In eigener Sache

Gifhorns Polizei bittet darum, das Video nicht weiter zu verbreiten - Hier erklärt KURT, weshalb wir es trotzdem zeigen

Bastian Till Nowak Veröffentlicht am 07.09.2020
Gifhorns Polizei bittet darum, das Video nicht weiter zu verbreiten - Hier erklärt KURT, weshalb wir es trotzdem zeigen

Die Gifhorner Polizei bittet darum, Szenen wie diese nicht weiter zu verbreiten. Die KURT-Redaktion erklärt in diesem Beitrag, weshalb sie es dennoch tut.

Foto: Augenzeugen-Video (Screenshot)

„Gestern Nachmittag wurde einer unserer Streifenwagen beschädigt. Es gibt 2 Videos von dem Vorfall, die teils strafrechtlich relevanten Inhalt zeigen. Wir bitten von einer weiteren Verbreitung der Videos abzusehen!“ Das veröffentlichte die Gifhorner Polizei am Montagvormittag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die KURT-Redaktion hat bereits am Sonntag ein Video von der Festnahme auf Facebook, Instagram und per Einbettung auf der KURT-Website gezeigt. Hier erklärt Chefredakteur Bastian Till Nowak, weshalb wir die Bitte der Polizei zwar ernst nehmen, das Video aber dennoch zeigen.

Das Video, das am Sonntag auch von KURT verbreitet wurde, zeigt eindeutigen Inhalt: Ein Mann ist zu sehen, der sich auf den Bürgersteig legt und von einer Polizistin und einem Polizisten festgenommen und aufs Revier abgeführt wird. Im Hintergrund qualmt es gewaltig. Die im Video zu hörenden Stimmen können vom Betrachter nicht eindeutig zugeordnet werden – es könnte genauso die Stimme des Täters sein wie die Stimmen während der Aufnahme umstehender Unbeteiligter. Das aufzuklären ist Aufgabe der Polizei.

Das Video hat KURT von einem Augenzeugen erhalten, der sich gerade im Imbiss auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Döner holte. Dieser Augenzeuge berichtete der KURT-Redaktion zudem, dass der Täter „ultra besoffen“ gewesen sein soll und schon vorher „Stress gemacht“ habe. Von einer Ankündigung der Tat ist in dem Augenzeugen-Bericht keine Rede. Wohl aber davon, dass der Täter nach Verlassen des Imbisses einen Gegenstand aus seiner Jacke geholt und auf der anderen Straßenseite unter das dadurch beschädigte Polizeiauto geworfen habe.

Die Detonation und der dadurch ausgelöste laute Knall, der wohl die gesamte Gifhorner Innenstadt am Sonntagnachmittag um 15.41 Uhr aufschreckte, sind in dem von KURT veröffentlichten Video nicht zu sehen. Der Videoclip beginnt offensichtlich kurz danach. Der Mann legt sich auf den Boden und wird festgenommen.

Warum aber zeigen wir genau dieses Video, obwohl die Polizei einen Tag später darum bittet, von einer weiteren Verbreitung von Videos abzusehen? Weil wir sachlich und neutral berichten möchten. Selbstverständlich verbreiten wir über unsere Kanäle auch die aufklärenden Inhalte aus dem Polizeibericht – das Video gehört aber ebenso zur Abbildung der Realität, wie auch Fotos dazu gehören würden, wenn uns solche vorliegen würden. Stattdessen bebildert unsere Redaktion den Vorfall mit Screenshots aus diesem Video.

Der Vorfall ereignete sich am hellichten Tag auf offener Straße. Jeder, der zugegen war, hat die Tat und die auf dem Fuß folgende Reaktion der Polizei mitansehen können. Da inzwischen fast jede und jeder über ein Smartphone mit Videoaufzeichnung verfügt, ist es nicht verwunderlich, dass einzelne Augenzeugen auch das Handy zückten und den Vorfall aufzeichneten. Diese Videos – KURT ist inzwischen ein zweites Video bekannt, das bereits vor der Detonation einsetzt, von KURT aber nicht gezeigt wurde – verbreiteten sich in Windeseile. Viele davon wurden per WhatsApp verschickt, nicht selten über Gruppen-Chats – und so hatten bereits viele Gifhornerinnen und Gifhorner am Sonntagnachmittag solche Videos aus privaten Quellen direkt auf ihre Smartphones erhalten.

