Wirtschaft, Kultur & Politik

Corona und die Folgen für unser Gifhorn - Politiker stellen sich im Videochat den Fragen der Gifhorner Wirtschaft und Kultur

Redaktion Veröffentlicht am 24.02.2021
Corona und die Folgen für unser Gifhorn - Politiker stellen sich im Videochat den Fragen der Gifhorner Wirtschaft und Kultur

Wista-Geschäftsführer Martin Ohlendorf im Videochat – auf seinem Bildschirm zu sehen sind gerade Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und die Gifhorner Bundestagsabgeordnete Ingrid Pahlmann, die ebenfalls bei der Gesprächsrunde dabei waren.

Foto: Michael Uhmeyer/Stadt Gifhorn

Es sind vor allen die kleineren, regional und lokal aufgestellten Unternehmen, die unter den Folgen des zweiten Lockdowns in besonderem Maße leiden. Angesichts dieses enormen wirtschaftlichen Drucks, unter dem die Unternehmen stehen, besteht ein großes Bedürfnis, mit den Verantwortlichen der Politik ins Gespräch zu kommen und sich über das Problem auszutauschen. Der Bundesarbeitsminister und Gifhorner Wahlkreisabgeordnete Hubertus Heil (SPD), die Gifhorner Bundestagsabgeordnete Ingrid Pahlmann (CDU), die Gifhorner Landtagsabgeordnete Imke Byl (Grüne) und der Gifhorner Landtagsabgeordnete Philipp Raulfs (SPD) stellten sich bei einer virtuellen Diskussionsrunde den brennenden Fragen der Teilnehmer. Dazu eingeladen hatten Bürgermeister Matthias Nerlich und der Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderung Wista, Martin Ohlendorf – moderiert wurde der fast zweistündige Talk von KURT-Chefredakteur Bastian Till Nowak.

Hayo Galipp-Le Hanne von der City-Gemeinschaft Gifhorn eröffnete die Runde und schilderte die dramatische Lage, in der sich der Schuh- und Modehandel befindet. „Die Läger sind noch mit der Herbst- und Winterware voll, die Frühlings- und Sommerware trifft ein und die Fixkosten müssen weiter bezahlt werden. Wir brauchen dringend die Überbrückungshilfe III und die kommt nur ganz, ganz schleppend“, so der Unternehmer. „Auch unsere Ware ist verderblich und muss jetzt mit hohen Abschlägen veräußert werden.“ Das könne zwar kurzfristig Liquidität verschaffen, aber keine Rentabilität.

Das hat Folgen für die Innenstadt. „Ich sehe die Gefahr, dass die Innenstadt ausstirbt“, sagte Udo von Ey, Vorsitzender der City-Gemeinschaft Gifhorn. Zum einen, weil einige Handelsgeschäfte und Gastronomen den Lockdown wirtschaftlich nicht überleben würden, zum anderen wegen des veränderten Kaufverhaltens. „Die Menschen haben gelernt, wie praktisch es ist, alles online zu bestellen.“ Dabei, so Udo von Ey, sei gerade eine lebendige Innenstadt, die Raum für soziale Kontakte biete, so wichtig für die Lebensqualität. Seine Forderung: „Wir müssen die Innenstadt komplett neu denken. Wir brauchen einen Masterplan und das Geld, diesen umzusetzen. Dafür muss der Bund in die Verantwortung genommen werden.“

Damit liegt der Unternehmer auf einer Linie mit Gifhorns Bürgermeister Matthias Nerlich. Corona habe deutlich gemacht, dass Innenstadt noch einmal ganz anders gedacht werden müsse als vor zwei, drei Jahren. Matthias Nerlich stellte ein integriertes Stadtentwicklungskonzept in Aussicht, das Grundlage sei, um in den Genuss von Mitteln aus der Städtebauförderung zu kommen. „Wir sprechen über Millionen, fünf Millionen und mehr, dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen, damit wir an diese Gelder kommen.“

Die Gifhorner Bundestagsabgeordnete Ingrid Pahlmann geht noch ein Stück weiter. „Wenn hier bei uns etwas wegbricht, dann sind die Auswirkungen weitaus heftiger als in der Großstadt. Deshalb kämpfe ich für gleichwertige Lebensverhältnisse im ländlichen Raum.“ Umgestaltung, etwa mehr Kommunikationsflächen in der Fußgängerzone, das ist für sie aber nur ein Aspekt. Ingrid Pahlmann kann sich auch eine Paket-Abgabe des Online-Handels zu Gunsten des Ausbaus der Innenstädte vorstellen und vor allem ein Ende der kostenfreien Retouren. Sie weist aber auch auf die enorme Summe von 80 Milliarden Euro Wirtschaftshilfen des Bundes und auf das Programm „Neustarthilfe“ hin, dass besonders für die Gifhorner Kulturszene interessant sein könnte.

