Glauben & Zweifeln

Antwort auf die Frage so mancher glaubensfreien Freunde, warum ich bete - von Martin Wrasmann

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 22.03.2020
Antwort auf die Frage so mancher glaubensfreien Freunde, warum ich bete - von Martin Wrasmann

Die Hände zum Gebet gefaltet steht Martin Wrasmann vor der St. Bernward-Kirche in Gifhorn.

Foto: Çağla Canıdar

In Anlehnung an ein politisches Nachtgebet von Dorothee Sölle

...weil es um die Menschenwürde geht, von allen, nicht nur den Bio-Deutschen, ChristenInnen oder MuslimenInnen oder JudenInnen, auch der jetzt jungen Generation und all derer, die nach uns leben werden, für die die Zukunft nicht nur freitags ist, sondern auf dem Prüfstand steht, für die dritte und vierte Generation nach uns; und aller, auch derer, die vor uns gelebt haben, deren Träume wir verraten haben, die Träume von 1933 bis 1945, auch derer die mit uns leben und deren Träume platzen an den Zäunen der Türkei, durch die Hasstiraden und die Anschläge von Rassisten, weil sie so sind, wie sie sind, darum bete ich und sage manchmal: Vater unser – Allah.

...weil unsere Herausforderungen unendlich sind und unsere Sehnsucht oft unstillbar, weil wir oft an unsere Grenzen kommen und träumen von einer Zeit, die keine Grenzen kennt, darum bete ich manchmal: der Du bist im Himmel.

...weil die Namen Millionen geschundener, mit Füßen getreten, ausgelöscht; weil Herrschaft über andere die häufigste Form ist, den Namen Gottes zu beleidigen; weil Namenlosigkeit einzieht in unser Leben, kein Name, kein Leben, kein Du und kein Ich, keine Adresse, keine Heimat, weil Namen bleiben und nicht vergessen werden, dass ich das nicht vergesse, darum bete ich manchmal: geheiligt werde Dein Name.

...weil wir uns manchmal sogar vor uns selber fürchten, auch vor denen, die meinen, was gut für uns ist, die Immer-schon-alles-Wissenden, die Leugner von Wahrheiten, die die Schöpfung für einen Primark halten, die keinen Halt machen vor dem ICH-First, darum bete ich manchmal: Dein Reich komme.

...weil wir vom täglichen Brot reden, das uns heute gegeben wird, aber nicht uns allein, es ist das Brot aller, das wir zu verteilen haben, nicht das Brot für uns und den Brosamen für Euch, die wir als eines der reichsten Länder der Erde, die voller Verhungernder ist, ohnmächtig da stehen, die Ungerechtigkeit nicht mehr aushalten, darum bete ich manchmal: das täglich Brot gib allen heut.

...weil wir Deutsche Deutsche sind, manchmal blind vor Nationalismus und der Sicherung von Interessen, die nur uns dienen, die sich einreden lassen, dass man da und da und da sowieso nichts machen kann, und alles soll so bleiben, wie es ist, und dem Glücklichen schlägt keine Stunde, und die Phrasen tragen durchs Leben, darum bete ich manchmal: und führe mich nicht in Versuchung.

…weil ich Glauben brauche für das Reich, dass uns versprochen und das wir jetzt schon bauen, mit denen, die glauben an Gerechtigkeit und Frieden, an Barmherzigkeit und Wahrheit, die Hoffnung und Verheißung in sich tragen, die sich nicht abfinden mit dem, was alternativlos erscheint, darum sage ich manchmal: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit...

Und setze darauf, dass Gott sei in Ewigkeit mit uns – allen.

Martin Wrasmann, Pastoralreferent der katholischen St. Altfrid-Gemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe bitte an [email protected].


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