Engagement

Fairtrade-Town Gifhorn: Das Projekt geht uns alle an - Rüdiger Wockenfuß erklärt im Interview, was der Titel für Gifhorn bedeuten würde

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 07.02.2021
Fairtrade-Town Gifhorn: Das Projekt geht uns alle an - Rüdiger Wockenfuß erklärt im Interview, was der Titel für Gifhorn bedeuten würde

Zahlreiche Städte in Deutschland sind als Fairtrade-Towns zertifiziert – und 2021 soll nun auch Gifhorn dazukommen.

Foto: Jakub Kaliszewski (2), Suzanne Lee, Eric St-Pierre, Sean Hawkey, Miriam Ersch, Didier Gentilhomme (TransFair e.V.) / Montage: Selina Sanft

Veränderung ist möglich – das Engagement vieler Menschen beweist es. Vielerorts haben sich Akteure aus Zivilgesellschaft, Politik und Wirtschaft vernetzt, um sich für fairen Handel, globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklungsziele stark zu machen: Zahlreiche Städte in Deutschland sind als Fairtrade-Towns zertifiziert – und 2021 soll nun auch Gifhorn dazukommen. Rüdiger Wockenfuß (66) ist nicht nur Mitglied des Gifhorner Stadtrates, sondern leitet auch die Steuerungsgruppe, die das Projekt „Fairtrade-Town Gifhorn“ ankurbeln möchte. KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld sprach mit ihm über fairen Handel, die dafür nötigen Kriterien und wie sich Gifhorns Gesellschaft in das Projekt einbringen kann.

Gifhorn als Fair-Trade-Town – das hört sich erst mal toll an. Was verbirgt sich aber genau hinter dem Slogan? Was bedeutet Fairtrade?

Fairtrade bedeutet, dass die gesamte Lieferkette zurückverfolgt werden kann. Es wird garantiert, dass es keine Kinder- oder Zwangsarbeit bei der Herstellung gibt, dass die Produkte aus Biolandbau kommen und dass die Produzenten ein Mitspracherecht beim Preis haben. Die Produzenten erhalten faire Prämien. Es geht darum, den Handel fair und transparent zu gestalten – und das in Gifhorn zu stärken.

In Deutschland haben sich inzwischen mehr als 700 Städte dazu entschlossen, dieses globale Projekt zu fördern und Fairtrade-Town zu werden. Welche Kriterien muss unser Gifhorn überhaupt erfüllen, um sich Fairtrade-Town nennen zu dürfen?

Insgesamt sind es fünf Kriterien, die wir nun nach und nach abarbeiten wollen. Zuerst braucht man einen Ratsbeschluss, der ist bei uns am 7. Dezember 2020 getroffen worden. Daraufhin muss sich eine Steuerungsgruppe konstituieren. Da sind wir gerade mittendrin. Anschließend müssen neun Geschäfte des Einzelhandels und fünf Gastronomien auf Fairtrade-Produkte setzen. Da reicht es, wenn einzelne Produkte aus fairem Handel angeboten werden. Hinzu kommt, dass es an Schulen einen Projekttag gibt, der sich mit dem Thema Fairtrade auseinandersetzt. Schließlich müssen die örtlichen Medien darüber berichten. Man kann natürlich niemandem vorschreiben, über was er zu schreiben hat, aber wir haben den Eindruck, dass das Interesse auf Seiten der Medien ohnehin gegeben ist.

Welches sind – ganz simpel heruntergebrochen – die Vorteile einer Fairtrade-Town?

Da gibt es sehr viele Gesichtspunkte. Das Bewusstsein für Fairtrade ist stark ausgeprägt. Die Leute kaufen diese Produkte, das Siegel löst großes Vertrauen aus. Wir glauben, Einzelhandel und Gastronomie können darüber zusätzlichen Kunden- und Imagegewinn für sich verbuchen. Deswegen ist Fairtrade nicht nur ein weltweites Denken, es kann zudem einen Mehrwert vor Ort und damit in Gifhorn schaffen.

Rüdiger Wockenfuß (66) ist nicht nur Mitglied des Gifhorner Stadtrates, sondern leitet auch die Steuerungsgruppe, die das Projekt „Fairtrade-Town Gifhorn“ ankurbeln möchte.

Foto: Çağla Canıdar

Herr Wockenfuß, in Ihrer Stadtratsrede Anfang Dezember haben Sie auf das Projekt aufmerksam gemacht, später wurde der Antrag beschlossen. Wie ist die Stimmung innerhalb der Gifhorner Politik zu dem Thema?

