Kunst

Man möchte doch eine Besessenheit sehen: Die Gifhorner Künstlerinnen Lillien und Manuela Grupe stellen im Rathaus aus

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 23.02.2024
Man möchte doch eine Besessenheit sehen: Die Gifhorner Künstlerinnen Lillien und Manuela Grupe stellen im Rathaus aus

Manuela (links) und Lillien Grupe aus Gifhorn sind die beiden Künstlerinnen hinter der Ausstellung „gleichzeitig zweiseitig“.

Foto: Nicole Rodrigues Frenzel

Was hinter dem weiträumigen Begriff Kunst verstanden werden kann, lässt sich noch bis Ende April im 2. Obergeschoss des Gifhorner Rathaus, Eingang im Cardenap 2-4, in zwei Perspektiven erfahren: Die Kunstausstellung „gleichzeitig zweiseitig“ zeigt insgesamt 22 Werke von Lillien Grupe und Manuela Grupe, Tochter und Mutter. Ihre beinahe zum Hyperrealismus tendierenden Gemälde nehmen Bezug auf die großen Altmeister des Barock und der Renaissance, überraschenderweise fühlen sich auch allzu computergewöhnte Augen angesprochen. KURT hat die beiden Künstlerinnen getroffen.

Die volle Aufmerksamkeit in den Räumen des 2. Obergeschosses des Gifhorner Rathauses beanspruchen in diesen Wochen die Gemälde von Lillien Grupe und Manuela Grupe für sich. Die beiden Gifhorner Künstlerinnen zeigen Schlüsselwerke ihrer Laufbahn, kuratiert von Annette Hoffmann aus dem Fachbereich Kultur und Soziales. Das Spannende: So ähnlich sich die Werke auf Anhieb sind, so lohnenswert ist ein zweiter Blick.

Zuerst fällt beiderseits der Realismus ins Auge. Die Werke sind figürlich und nicht abstrakt, klarerweise sind die abgebildeten Personen die Protagonisten. Wir erleben sie in Alltagssituationen, auf der Parkbank sitzend, beim Beten. Doch: Im Fokus und auf so großflächigen Leinwänden erscheinen sie wie mit dem Blick einer Lupe vergrößert und dabei auch leicht grotesk. Es gilt die alte Annahme: Je näher man dem Subjekt der Betrachtung kommt, desto entstellter ist es eigentlich.

Manuela Grupe: Kaninchenfreunde e.V., Acryl auf Leinwand, 140 x 160 Zentimeter.

Foto: Manuela Grupe

Bei Mutter Manuela sind es vornehmlich ältere Menschen, die wir sehen, Seniorinnen und Senioren, ihre fleckige Haut wirft Falten genauso wie die gemusterten Tischdecken, über die ihre sanften Hände streichen. Das Haar ist zerzaust und steht zu Berge. Nasenrücken und Ohrläppchen sind riesig. Das Fleischige ist in der Tat sehr barock. Was die Personen eint, ist eine unverkennbare Lebensfreude und Gutmütigkeit in der Miene, fast eine naive Verspieltheit.

„Da wir von so viel Negativität umlagert sind, müssen wir aufpassen, dass unsere Seelen nicht erdrückt werden“, meint Manuela. „Mein Anspruch in der Kunst ist nicht das Aufzeigen von Problemen der Welt, sondern das Kreieren eines kleinen, heilen Raumes – wie eine Wellnessoase.“ Krachend sind die bunten Farben, die sie – wie bei „Kaninchenfreunde e.V.“ – wählt. Sie erinnern doch stark an die KI-generierten Motive, die durch Bildgeneratoren wie Dall-E 2 derzeit TikTok, Reddit und andere soziale Medien fluten – ein Umstand, der sicherlich nicht beabsichtigt war, nun aber nicht von der Hand zu weisen ist.

