Krisenmanagement

Menschlichkeit und Corona-Schutz müssen keine Gegensätze sein - Diakonie Kästorf und DRK setzen auf Zusammenarbeit aller Pflegeanbieter im Landkreis Gifhorn

Marieke Eichner Veröffentlicht am 29.01.2021
Menschlichkeit und Corona-Schutz müssen keine Gegensätze sein - Diakonie Kästorf und DRK setzen auf Zusammenarbeit aller Pflegeanbieter im Landkreis Gifhorn

Vor dem Einlass wird Fieber gemessen: So empfängt Pflegedienstleiterin Corina Seil (rechts) die Besucher im Friedrich-Ackmann-Haus in Gifhorn.

Foto: Roland Strehmel/DRK-Kreisverband Gifhorn

Weitgehend alle Bewohnerinnen und Bewohner wie auch die meisten Mitarbeitenden in den Alten- und Pflegeheimen im Landkreis Gifhorn haben nun die erste Dosis der Coronaimpfung erhalten. Ein Grund zur Freude in den stationären Einrichtungen. Vor allem nach der Kritik, die an den Pflegekräften geübt wurde. „Im März wurde noch geklatscht und jetzt hagelt es Schuldzuweisungen an diejenigen, die täglich die Last tragen, sich selbst zu infizieren oder andere anzustecken“, bedauern die Vorstände der Diakonie Dr. Jens Rannenberg und des DRK-Kreisverbandes Sandro Pietrantoni. Sie wünschen sich Unterstützung, Anerkennung und Dankbarkeit – für alle Pflegenden. Im Dilemma zwischen komplettem Besuchsverbot und sozialer Nähe setzen beide auf die Zusammenarbeit aller Pflegeanbieter und Krankenhäuser im Landkreis. „Es geht nicht darum, wer das Heim führt. Es geht um die Menschen, die dort leben“, erklärt Sandro Pietrantoni.

Die Arbeit in der Pflegebranche war schon vor der weltweiten Verbreitung des Coronavirus ein Knochenjob. Und das neue Virus hat die Arbeitsbedingungen in der Pflege zusätzlich verschärft. „In infizierten Bereichen tragen die Pflegenden Tag und Nacht Schutzkittel – im gesamten Haus“, beschreibt Ralf Fricke, Fachbereichsleiter der Altenhilfe beim DRK-Kreisverband Gifhorn, das Vorgehen bei einem Ausbruch. „Dazu kommt die FFP-2-Maske und beim Betreten der Räume von Infizierten eine Schutzbrille.“

So geschehen seit Dezember 2020 im Friedrich-Ackmann-Haus und im Christinenstift in Gifhorn. Durch sorgsame und professionelle Vorgehensweise konnte ein Infektionsausbruch schnell eingedämmt werden. „Durch diesen Schutz haben wir das Ende der Quarantäne erreichen können“, so Christian Grösche, Geschäftsführer Diakonische Altenhilfe Kästorf. „Das zeigt, dass die Maßnahmen gewirkt und dass sich die Kolleginnen und Kollegen daran gehalten haben.“

Unter der Schutzausrüstung sei man nach kurzer Zeit schon „komplett durchgeschwitzt“, beschreibt Ralf Fricke die zusätzliche Arbeitsbelastung der Pflegekräfte. Hinzu kommen natürlich getrennt verbrachte Pausen für die Pflegenden und ständiges Lüften. „Außerdem haben die Pflegenden nach wie vor höchste Motivation, sich auch im privaten Bereich einzuschränken und dadurch das Infektionsrisiko so weit wie möglich zu mindern“, berichtet Jan Mechsner, der beim DRK-Kreisverband Gifhorn die Stabsstelle Qualitätsmanagement innehat und das Pflegewohnhaus in Calberlah leitet.

Jens Rannenberg und Sandro Pietrantoni verweisen zudem auf die Professionalität der Pflegenden – nicht nur die der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen im Landkreis Gifhorn, sondern auch der ambulanten Pflegekräfte. „Der Großteil der Pflegebedürftigen wird nach wie vor zu Hause versorgt“, erklären sie. Die ambulant Pflegenden setzen sich tagtäglich einem hohen Risiko aus. „Sie gehen von Wohnung zu Wohnung und wissen nicht, was sie dort erwartet.“

„Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben eine feste Bindung zu den zu Pflegenden“, betont Jan Mechsner. Und Sandro Pietrantoni ergänzt: „Innerhalb der Pflege entstehen Beziehungen, die fast schon familienähnlich sind.“ Zur Angst vor der eigenen Ansteckung komme also noch die Sorge um die Bewohnerinnen und Bewohner. Dazu noch die Arbeit unter der Schutzkleidung nach Hygienevorschrift. „Das alles zusammengenommen ist eine Höchstbelastung“, so Rannenberg und Pietrantoni. „Es ist für alle Beschäftigten eine permanente psychische und körperliche Höchstanforderung – welche nicht durch zusätzliche Sanktionen im Falle von Infektionen verschärft werden sollte.“

„Es geht nicht darum, wer das Heim führt. Es geht um die Menschen, die dort leben.“

Sandro Pietrantoni, Vorstand des DRK-Kreisverbandes Gifhorn

Foto: Privat

In Zeiten der Zusatzbelastung durch Corona spüren die Pflegenden die Last der Sorge, die ihnen anvertrauten Menschen sterben zu sehen. Ist der baldige Tod eines Bewohners oder einer Bewohnerin abzusehen, so dürfen Angehörige natürlich zu Besuch kommen. Ralf Fricke ergänzt: „Es sei denn, die Einrichtung steht unter Quarantäne, dann müssen besondere Schutzvorkehrungen eingehalten werden.“ Das Tragen eines Schutzkittels und ein vorheriger Schnelltest gehören dazu. Christian Grösche betont: „Unsere Pflegenden sind wie gewohnt und zuverlässig da, auch wenn die Angehörigen es nicht können. Wir sichern das Zuhause der zu Pflegenden. Hinzu kommt, dass wir palliativ ausgebildet sind.“ Die Palliativpflege ist die Begleitung unheilbar Kranker, Sterbender und deren sozialen Umfelds. Sandro Pietrantoni ergänzt: „Jedes Heim ist ein Zuhause, wie eine Familie, jeder Tod ist ein Verlust – auch für unsere Beschäftigten.“