Die Stimmung ist differenziert zu betrachten. Wir haben den Antrag mit einer Mehrheit beschlossen, auf der anderen Seite gibt es gegenteilige Meinungen. Das hat damit zu tun, dass es Vorstellungen gibt, während der Corona-Pandemie andere Themen in den Fokus zu rücken. Gerade die Corona-Situation hat uns aber bewusst gemacht, dass es auf Solidarität ankommt. Das werden wir in diesem Jahr noch häufiger erleben, so zum Beispiel bei der Vergabe des Impfstoffs. Und Gifhorn zu einer Fairtrade-Town zu machen, ist ein Gemeinschaftsprojekt.

Sie sprechen von Solidarität. In der Steuerungsgruppe tauchen verschiedene Interessengruppen auf. Wie wichtig ist die gesamtgesellschaftliche Zusammenarbeit?

Enorm wichtig. Es geht darum, die Zivilgesellschaften einer Stadt zu verbinden. Dazu gehören Interessengruppen und Institutionen vor Ort, der Einzelhandel, die Gastronomie, Schulen und Vereine. Wir sprechen von einem gemeinschaftlichen Projekt, bei dem es nicht darum geht, Einzelinteressen zu verfolgen. Nehmen wir die Gifhorner Stadtverwaltung beziehungsweise die Wista: Es ist gut, dass wir von dieser Seite Unterstützung erfahren. Ebenso erfreulich ist es, dass der KURT in der Steuerungsgruppe vertreten ist und das Projekt nicht nur journalistisch, sondern auch als Unternehmen fördert.

Gestatten Sie mir eine etwas provokante Frage: Kann man das Thema Fairtrade-Town gerade besonders gut in den Fokus rücken, weil ökologisches Bewusstsein und Nachhaltigkeit durch die Fridays-For-Future-Bewegung sexy geworden sind?

Damit hat es nur entfernt etwas zu tun. Wenn man auf die Entstehungsgeschichte von Fairtrade schaut, ging alles von der evangelischen und katholischen Kirche aus. Lange Zeit war das ein Nischenthema. In den vergangenen Jahren konnten wir aber beobachten, dass bei fair gehandelten Produkten die Umsätze immens angestiegen sind. In Deutschland lag der Umsatz zuletzt bei 2 Milliarden Euro pro Jahr. Auch die Großhandelskonzerne sind mittlerweile aufmerksam geworden. Wir wollen das als Anlass nehmen, um Fairtrade auch als Zweck für das Gifhorner Stadtmarketing zu betrachten. Insgesamt geht es aber darum, allen ein menschenwürdiges und zukunftsfähiges Leben zu sichern.

Wie sieht der zeitliche Rahmen aus? Wann kann Gifhorn mit der Auszeichnung rechnen?

Wir haben uns vorgenommen, dieses Siegel bis zum 31. März dieses Jahres anzustreben. Wir wissen, dass das unter Corona-Bedingungen schwierig werden könnte. Wir wollen es dennoch probieren. Ich hatte den Eindruck, dass das erste Online-Treffen der Steuerungsgruppe bereits viel Positives mit sich brachte. Die Beteiligung war wirklich toll. Derzeit sind Wista-Geschäftsführer Martin Ohlendorf und ich die Ansprechpartner. Wir würden aber gern für die Ausgewogenheit noch eine Frau dazugewinnen. Die Steuerungsgruppe ist auch für andere Interessengruppen offen, wir sind keine geschlossene Gesellschaft!

So wird unser Gifhorn zur Fairtrade-Town

Das Siegel für fairen Handel kennt fast jeder: ein hellgrün-blauer Kreis auf schwarzem Grund, im Kern ist die Silhouette eines Menschen zu erkennen. Nicht nur fair gehandelte Waren können sich dieses Siegel verdienen, auch ganze Städte bemühen sich um die Auszeichnung. Mehr als 700 Städte sind deutschlandweit bereits dabei und dürfen sich Fairtrade-Town nennen.

In Gifhorn bemüht sich eine Steuerungsgruppe um den Titel. Dazu gehören der Weltladen, Fridays For Future, Parents For Future, BBS 1 und BBS 2, Sparkasse Celle-Gifhorn-Wolfsburg, die Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing Gifhorn GmbH (Wista), die Kreisvolkshochschule und KURT. Interessierte sind willkommen.


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