KURTs Gastro-Serie
Wacholder auf der Zunge, die Hebriden im Herz - Wiertz Genussvoll verführt mit einem unvergleichlichen Gin-Tasting
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 28.10.2020
Lachfalten, rote Birne, Glasaugen: KURT-Tester Malte Schönfeld ist die große Rundreise der schottischen Gin-Spezialitäten ins Gesicht geschrieben. Fazit: Jeder einzelne Tropfen hat sich gelohnt
Foto: Çağla Canıdar
In unserer Gastro-Serie besucht KURT-Schnabulator Malte Schönfeld in der Regel die schönsten, interessantesten und typischsten Restaurants, Gasthäuser und Imbisse unserer Region. Egal, ob klassische deutsche Küche, mediterrane Ausflüge oder asiatische Spezialitäten – Gifhorns Lokale sind ein Garant für ausgefallenes Essen und Trinken. Diesmal ist alles ein wenig anders: Ein Gin-Tasting bei Wiertz Genussvoll – gelegen unweit des Gifhorner Marktplatzes in der Innenstadt – führt Malte und seine Begleitungen in die schottischen Grenzgebiete, geschmacklich zwischen Rotalge, Kubebenpfeffer und 57 Prozent brennender Heiterkeit.
Bisher blieb ich immer ziemlich cool, wenn meine Begleitung und ich uns zu einem Treffen verabredet hatten: Gutes Essen, ein netter Plausch, der auch mal zu nichts führen darf, vielleicht eine funky Limo oder ein kühles Bier, wir würden gern zahlen, schönen Tach noch und auf Wiedersehen.
Diesmal ist das alles aber ein bisschen anders, denn auf dem Abendprogramm steht das Gin-Tasting bei Wiertz Genussvoll, diesem reizenden Geschäft für Delikatessen, Kuchen und Kaffee, das Second-Breakfast am Vormittag und kleine Snacks am Nachmittag. Und natürlich Wiertz als Genuss-Stube für Whisky-Kenner, die sich hier den heißen Scheiß inklusive erstklassiger Beratung abholen können.
Egal, ob Neuling im Gin-Universum oder langjähriger Connaisseur, auch für Daniel Heers (links) und seinen Vater Erhard gab‘s eine Lehrstunde.
Foto: Çağla Canıdar
Aber ja, Gin-Tasting. Mit Gin kenne ich mich insofern aus, dass ich mir häufiger schon mal einen Gin Tonic reingeholfen habe. Die preisliche Obergrenze von 45 Euro pro Flasche wurde da nicht überschritten. Und dann weiß ich noch, dass die ehrwürdige Queen Mum – immerhin 102 Jahre ist sie geworden – bereits mittags mit dem Longdrink hinlangte.
Meine Begleitungen und ich halten ganz royal in einem Rolls-Royce-Schiff inklusive Chauffeur auf dem Marktplatz. Im Wiertz werden wir nach der obligatorischen Hygiene-Einweisung zu unserem Tisch gelenkt, und die Inhaber Sigrid und Jens „Jenne“ Wiertz eröffnen den Abend. Unser heutiger Kurführer ist Dietmar – genannt Didi – Schulz, der mit Alba Import geist- und geschmacksreiche Spirituosen nach Deutschland bringt und extra aus dem Hamburger Umland angereist ist. Didi, so sagt er, sei eher ein Whiskymensch, aber an dem monströs großen Thema Gin kämen er und seine Firma einfach nicht vorbei. Und nachdem Didi ein paar lustige Storys aus seiner Zeit auf Menorca erzählt, zieht er uns Geschmacksknospenlaien direkt den Zahn: „Das wird hier kein Longdrink-Abend.“
Um das zu verstehen, klärt der Buxtehuder mit nordisch-flinker Zunge erst mal auf: Gin kommt ursprünglich aus den Niederlanden, die Anfänge gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Die Basis ist ein Neutralalkohol, meist gebrannt aus Getreide, dem in den weiteren Verfahren sogenannte Botanicals hinzugefügt werden. Der Clou: Das Hauptaroma ist immer Wacholder (holländisch: Genever). Für weitere Aromen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, wobei sich zum Beispiel Angelikawurzel und Koriander etabliert haben.
Der Gin-Guide Dietmar „Didi“ Schulz macht den Abend zu einer (un)vergesslichen Lehrstunde.
Foto: Çağla Canıdar
So viel zur Einführung in die Gin-Wissenschaft. Was ist denn nun aber mit dem ersten Praxis-Semester? Da reichen Sigrid und Sericekraft Sharon bereits die ersten Gläser. Der Dizonv Gin de Bretagne ist für uns Einsteiger gedacht, um die Geschmacksnerven auf die Probe zu stellen: Fruchtig und maritim zugleich, denn zwei verschiedene Fenchel treffen unter anderem auf Seetang. Dazu kommt ein unverkennbarer Apfelbrandwein-Taste. Klare Anweisung vom Gin-Guide Didi: Erst pur probieren, dann mit Eiswürfeln sachte gegensteuern. Wer die alkoholische Schärfe wirklich gar nicht aushält, darf behutsam mit Tonic-Water ausdünnen.