Hubertus Heil und Ingrid Pahlmann tauschten sich genauso wie Imke Byl und Philipp Raulfs mit der Gifhorner Wirtschaft und Kultur aus.

Foto: Michael Uhmeyer/Stadt Gifhorn

Gastronom und Hotelier Armin Schega-Emmerich, Kreisvorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) sprach von einem blanken Entsetzen, das in seiner Branche angesichts der Ankündigung aus Berlin herrsche, die Öffnung der Gastronomie erst ab einem Inzidenzwert von 35 in Betracht zu ziehen. Und das obwohl die Gastronomie massiv in die Hygienevorsorge investiert habe. „In der letzten Bund-Länder-Konferenz wurde unsere Branche nicht mehr entsprechend berücksichtigt." Vom Außer-Haus-Geschäft würden nur einige wenige profitieren, stattdessen müsse man mit Rieseneinbrüchen im Saal- und Veranstaltungsbereich und Umsatzeinbußen um bis zu 95 Prozent im gastronomischen Bereich zurechtkommen. Ein ähnliches Bild zeige sich bei den Übernachtungen. Zwei Hotels in Gifhorn seien in den vergangenen beiden Monaten komplett geschlossen gewesen.

Von der Politik im Stich gelassen fühlt sich auch Musiker, Veranstalter und Musikschulbetreiber Volker Schlag. „Ich habe als Musiker mit meiner Band keine einzige Veranstaltung gehabt“, beschreibt er seine wirtschaftliche Bilanz. Dass auch die Kulturbranche erst ab einen Inzidenzwert von 35 mit Lockerungen rechnen kann, ist für ihn völlig unverständlich. „Für unsere Branche ist das noch einmal die totale Katastrophe. Wir wissen nicht, wie wir unseren Laden halten sollen." Open-Air-Konzerte würden niemanden retten, denn die seien viel teurer als Indoor-Konzerte. Als besonders zermürbend empfindet der Künstler: „Beantragte Hilfsgelder, die nicht kommen und komplizierte Anträge mit ständig neuen Anforderungen.“

Arbeitsminister Hubertus Heil warb um Verständnis für eine vorsichtige Öffnungsstrategie. „Wir durchleben die größte Gesundheitskrise unserer Generation und in Folge dessen die größte Wirtschaftskrise unserer Zeit und das weltweit. Und wir haben dafür keine Blaupause“, sagte er. Das Infektionsgeschehen, die sich ausbreitenden Mutationen und das Impfen – das seien die Faktoren, die beherrschbar sein müssten, von ihnen hänge die Öffnungsstrategie ab.

„Die Stimmung im Land wird schlechter“, pflichtete der Landtagsabgeordnete Philipp Raulfs den Vertretern von Wirtschaft und Kultur bei. Deshalb sei es wichtig, jetzt Perspektiven für Wirtschaft, Bildung und Kultur aufzuzeigen. Er verwies dabei auf den Entwurf eines Stufenplans von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, der je nach Inzidenzwert eine Öffnungsperspektive in sechs verschiedenen Stufen vorsieht. Vor der Wirtschaft seien jedoch erst die Kinder an der Reihe, so Philipp Raulfs.

Das wäre denn auch ganz in Sinne von Christina Roth von den Unternehmerfrauen, eine Vereinigung, die rund 70 Unternehmerinnen repräsentiert. Sie berichtete nicht nur von den Existenzängsten der Frauen, sondern auch von der besonderen Belastung für diejenigen, die zusätzlich auch noch die Kinder betreuen. „Da haben viele sehr schwer zu kämpfen“, so Christina Roth.

