet, Gebäude, die Felder, es gibt Segensfeiern zu vielen Anlässen. Die größte Segensaktion weltweit ist die Sternsingeraktion. Die sogenannten Heiligen Drei Könige bringen den Segen der Weihnacht in die Wohnungen und Häuser, zu allen Menschen, unabhängig von Herkunft und Geschlecht. Jedoch die Lebensgemeinschaft schwuler und lesbischer Paare wird nicht gesegnet, weil sie einen Lebensstil in permanenter Sünde führen – genauso wie alle unverheirateten Paare auch. Wenn jedoch das Freisein von Schuld die Bedingung für einen Segen ist, sollten wir das Segnen gänzlich einstellen.

Gerade der Segen ist gedacht als Stärkung in besonders belasteten Lebenssituationen: am Krankenbett, in persönlichen Krisen, in der Trauer. Und als Hoffnungszeichen in Hoch-Zeiten – wie bei Taufen, Eheschließungen, Familienjubiläen. Menschen suchen den Segen; immer wenn wir Segensfeiern anbieten, füllen sich die Gottesdienste. Ich würde Segen im inflationärsten aller Sinne verstehen und ihn verteilen wie das täglich Brot.

Das gilt auch für das Segnen homosexueller Paare. Ich habe schwule Paare gesegnet und werde es auch weiterhin tun, viele meiner Kolleg/innen auch. Seelsorger/innen, Hochschullehrer/innen und selbst Bischöfe haben sich gegen den päpstlichen Erlass gestellt. Hier ist kirchlicher Ungehorsam gefordert, das kann manchmal auch ein Segen sein.

Das Wort Segen leitet sich ab vom lateinischen benedicere, Gutes sagen. Klaus Wowereit musste sich noch selbst sagen, dass sein Schwulsein gut ist. Wir dürfen als Vertreter/innen der Kirche allen Paaren, auch denen gleichen Geschlechtes, Gutes sagen: Gut, dass es Euch gibt. Gut, dass Ihr Euch gefunden habt. Gut, dass Ihr Euch liebt. Seid gesegnet.

Martin Wrasmann, Pastoralreferent emeritus der St. Altfrid-Gemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe gerne an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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