Das geht ja ganz gut los. Didi kommt auf den nächsten Gin zu sprechen, während wir parallel dazu Weißweinschorle nippen. Der Barra Atlantic Gin macht seinem Namen alle Ehre, kommt er doch von der südlichsten Insel der äußeren Hebriden, wo es bis auf karge Felsen und feinen Sandstrand wenig gibt. Hier grüßt die Kegelrobbe den Krebs noch persönlich. Und geschmacklich bleiben wir an der Küste, denn neben Wacholder wird Rotalge als Hauptbotanical spürbar. Ein noch sehr junger Gin, die Destillerie wurde 2016 gegründet, aber mit klarer Kante.
Nach zwei mal 4cl-Gin und der Weißweinschorle ist unser Tisch schon etwas angetütert. Nicht weiter schlimm, denn unserem Nebentisch geht es genauso. Die Zwischenfragen an Didi werden mutiger, das heizt die Energie im Raume an. Und à propos heizen: Der Darnley‘s Navy Strenght ist als nächstes dran und schmeißt den Kessel mit über 57 Prozent jetzt mal so richtig an. Gutes Ding, hechelt einer aus der anderen Ecke des Raumes, aber warum nur so viele Umdrehungen? Didis Antwort: „Damit die Matrosen früher im Seekampf ihren Gin auf die Lunte kippen konnten. Die brannte danach trotzdem noch.“ Logisch, Feuer frei, gib her die Würze! Die exotischen Aromen von Zimt, Muskatnuss und schwarzem Pfeffer sind eine Party für sich.
Jens (links) und Sigrid Wiertz trafen Gin-Importeur Didi Schulz vor zehn Jahren auf einer Messe – der Kontakt riss nie ab.
Foto: Çağla Canıdar
Sigrid und Jenne wissen natürlich, dass man nicht nur auf die individuelle Standfestigkeit setzten darf. Deswegen stehen auf jedem Tischchen ein Korb mit Weißbrot und Butter. Eine tolle Idee, denn die Fette binden den Alkohol, dennoch bleibt die geschmackliche Neutralität gewahrt.
Aus der Pause, die alle Gäste zum Verschnaufen vor der Tür verbringen, erwartet uns Didi mit einem sozialdemokratischen Gin der Marke Isle of Harris. Denn, so verrät uns der Kenner, die Destillerie macht alles im DIY-Modus, schafft lieber fünf Arbeitsplätze auf der Insel, anstatt direkt an einen Betrieb zu verkaufen. Sympathisch – und das Flaschendesign erst! Ein Raunen geht durchs Wiertz. „Das Auge säuft eben mit“, scherzt Didi über den Gin mit unter anderem Zuckertang, Engelwurz und Kubebenpfeffer.
Sechs verschiedene Gin-Sorten standen beim Tasting von Wiertz Genussvoll auf der Agenda. Zweimal im Jahr wird dazu geladen, dazu kommen die sechs Whisky-Tastings. Ein Heidenspaß für Kenner und auch Laien!
Foto: Çağla Canıdar
Nach diesem 45-prozentigen Kindergeburtstag erdet uns der Hanseate mit einem Avva, hergestellt in einem Drei-Frauen-Betrieb, aufgrund seiner Fass-Füllung mit Farbanschlag und erwartungsvollen 55 Prozent. Das setzt rein! Die Tasting-Gemeinde reagiert euphorisch, die Kulisse wird lauter und hat gut einen drin. Hier rettet auch das Butterbrot nichts mehr. Eine ausgelassene Stimmung, die in den vergangenen Monaten doch gefehlt hat, wie man jetzt merkt, wo man weniger merkt.
Mit dem sechsten und letzten Gin führt uns das Tasting von Wiertz noch einmal zurück zum Darnley‘s und seinem Smoke and Zest. Eine komplexe Aromenlandschaft, die zwischen Zitrus, über Kiefernholz geräucherte lokale Gerste und den Hauptbotanicals Vogelbeere und Koriander diffundiert. Lese ich zumindest aus dem Heftchen ab, das uns bereitgelegt wurde, denn zu behaupten, ich würde das jetzt noch rausschmecken, wäre gelogen. Nach fünf Stunden funken meine Antennen gewaltig.
Ich schmiere mir noch ein letztes Butterbrot auf Alibi, verlasse meine Tasting-Gemeinde, um den letzten Zug zu bekommen. Ein tolles Erlebnis, ein einzigartiger Abend, sage ich mir im Zugabteil sitzend, und blicke etwas verduselt auf meinen Schottenrock.

Verena und Manfred Maßmann (im Vordergrund) verbrachten genauso wie Sabine Bösche und Marco Kumlehn einen Abend voller Wacholder.
Foto: Çağla Canıdar

Uuuuund tschüss! Die Stimmung bei Wiertz Genussvoll ist ausgelassen. Till Krause (von links), Jan Meißner und Dominik Dobberahn stoßen an.
Foto: Çağla Canıdar
Wiertz Genussvoll
Steinweg 12, Gifhorn
Mo. – Fr. 10 bis 18.30 Uhr
Sa. 10 bis 14 Uhr