Stolpersteine

Trotz „Schwachsinns“ musste er in den Krieg: Später kehrte der zwangssterilisierte Hans Schneider nach Kästorf zurück

Steffen Meyer Veröffentlicht am 14.12.2025
Trotz „Schwachsinns“ musste er in den Krieg: Später kehrte der zwangssterilisierte Hans Schneider nach Kästorf zurück

Das Gelände der Arbeiterkolonie Kästorf im Jahr 1956. Zwei Jahre später verstarb der Bewohner Hans Schneider nach einem Herzschlag und wurde auf dem Waldfriedhof beigesetzt.

Foto: Sammlung Archiv der Dachstiftung Diakonie / Kolorierung: Michael Arnold

Die Zahl der Opfer des Nationalsozialismus in und aus Gifhorn ist mindestens dreistellig. Stolpersteine in unserer Stadt erinnern an sie. Die Biographien stellt KURT in einer Serie vor. In einem Gastbeitrag schildert Dr. Steffen Meyer, Historiker und Archivar der Dachstiftung Diakonie, diesmal die Geschichte von Hans Schneider. Als einer der ersten Bewohner litt er unter dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und wurde zwangssterilisiert. Trotzdem musste er später sogar noch im Krieg dienen.

Hans August Heinrich Gustav Schneider wurde am 8. Februar 1906 in Uelzen geboren. Er hat nach der Volksschule eine Ausbildung zum Sattler begonnen, aber ohne Prüfung beendet. Hans Schneider wuchs zusammen mit einer jüngeren Schwester bei seinen Eltern in Uelzen auf, wo der Vater als Kaufmann tätig war. Mehr ist über seine ersten Lebensjahre nicht bekannt.
Am 5. Januar 1933 traf Hans Schneider, der zu dieser Zeit arbeitslos war, in Kästorf ein, wo er einen Platz in der Arbeiterkolonie bekam. Er reiste aus seiner Heimatstadt Uelzen an und war laut Aufnahmebucheintrag geschieden und kinderlos.

Hans Schneider gehörte zu den ersten Bewohnern der Kästorfer Anstalten, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von Landesmedizinalrat Dr. Walter Gerson psychiatrisch untersucht worden waren. Am 8. März 1934 diagnostizierte Gerson bei Schneider „angeborenen Schwachsinn“, eine Krankheit, die im Sinne des Gesetzes anzeigepflichtig war. Offensichtlich von Anstaltsvorsteher Pastor Martin Müller dazu aufgefordert, stellte Schneider einige Tage nach der Untersuchung einen Antrag auf Unfruchtbarmachung. Am 17. Juli 1934 fasste das mit dem Fall betraute Erbgesundheitsgericht Lüneburg ohne Anhörung von Hans Schneider den Beschluss zur Unfruchtbarmachung. Die Durchführung erfolgte am 13. November 1934 im Allgemeinen Krankenhaus Celle.

Nach einigen Tagen Krankenhausaufenthalt kehrte Schneider in die Arbeiterkolonie zurück, wo er bis Januar 1940 lebte. Die Einrichtung erhielt für ihn in dieser Zeit finanzielle Zuwendungen aus Mitteln des Reichsstocks für Arbeitseinsatz, da Schneider als unterstützungsberechtigte Person galt. Eine Unterbrechung des Aufenthaltes gab es, als Schneider einige Monate lang in einem Bau-Bataillon der Wehrmacht tätig war. Am 31. Juli 1940 kehrte er nach Kästorf zurück und blieb dort bis zu seinem Einberufungsbescheid, der am 17. November 1941 eintraf.

Dieser Stolperstein wurde für Hans Schneider auf dem Gelände der Diakonie Kästorf verlegt.

Foto: Mel Rangel

Im Juni 1942 war Hans Schneider als Angehöriger einer Sanitäts-Ausbildungsabteilung der Luftwaffe in Venlo stationiert. Was sich dort ereignete, ist unklar, aber Hans Schneider wurde „von der Truppe wegen Schwachsinns“ an die Annahme- und Entlassungsstelle des Luftgaukommandos XII/XIII in Frankfurt-Höchst versetzt. Diese Dienststelle bat das Reserve-Lazarett X in Frankfurt-Niederrad um eine fachärztliche Untersuchung mit dem Ziel, eine genaue Diagnose sowie eine Beurteilung über die Wehrdienstfähigkeit von Hans Schneider zu erhalten.

Im fachärztlichen Befund diagnostizierte ein Oberarzt am 17. August 1942 eine leichte Debilität und sah eine Verwendung bei Einheiten in der Heimat und den besetzten Gebieten vor, worauf das Kürzel gvH (garnisonsverwendungsfähig Heimat) hindeutet.

Am 11. Juni 1944 gerät der Gefreite Hans Schneider als Angehöriger eines Infanterieregiments in Italien in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Von einem Lager in Italien wurde er in die USA verlegt, später nach England. Die letzte Etappe als Kriegsgefangener war das Munster-Lager in Norddeutschland, von wo aus er nach kurzem Aufenthalt am 7. November 1947 in Freiheit kam.

Hans Schneider kehrte zunächst für einige Tage in seine Heimatstadt Uelzen zurück, bevor er am 26. November wieder in den Kästorfer Anstalten eintraf. Er war nicht mehr arbeitsfähig und stellte am 21. Juni 1954 einen Antrag auf Gewährung einer Entschädigung nach Paragraph 3 des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes. Ob er eine Leistung bekam, ist nicht bekannt.

Als Bewohner der Arbeiterkolonie starb Hans Schneider am 10. Mai 1958 nach einem Herzschlag. Drei Tage später wurde er auf dem Waldfriedhof der Kästorfer Anstalten beerdigt.

Dieser Text ist Teil der Broschüre „Stolpersteine in der Diakonie Kästorf“, kostenfrei erhältlich im Stadtarchiv, in der Stadtbücherei und bei der Diakonie in Kästorf.

Die Forschung zu Opfern des Nationalsozialismus geht weiter.
Hinweise sammelt das Kulturbüro:
Tel. 05371-88226
kultur@stadt-gifhorn.de


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