Kopfüber

Über den armen Winnetou: Kopfüber-Kolumnist Malte Schönfeld schreibt über den Apachen-Anführer, der sogar in Gifhorns Kneipen diskutiert wird

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 26.09.2022
Über den armen Winnetou: Kopfüber-Kolumnist Malte Schönfeld schreibt über den Apachen-Anführer, der sogar in Gifhorns Kneipen diskutiert wird

Wie in den 1960er Jahren – plötzlich ist Winnetou, die Figur aus den Bücher von Karl May, wieder in aller Munde. Diskutiert wird die Frage, ob die Gesellschaft und Medien nicht anders mit der Kultur indigener Völker umzugehen haben. Die Winnetou-Festspiele in Bad Segeberg jedenfalls haben in diesem Jahr Rekordzuschauerzahlen erreicht.

Foto: Pixabay

Na, liebe Leser, haben Sie nun auch Ihren Kopfschmuck und Ihre roten Knallplättchen in die Restmüll-Tonne gehauen?

Gut einen Monat ist es her, dass das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ vom Ravensburger-Verlag zurückgezogen wurde. Das Feedback habe gezeigt, dass „die Gefühle anderer verletzt“ wurden. Damit sind sicherlich die Gefühle der Indigenen gemeint. Also derjenigen, die landläufig weiterhin als Indianer bezeichnet werden und rassistischen Stereotypen ausgesetzt sind. Obwohl jedes Kind in der Schule lernt, dass Kolumbus nicht in Indien an Land gegangen ist. Der Verlag versprach: „Wir lernen daraus!“

Bis zu dieser Erklärung ging es zu keinem Zeitpunkt darum, die Geschichten von Karl May, die Filme aus den 60ern oder die Festspiele in Bad Segeberg zu verbieten. Ganz im Gegenteil: Die Festspiele feierten sogar einen Zuschauerrekord.

Was allerdings passierte: Die Bild traute dem Braten nicht, witterte eine Selbstzensur. Erst wird gewittert, dann wird getwittert. Andere Journalistinnen und Journalisten sprangen auf den Zug auf, ohne nachzuschauen, von wo diese Aktion kam. Das hat der Kommunikationsberater Mirko Lange eindrucksvoll in seiner Daten-Analyse „Der erfundene Shitstorm – Chronologie eines Medienversagens“ aufgezeigt.

Folglich verschob sich dieses Phänomen, das künstlich von so manchem Journalisten hochgejazzt wurde, in die echte Welt bis in die Kneipen Gifhorns. Das Problem: Menschen trauen ihrem Facebook-Feed und Bild. Dabei fehlt dem Feed eine Redaktion. Und Bild sammelt Jahr für Jahr die Rügen des Presserats als wären es edle Auszeichnungen. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung sind es schon wieder elf. Wer Bild blind glaubt, kann es mit der Wahrheit nicht so ernst meinen.

Der arme Winnetou. Noch immer wird der Völkermord an der indigenen Bevölkerung weitestgehend verschwiegen, noch immer ist der blonde Weiße mit dem Henrystutzen in der Hose der Held und Frauenschwarm. Wie gerecht geht‘s mit dem Apachen-Anführer zu?

Wir dürfen an dieser Stelle natürlich nicht vergessen, dass es sich beim Wild-West-Kosmos von Karl May und seinem Winnetou um ausgedachte Geschichten handelt. Zur Verteidigung: Geschichten sind anderen Regeln unterworfen als das echte Leben.

Und wir dürfen ebenfalls nicht außer Acht lassen, was für eine Kraft diese Geschichten entfalten können: Für viele unserer Väter und Großväter waren die Bücher eine phantastische Reise, als Deutschland in Trümmern lag. Der Schatz im Silbersee – wie das schon klingt! Und Winnetou erst, nicht so ein knochenharter Macho-Haudrauf, sondern ein besonnener, rechtschaffender Mann, der Streitigkeiten immer lieber verhandelt hätte als zu schießen.

Entscheidend aber ist, was diejenigen sagen, die hier als Vorlage dienen: die Indigenen selbst. Schließlich wurde ihr Lebensraum geraubt, ihre Kultur zerstört und ihre Identität so gut wie ausgelöscht. Und siehe da: Da ist die Kritik sowohl am alten Karl-May-Stoff als auch am „Jungen Häuptling Winnetou“ deutlich – natürlich nicht auf bild.de.

Niemand ist Fan davon, als ein wandelndes Stereotyp angesehen zu werden. Auch ich trage weder preußische Pickelhaube noch bayerische Lederhose, und meinen SS-Dolch muss ich auch in der Heide verloren haben. Ja, gegen ein Bier habe ich nichts einzuwenden, da mag das Stereotyp stimmen. Gern auch in einem Gifhorner Biergarten. Und doch muss eines klargestellt werden: Bestimmte Dinge mögen irgendwann mal so gewesen sein. Vielleicht sollte man sich von manchen Ansichten trotzdem einfach verabschieden. Alles andere ist Kinderfasching.


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