Nicht ganz so düster fiel die Bilanz von Andreas Bierich von der Kreishandwerkerschaft aus, der ein differenziertes Bild der verschiedenen Branchen zeichnete: Dass die Friseure ab 1. März wieder arbeiten dürften sei eine sehr gute Nachricht. „Die Branche ist in ganz große Existenznöte gekommen, weil kaum ein Vermieter bereit war, die Miete zu reduzieren.“ Während es beispielweise beim Tischlerhandwerk gut laufe, seien die KFZ-Betriebe sehr gebeutelt, und Bäckereien und Fleischereien fehlten der Café-Betrieb und der Mittagstisch. „Ich hätte mir gewünscht dass man auch eine Unternehmerhilfe in Form eines Unternehmerlohns aufgelegt hätte, um damit die wichtigsten Dinge abzudecken“, sagte Andreas Bierich. Ein Vorschlag, der bei den Politikern auf offene Ohren stieß.

Das Problem der schleppenden Hilfszahlungen zog sich wie ein roter Faden durch die Gesprächsrunde. „Die Novemberhilfen oder Dezemberhilfen sollten Kosten in diesen beiden Monaten ausgleichen. Ausgezahlt werden sie aber größtenteils erst im Februar. Der Zeitverzug stellt unsere Mitglieder vor immense Probleme“, machte Michael Wilkens von der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHK), die auch den Bereich Gifhorn abdeckt, deutlich. Wenn in der Geschwindigkeit weitergearbeitet wird, kommt die Überbrückungshilfe III wohl erst im April komplett bei den Betrieben an. Zur schnellen Abhilfe der finanziellen Not fordert die IHK einen modifizierten Niedersachsen-Liquiditätskredit von der landeseigenen N-Bank, mit dem die Wartezeit bis zur Auszahlung der Überbrückungshilfe III überbrückt werden könnte.

Thomas Meister Steuerberater und Vorstandsmitglied der Wirtschaftsvereinigung Gifhorn bemängelte, dass noch immer nicht klar sei, unter welchen Voraussetzungen die Soforthilfen eigentlich gewährt würden und wer das Geld behalten dürfe und wer nicht. Was die Überbrückungshilfen betrifft, appellierte er an die Landtagsabgeordneten, auf die N-Bank einzuwirken. Diese prüfe die Anträge bereits beim Eingang bis ins Detail, statt die Kontrolle bei der Schlussrechnung durchzuführen. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die N-Bank nicht das Instrument der Schlussrechnung einsetzt und erst einmal zügig auszahlt“, so Thomas Meister.

Auch wenn es nicht sein Zuständigkeitsbereich sei: Was die ausbleibenden Überbrückungshilfen anbelangt, bot Hubertus Heil seine Hilfe an, da wo es klemmt. Mit Verweis auf die 80 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen sagte der Minister jedoch auch: „Ich kenne kein anderes Land der Welt, das Hilfen in dieser Höhe ausreicht.“ Als stabile Brücke wertete er das Kurzarbeitergeld. „Das ist unsere schärfste Waffe.“ Die 20 Milliarden Euro, die dafür ausgegeben wurden, seien gut investiertes Geld, damit die Unternehmen nach der Krise wieder durchstarten könnten.

Kritik an der Auszahlungspraxis der Hilfsgelder kam auch von der Landtagsabgeordneten Imke Byl. Darüber hinaus mahnte sie an, dass auch das Land stärker finanzielle Verantwortung tragen müsse. „Nicht ohne Grund wurden durch den Landtag Kreditermächtigungen in Höhe von 8,79 Milliarden Euro beschlossen. Der Finanzminister lobt sich nun öffentlich, dass davon bislang nur 2,57 Milliarden genutzt worden sind. Das ist doch Sparen am falschen Ende, wenn dafür weitere eigentlich funktionierende Betriebe verloren gehen!“ Auch sie fordert einen Unternehmerlohn. Dass man überhaupt über einen Überbrückungskredit für die Überbrückungshilfe sprechen müsse, findet Imke Byl „krass“. „Wie viel Geld da ist, sehen wir bei den Hilfen für Tui, aber bei den Kleinen kommt nichts an.“

Am Ende der von KURT-Chefredakteur Bastian Till Nowak moderierten Gesprächsrunde waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig: Dies sollte nicht der letzte Austausch gewesen sein. Kritik und Anregungen wollten die Politiker und Politikerinnen mit nach Berlin und Hannover nehmen.


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