Glauben & Zweifeln
Gebt den Kindern das Kommando: Weihnachten und Hoffnung gehören für Martin Wrasmann in seiner Abschiedskolumne zusammen
Martin Wrasmann Veröffentlicht am 25.12.2023
Noch ist die Krippe leer, doch bald wird da der Messias geboren werden. Wie ein Kind die Welt verändern kann, beschreibt der katholische Theologe Martin Wrasmann in seiner letzten Kolumne für KURT.
Foto: Michael Uhmeyer
Glaube und Zweifel – liebe Leserinnen und Leser, es ist meine letzte Kolumne im KURT. Ich habe schon ein Jahr pausiert und möchte mich aber auch ganz offiziell von Ihnen verabschieden. Der Feierabend wurde bei mir immer voller mit Aufgaben und Terminen, so dass ich auf die Bremse treten wollte, zudem merkte ich, dass mir auch die Ideen für anspruchsvolle Kolumnen ausgingen, nichts ist dann langweiliger als nur so dahingesagtes. Mir geht‘s da wie dem deutschen Pop-Sänger Tim Bendzko: „Mir fehlen die Worte, ich hab die Worte nicht“. Vieles in mir bleibt, der Glaube und der Zweifel, die Hoffnung und der Frust, das Kreative und die Lust, die schnellen Schüsse und die Ungeduld, die Pest der Langeweile nicht aushalten wollen und und und. Ich verabschiede mich heute mit meinem Lieblingsthema: Weihnachten – oder „Macht’s wie Gott, werdet Mensch“. Und meiner Sicht auf die Dinge.
„Kinder an die Macht“ singt Herbert Grönemeyer. So heißt es in dem Lied: „Gebt den Kindern das Kommando / Sie berechnen nicht, was sie tun / Die Welt gehört in Kinderhände / Dem Trübsinn ein Ende / Wir werden in Grund und Boden gelacht“.
Klingt fast wie ein Weihnachtslied. Gott schickt sein Kind an die Macht. Wie er diese Entscheidung getroffen hat, erzählte der Pfarrer Werner Reiser in „Vom Engel, der nicht mitsingen wollte“:
„Der Himmel war ratlos. Kein Himmlischer wusste mehr, wie man den Menschen beikommen könnte. Die Irdischen waren für die Geheimnisse des Himmels taub und blind geworden. Lange Zeit hatte es keine Offenbarung mehr gegeben. Kein Bote war mehr zur Erde geschickt worden, um vereinzelten Auserwählten etwas vom Geschmack des Himmels mitzuteilen. Auch die Träume waren erloschen. Wenn Irdische träumten, dann von ganz anderen Dingen, von Reichtum, Erfolg und schönen Männern und Frauen. Sie träumten nach außen, nicht nach innen oder gar nicht nach oben.
Dieser öde Zustand durfte nicht weiter um sich greifen. Die sichtbare und die unsichtbare Welt drohten immer mehr auseinanderzufallen und sich einander völlig zu entfremden. Es tat den Irdischen nicht gut, sich immer nur mit sich selbst zu beschäftigen. Aber auch die Himmlischen litten darunter, immer nur unter sich zu sein. Sie drängten danach, ihre Welt aufzubrechen und den himmellos Gewordenen das Gesicht zu weiten.
Doch keiner wagte es, von sich aus etwas zu unternehmen. Ihr oberster Gefährte war zu Gott gerufen worden und hatte sie ratlos zurückgelassen. Plötzlich wurde es still. Gabriel war zu ihnen getreten. Er war bei Ihm gewesen. Noch leuchtete etwas um ihn, das vom Urlicht Gottes ausstrahlte, das keiner sehen konnte, ohne die Augen zu verschließen. Nun stand er unter ihnen und strahlte sie an. Dann sagte er: „Ein Kind.“ Und als ihn alle sprachlos anschauten, wiederholte er: „Ein Kind. Er gibt ihnen ein Kind. Das ist seine Antwort auf die Entfremdung der Menschen.“ Ein Kind? Ein Kind! riefen nun alle miteinander, und es klang wie Glocken hell und dunkel, leicht und dumpf, staunend und erschrocken, bewundernd und abwehrend: ein Kind – wie göttlich; ein Kind – wie gewöhnlich; ein Kind – wie einfach, ein Kind – wie unverständlich!
