Kunst

Völlig versunken in Wolken aus Zuckerwatte - Im Künstlerhaus Meinersen gibt‘s Virtual-Reality-Kunst zu entdecken

Marieke Eichner Veröffentlicht am 16.03.2023
Völlig versunken in Wolken aus Zuckerwatte - Im Künstlerhaus Meinersen gibt‘s Virtual-Reality-Kunst zu entdecken

Anfangs etwas unbeholfen entdeckt KURT-Volontärin Marieke Eichner mithilfe von Künstlerhaus-Stipendiatin Eunjeon Kim die bunten, immersiven Virtual-Reality-Welten der Künstlerin.

Foto: Michael Uhmeyer

Nach einem Jahr Stipendium im Künstlerhaus Meinersen zeigt Eunjeong Kim ihre Ausstellung „Floating Painting – Between analogue and digital“. KURT-Volontärin Marieke Eichner wagt den Selbstversuch in zwei Virtual-Reality-Werken.

Das macht Spaß. Das macht wirklich mega Spaß. Noch einmal drücke ich die Greif-Tasten und werfe das gelbe Objekt wie einen Ball in die Luft. „Boing“, sage ich grinsend. „Pling“, macht das Objekt.
Ich stehe im Künstlerhaus in Meinersen und habe zum ersten Mal in meinem Leben eine VR-Brille auf. Genau genommen stehe ich sogar in einem Kunstwerk, im Künstlerhaus. Um mich herum schweben bunte Objekte, alle in verschiedenen Größen, Formen und Farben. Wände sehe ich keine, auch einen Boden gibt’s nicht – nur einen alles umschließenden Horizont in allen Schattierungen des Regenbogens. Das ist das Werk von Eunjeong Kim, Stipendiatin des Künstlerhauses, die mich gerade davor bewahrt, über das Kabel zu stolpern, das die VR-Brille mit dem Computer verbindet. In meiner kindlichen Spielfreude habe ich mich darin verheddert, wie ein übermütiger Hund in der Leine.

Künstlerin Eunjeong Kim (rechts) hilft KURT-Volontärin Marieke Eichner beim Aufsetzen der VR-Brille.

Foto: Michael Uhmeyer

Zum Glück steht sie mir helfend zur Seite. Denn nicht erst die Erkundungstour in ihrem malerischen Raum, schon das Anlegen der VR-Brille samt der zwei Controller ist völlige Reizüberflutung für mich. Erst legt sie mir die Controller in die Hände, dann stülpt sie mir das Gestell über den Kopf, das zwei Bildschirme direkt vor meine Augen platziert. Ich muss blinzeln. „Hui, ist das bunt.“ Eunjeong lacht und legt meine Finger auf die Tasten der Controller. „Damit kannst Du Dich bewegen“, sie tippt auf meine Daumen. „Und damit kannst Du greifen.“ Ein Tippen an meine Zeige- und Mittelfinger. Zwei Tasten pro Hand, ein paar bunte Objekte vor mir – klingt machbar. Ich will losgehen – aber halt, da lag doch die Platte, auf der die VR-Brille und die Controller gelagert waren, vor mir. Die sehe ich jetzt natürlich nicht mehr. Automatisch schaue ich nach unten, aber da ist kein Boden, nur zwei weiße Handschuhe, die wie funktionale Handprothesen aussehen.

Dankbar höre ich das Knarren des Holzfußboden, als ich langsam vorwärts trete. Gut zu wissen, dass er noch da ist. Und mit ein paar Schritten ist es geschafft, angekommen am ersten Objekt. Aber, äh, wie war das jetzt noch mal mit den Tasten? Versuchsweise stupse ich in die lilafarbene Welle vor mir. „Mittelfinger“, souffliert Eunjeong von rechts hinter mir und ich drücke die Tasten. Die Welle macht einen kleinen Hopser und gibt einen fröhlichen Dreiklang von sich, der im Surround-Sound um meinen Kopf wabert. Aus dem Objekt steigen kleine farbige Kugeln wie Luftblasen empor. Sympathisch. Das mache ich gleich noch mal!

In einem der beiden Virtual-Reality-Werke der Künstlerin Eunjeong Kim können Betrachterinnen und Betrachter sogar mit den Objekten interagieren.