Damit steht die Pflege vor einem Dilemma. Einerseits stellt jeder Besuch ein potentiell tödliches Risiko dar – und Ansteckungen ließen sich nur mit einem vollständigen Besuchsverbot verhindern. Andererseits braucht jeder Mensch ein soziales Umfeld. Gespräche, physische Nähe, gemütliches Beisammensein – schlicht Liebe in all ihren Facetten zwischenmenschlicher Beziehungen. Wie wichtig das ist – und wie kalt es wird, wenn es fehlt –, kann nach einem Jahr Pandemie, Lockdown und sozialer Distanzierung beinahe jede und jeder nachvollziehen. „Wir müssen Besuche zulassen – doch das Risiko bleibt“, so Ralf Fricke.

Für viele Angehörige waren und sind Besuchsverbote schwer zu akzeptieren. Sandro Pietrantoni hat dafür Verständnis, verweist aber auf die Verschiebung in den Ausbruch-Hotspots. Zu Beginn der Pandemie infizierten sich die Mehrheit der positiv auf Corona getesteten Personen in Alten- und Pflegeheimen, doch mittlerweile finden rund 60 Prozent der Infektionen im privaten Umfeld statt. Sandro Pietrantoni resümiert: „Die Heime sind nicht der Auslöser, das Virus wird oftmals von außen hereingetragen.“

Bei Spaziergängen der Bewohnerinnen und Bewohner mit den Angehörigen oder Besuchen im Heim oder bei den Angehörigen zu Hause – „menschelt’s manchmal“, so formuliert es Jan Mechsner. „Und dann wird doch mal auf die Maske verzichtet.“ Oder, wie Ralf Fricke beobachtete: „Es wird dann doch umarmt und dann gibt’s ein Küsschen.“

„Alle Pflegenden im Landkreis Gifhorn arbeiten sehr professionell und mit viel Herz. Sie geben ihr Bestes. Auch Schutzmaterialien sind ausreichend in hoher Qualität vorhanden. Und damit sind wir gut aufgestellt“, betont Sandro Pietrantoni. Personelle Hilfe, insbesondere bei der Ausweitung der Schnelltests, sei jedoch herzlich willkommen. Hier stoßen die Einrichtungen an ihre personellen Grenzen, da der zusätzliche Aufwand immens ist, und erwarten die zeitnahe avisierte Unterstützung, etwa durch die Bundeswehr oder Freiwillige, die sich diese Aufgabe zutrauen.

Man helfe sich im Notfall aber auch gegenseitig und unterstütze andere Pflegeanbieter. „Beim Ausbruch in einem privaten Pflegeheim haben DRK und Diakonie – auch am Wochenende – ausgeholfen“, berichten beide Vorstände. „Es geht nicht darum, wer das Heim führt. Es geht um die Menschen, die dort leben. Das ist unser Grundsatz: Keiner bleibt alleine! Das ist unser Selbstverständnis.“

Zudem sind Diakonie und DRK eingebunden in die Unterarbeitsgruppe „Behandlungskapazitäten/Pflege“ des Krisenstabs im Landkreis Gifhorn. Zusammen mit dem Gesundheitsamt und der Heimaufsicht bespreche, beschließe und setze man dort Maßnahmen um, berichtet Sandro Pietrantoni. „Die gute Zusammenarbeit ist hier besonders hervorzuheben, das funktioniert sehr gut.“ Seit kurzem sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DRK auch im Gifhorner Impfzentrum im Einsatz und die ehrenamtlichen Helfer*innen des DRK-Katastrophenschutzes im Kontaktnachverfolgungsteam involviert.

„Wir werden an den Vorsichtsmaßnahmen weiterarbeiten, sie anpassen und nicht nachlassen – auch bei den Impfungen nicht.“

Dr. Jens Rannenberg, Vorstand der Dachstiftung Diakonie

Foto: Privat

Zu der Bereitschaft, sich auch im privaten Bereich zurückzuziehen, um das Infektionsrisiko für die ihnen anvertrauten Menschen zu mindern, kommt eine hohe Impfbereitschaft innerhalb der Pflegekräfte der Diakonie und des DRK.

Am 22. Januar konnte die erste Impfrunde gegen das Coronavirus in den stationären Pflegeeinrichtungen im Landkreis Gifhorn abgeschlossen werden. Ralf Fricke freut sich: „Alle impfwilligen Bewohnerinnen und Bewohner in den Alten- und Pflegeheimen im Landkreis Gifhorn haben nun die erste Impfung erhalten!“ Jens Rannenberg stellt fest, dass sich trotz Schwankungen etwa 70 bis 80 Prozent haben impfen lassen. „Wir werden an den Vorsichtsmaßnahmen weiterarbeiten, sie anpassen und nicht nachlassen“, versprechen die Verantwortlichen. „Auch bei den Impfungen nicht.“ Angemessen, sinnvoll und vor allem gemeinsam soll das weitere Vorgehen bleiben – durch Fachwissen, Erfahrung und Zusammenarbeit: „In ständiger Abstimmung mit allen Pflegeanbietern im gesamten Landkreis Gifhorn, der Heimaufsicht und des Gesundheitsamtes.“


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