Da aber bei den Himmlischen keiner aus seinem Herzen eine Mördergrube machen muss, weil er das nämlich nicht kann, da jeder an der Stelle des Herzens ein Herz hat, ließ Gabriel mit Ruhe die Einwände an sich herankommen. Hatte er es doch selber kaum fassen können, als ihm Gott den Plan mitgeteilt hatte.
Zu den Engeln machte dann der Erzengel eine klare Ansage: „Ihr werdet in der Nacht der Geburt den Menschen erscheinen und ihnen sagen: Fürchtet Euch nicht, denn wir verkündigen Euch Freude. Ihr werdet in jener Nacht die himmlischen Scharen vertreten. Doch sollt Ihr mit leeren Händen vor den Menschen erscheinen, damit sie erkennen, dass der Himmel keine anderen Waffen hat als die Macht und die Ohnmacht der Liebe Gottes, und wie kann das besser vermittelt werden als durch ein Kind, in Windeln, in der Krippe. So sagt Ihr den Menschen: Gott bleibt auch die dunkelste Ecke menschlichen Lebens nicht verborgen.“
Es war nichts mehr zu machen, damals, völlige Ausweglosigkeit für das Volk Israel, grassierende Armut, militärische Gewalt, alle Verheißungen an die Wand gefahren – ohne Vision verkommt das Volk. Und heute: Viele sehen die Zeit der völligen Unordnung gekommen, die Aufzählung der Krisen führt ins uferlose. Populisten erahnen ein Sprungbrett zur Macht. Der Zusammenhalt der Gesellschaft steht vor einem Zusammenbruch. Ist der Himmel wie damals ratlos, weil niemand weiß, wie man den Menschen beikommt?
Grönemeyer und die Weihnachtsgeschichte erzählen von der Hoffnung auf eine andere Art der Macht, die eines Kindes. Selbst der despotische Herrscher Herodes steht als Verlierer da. Dafür sind die Ärmsten der Armen, die obdachlosen Hirten auf dem Feld, bei diesem Kind besonders wertvoll und willkommen.
Ist das ein süßer Traum, der so schnell vergeht wie Plätzchengeschmack auf der Zunge? Vielleicht sind es ja genau diese Kategorien, die wir heute brauchen, die man vom Kinderhandeln ableiten kann: Sie berechnen nicht, was sie tun, sie handeln mit Vertrauensvorschuss, mit Phantasie und gutem Glauben. Kinder verändern die Welt. Das erlebe ich in jedem Taufgespräch, wie Kinder das Leben der Eltern verändern.
Dieses Jesuskind jedenfalls wird erwachsen und stellt die Kinder in die Mitte. Das könnte eine Ermutigung sein, sich in der Gegenwart jungen Menschen zuzuwenden und auf sie zu hören. Bei Fridays For Future gehen sie für mehr Klimaschutz auf die Straßen. Erstaunlich, durch ihre bloße friedliche Präsenz hat diese Jugendbewegung politische Diskussion vorangebracht.
Milliarden Menschen feiern Christmas For Future, Frieden für alle. Lasst Worten Taten folgen, damit die Botschaft des Engels nicht verhallt: Gloria in excelsis Deo et Pacem in Terris.
In diesem Sinn: Gesegnete Festtage und bis bald, in welchen Kontexten auch immer.
Martin Wrasmann, katholischer Theologe aus Gifhorn, schrieb bis zum vergangenen Jahr die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Nach einer längeren Unterbrechung verabschiedet er sich mit diesem Beitrag von unseren Leserinnen und Lesern.