Foto: Michael Uhmeyer

Und je mehr Objekte ich greife und bewege, desto mehr erscheinen um mich herum. Manchmal weist mich Eunjeong aus dem Off auf sie hin, denn mittlerweile sind es so viele, ich kann sie nicht mehr zählen. Alle geben sie Geräusche und diese süßen bunten Luftblasen von sich, einige ändern ihre Farbe, wenn ich mit ihnen interagiere, um mich herum ein Raum voller Farbe, Klang – ich bin voller entdeckungsfreudiger Neugier, ganz versunken in dieser fröhlich-bunten Welt. Wirklich, ich bin begeistert – und habe Kopfschmerzen.

Eunjeong hilft mir aus der VR-Brille und nimmt mir die Controller ab. „Mir wird auch immer schwindelig“, sagt sie verständnisvoll. „Ich schaffe auch nur so 10 Minuten.“ Beinahe zwei Jahre habe sie an ihrem interaktiven VR-Werk gearbeitet, erzählt mir Eunjeong. Das Erstellen der Objekte, die Programmierung der Interaktion, die Auswahl der Geräusche – für sie sei das Werk sogar noch gar nicht abgeschlossen. „Manche Geräusche sind zu grell“, findet Eunjeong.

Der Screenshot zeigt einen Ausschnitt aus einer der bunten, immersiven VR-Welten.

Foto: Eunjeong Kim

Im kleineren VR-Raum im ersten Stock des Künstlerhauses muss ich zum Glück nicht laufen, interagieren und fürchten, über meine eigenen Füße zu stolpern. Eunjeong platziert mich auf eine Bank vor einen Fernseher, der ein einminütiges Video eines anderen malerischen Raumes in Dauerschleife zeigt. Die VR-Brille aufgesetzt, schon befinde ich mich im Video. Im 360-Grad-Blick erkenne ich bunte Enten, blaue Hortensien, grüne Blätter – alles völlig aus dem Größenzusammenhang gerissen. Auch hier herrscht viel Bewegung: In ihrer Form nicht zuzuordnende Objekte schlängeln sich durchs Bild, ein pink-gelber Riesen-Bonbon fällt mir auf den Kopf – reflexartig ducke ich mich. Da saust eine Zuckerstange an mir vorbei.

Das wuselige Getümmel umrahmt ein gelb-rosa Hintergrund. Unter mir wieder kein Boden, nur unbewegliche kleine graue Ärmchen. Ich bin seltsam körperlos in dieser Welt. Fast habe ich das Gefühl zu schweben, also greife ich nach der Holzbank unter mir und entdecke eine hüpfende rosa Wolke. Und noch eine. Und noch eine, da, über mir. Wenn ich mich jetzt auf die Bank legen würde, ich bin mir sicher, ich könnte in den Himmel greifen und mir ein Stück dieser Zuckerwatte herausrupfen.

Beim Betrachten der rosa Wolken in der VR-Welt von Künstlerin Eunjeong Kim bekommt KURT-Volontärin Marieke Eichner Lust auf Zuckerwatte.

Foto: Michael Uhmeyer

Während ich eine riesige Naschlust bekomme, erzählt Eunjeong, dass diese Welt in Meinersen entstanden sei. „Deswegen ist so viel Natur darin.“ Im Sommer habe sie viele Fotos gemacht. „Alles war so schön, hell und gelb – darum ist das Video auch so bunt.“

Zum Abschluss kocht sie mir noch einen Tee und drückt mir einen Keks in die Hand. Auf dem Parkplatz lehne ich mich an mein Auto, halte mein Gesicht in die grau-verschleierte Sonne und atme tief durch. Es riecht nach Frühling. Trotzdem hat die Welt noch diesen sonst so tristen braun-grauen Schleier aus rest-winterlicher Schmucklosigkeit. Jetzt finde ich ihn tröstend und habe das Gefühl, wieder in einer Welt angekommen zu sein, in der ich mich auskenne. Zufrieden knabbere ich den Keks, dann geht’s zurück in die Redaktion. Ein wenig Kopfschmerzen habe ich immer noch – und leider keine Bonbons.

Eunjeong Kim:
„Floating Painting – Between analogue and digital“

Ausstellung noch bis 19. März
jeweils Do., Sa., So. 15 bis 18 Uhr
Künstlerhaus
Hauptstraße 2, Meinersen


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