Unsere Aufgabe als Medium besteht darin, sachlich und neutral zu berichten. Selbstverständlich ist uns bewusst, dass bewegte Bilder mehr Aufmerksamkeit erregen und oft auch emotionalere Reaktionen als Fotos nach sich ziehen. Dass es viele tausend Facebook- und Instagram-Nutzer sind, die das Video inzwischen gesehen haben, bestätigt dies. Wenn die Polizei mit ihrer Bitte, solche Videos nicht weiter zu verbreiten, einer etwaigen Vorverurteilung und aufgeheizten Stimmung in der Bevölkerung vorbeugen möchte, ist dies eine voll und ganz verständliche Absicht.

Es tut uns allen gut, einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Täter handelte allein – er wird von vielen dafür verurteilt, von manchem in den sozialen Netzwerken aber auch gefeiert. Keines von beidem hilft uns als Gesellschaft in dieser Situation aber weiter. Wir sollten uns bewusst sein, dass die Tat alles andere als ein „dummer Streich“ war. Ein Polizeibeamter wurde durch den lauten Knall am Gehör verletzt. Ob der Täter dies gewollt hat, wissen wir nicht. Das Werfen eines Gegenstandes unter ein menschenleeres Auto zeugt jedenfalls nicht von der Absicht, Menschen zu verletzen. Diese Unterstellung ginge zu weit. Wenn auch unbeabsichtigt, so ist dies dennoch geschehen.

Das Video zeigt zudem, was potenziellen Nachahmungstätern droht – nämlich die sofortige Festnahme. Die Beamten reagieren vollkommen angemessen und professionell; es ist keine übertriebene Gewalt nötig, um den Täter abzuführen. Und das ist gut so, denn es zeigt – gerade in unseren aufgewühlten Zeiten – wie besonnene Polizeiarbeit funktioniert. Die Gifhorner Beamten stellen die Sicherheit und öffentliche Ordnung wieder her. Die Bewertung des Vorfalls und eventuelle Ahndung obliegt überdies aber allein der Justiz.

Es ist gut, dass die drei Gewalten – gesetzgeberische, ausführende und richtende – in unserem Staat getrennt sind. Der Angriff auf die Gifhorner Polizei mag für manchen vielleicht wie ein vorgezogenes Silvester-Böllern ausgesehen haben. Letztlich ist ein Angriff auf unsere Polizei aber immer auch ein Angriff auf unser Staatswesen, egal wie klein oder groß dieser auch ausfallen mag. Die Tat zeugt von einem Verlust jeglichen Respekts vor öffentlichem Eigentum, vor der Unversehrtheit anderer und vor der Polizei als Institution. Unsere Gesellschaft tut gut daran, vor solchen Vorfällen nicht die Augen zu verschließen. Dennoch sollten wir uns daran erinnern, dass es eine einzelne Tat war – keine Anschlagsserie und auch kein extremer Ausnahmezustand.

Oft ist in den Kommentarspalten im Internet zu lesen, dass „alles immer schlimmer“ werde. Das stimmt aber nicht. Die Kriminalstatistiken der vergangenen Jahre sind der Beleg dafür, dass Straftaten kontinuierlich zurückgehen. Unsere Polizei leistet gute Arbeit, die nicht selten unter Einsatz von Leib und Leben geschieht und unser aller Respekt verdient. Sie klärt nicht nur Straftaten auf, sie verhindert auch sehr häufig welche. Deshalb können wir in diesem Land so gut und sicher leben.

Leider kommt es vor, dass einzelne Taten dieses Bild trüben. Dies aus der kollektiven Wahrnehmung auszublenden, bringt uns aber nicht weiter – und macht eine solche Tat auch nicht ungeschehen. Selbstverständlich gefällt es auch unserer Redaktion nicht, wenn solche Szenen von einzelnen Hetzern im Internet dazu missbraucht werden, ihre menschenverachtende Propaganda zu verbreiten. Strafrechtlich relevante Kommentare werden deshalb von uns gelöscht. Nicht gelöscht wird aber das Video. Denn wenn wir als Gesellschaft vor der Hetze einzelner Demagogen zurückweichen, dann bleibt uns nur noch wenig, was wir als freie und offene Gesellschaft verteidigen könnten.

Die Pressefreiheit ist elementarer Bestandteil unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und das beste Mittel zur Verteidigung des Rechts auf Veröffentlichung ist und bleibt die Veröffentlichung – auch wenn diese manchmal unbequem sein mag.

Bastian Till Nowak
KURT-Herausgeber und Chefredakteur


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