Lillien dagegen zeigt ihre Protagonisten auch in Momenten der Verlegenheit und der Schwäche, sie sind verzweifelt oder hysterisch, wirken manchmal ergriffen oder sogar überfordert wie in „Die Suche nach sich selbst“. „Da bin ich moderner als Manu“, lächelt sie. In vielen Gemälden erkennt man sie selbst, so auch in „Der Fall“, auf dem sie wie einst der Engel Luzifer aus den Wolken stürzt. Sofort werden da natürlich Erinnerungen geweckt, etwa an Gustave Dorés Illustration für John Miltons „Paradise Lost“ (1866) oder „Der Sturz der rebellierenden Engel“ (1562) von Pieter Bruegel der Ältere.

Lillien Grupe: Der Fall, Acryl und Öl auf Leinwand, 100 x 190 Zentimeter.

Foto: Lillien Grupe

Diese thematischen Verbindungen bildet man sich auch nicht ein, genausowenig wie die Inszenierung der Protagonisten durch Lichtführung wie in der klassischen Hell-Dunkel-Malerei. „Das alte Handwerk nach Caravaggio war schon immer unser Leitfaden, auch die niederländischen Maler, der Barock, die Renaissance“, erklärt Lillien. Und da kommen sie und Manuela wieder zusammen. Denn die alten Meister und ihre Art zu arbeiten sind ihnen heilig. „Kunst sollte von Können kommen. Man möchte doch das Handwerk sehen, die Perfektion, eine gewisse Besessenheit. Dass der Künstler mit Blut, Schweiß und Tränen lange an einem Werk arbeitet. Das ist mein Anspruch an gute Kunst“, formuliert Lillien streng.

Schon früh hatte sich die Tochter von der Mutter das Zeichnen und Malen abgeschaut. Manuela selbst hätte gerne Freie Kunst studiert, so wie ihre Tochter Lillien es später an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig durfte, doch ihre Eltern „haben das nicht so gerne gesehen“. Also studierte sie Graphikdesign und arbeitete als Illustratorin. Doch der Wunsch, selbst einmal Malerin zu sein, ließ sich nicht unterdrücken. 2006 zog die Familie nach Gifhorn. „Von da an habe ich den Rechner ausgelassen und mich nur noch dem Pinsel gewidmet“, erzählt Manuela.

Lillien Grupe: Die Suche nach sich selbst, Acryl auf Leinwand, 90 x 120 Zentimeter.

Foto: Lillien Grupe

Als Lilliens Bewerbung an der HBK Braunschweig angenommen wurde, war die Freude natürlich groß. Dort lernte sie, dass die Kunst auch philosophisch-intellektuell zu erfahren sei. Doch wirklich lebendig fühlt sie sich nur an der Staffelei, wo sie im Gegenteil zu vielen Kommilitonen, die konzeptuell arbeiteten, mit ihren realistischen Entwürfen herausstach. Sie schätzte zwar die Kritik im Plenum und den Austausch, liebt aber auch das Arbeiten alleine. Autodidaktisch brachte sie sich das Wissen über Öle und Pigmente und das Herstellen von Farben bei, um etwa seltene Erdtöne zu mischen – wie die alten Meister eben. „Als Künstler sitzt man ja normalerweisei im Atelier und ist eher ein kleiner Einzelkämpfer“, meint Lillien.

Doch Einzelkampf stimmt nur bedingt. Denn ihr Atelier in Gifhorn teilt sie sich mit Mutter Manuela. Auch zu Ausstellungen fahren sie gemeinsam. Da die Werke schon die Größe der Ateliertüren ausreizen, benötigen sie manchmal einen LKW, um zu den Ausstellungsorten an den Bodensee oder nach Karlsruhe zu fahren. „Wenn man Künstler ist, ist der Freiheitsanteil unheimlich schön. Dazu gehört aber auch viel Disziplin und Idealismus. Man braucht innerlich den Druck wie ein Dampfkessel“, sagt Manuela. „Jeden Morgen um 6 Uhr treffen wir uns im Atelier. Und manchmal steht Lillien dann schon an der Staffelei und wartet darauf, dass das einzigartige Naturlicht durchs Fenster fällt.“

Ausstellung von Manuela Grupe und Lillien Grupe:
„gleichzeitig zweiseitig“
Rathaus, 2. Obergeschoss
Eingang Cardenap 2-4, Gifhorn
Mo. – Do. 8.30 bis 17 Uhr
Fr. 8.30 bis 12 Uhr


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