Musik

Amy Baker verwandeln 80er-Jahre-Hits in Punkrock-Hymnen

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 11.04.2020
Amy Baker verwandeln 80er-Jahre-Hits in Punkrock-Hymnen

Amy Baker bringen die Gifhorner Bühnen mit ihren Punkrock-Coverstücken zum Beben.

Foto: Çağla Canıdar

Die Lieblingslieder der 80er Jahre in Punkrock-Versionen – wie die wohl klingen mögen? Eine Antwort darauf gibt Amy Baker. Dabei handelt es sich mitnichten um eine Sängerin, sondern um eine Band, die mit genau diesem Konzept auch schon zweimal auf dem Gifhorner Altstadtfest gastierte. Schlagzeuger Mark „Paul“ Schmitz ist seit einiger Zeit selbst Gifhorner, und er berichtet vom Leben in der Heide, von seiner ersten Band mit dem unflätigen Namen „Akuter Kackreiz“, von den zwei neuen Songs, die Amy Baker aktuell bei allen möglichen Streaming-Portalen im Internet anbieten – und warum es sie auf CD wohl nicht geben darf.

„Land Of Confusion“ von Genesis und „Walking In Memphis“ von Marc Cohn sind die Songs Nummer 12 und 13, die jetzt von Amy Baker bei Streamingdiensten zu hören sind, und zwar unter dem Alias Amy Baker Band – weil es tatsächlich eine echte Sängerin mit dem Namen gibt. Doch dazu später mehr. Dieses Songangebot speist sich aus einer umfangreichen Session mit über 25 Liedern, die die Band vor fünf Jahren in ihrem Proberaum im Wolfsburger Schlachthaus mitschnitt. Sänger und Gitarrist Tobias „Doc Tobi“ Kramer produzierte, mischte und masterte sie nach und nach für die Veröffentlichung. Die zwei Neuen befinden sich in guter Gesellschaft: Bislang sind unter anderem auch „Tarzan Boy“ von Baltimora, „Video Killed The Radio Star“ von The Buggles oder „Everything Counts“ von Depeche Mode verpunkt zu hören – allesamt schneller, verspielter, druckvoller, eben punkrockig und in allerbestem Partygewand.

13 Cover-Songs von Amy Baker können online gestreamt werden.

Foto: Çağla Canıdar

Zwar sind diese Lieder die beiden neuesten im offiziellen Streaming-Angebot, doch nicht im Bühnenprogramm: „Inzwischen hat unsere Setlist um die 40 Stücke, wir haben viel mehr“, sagt Paul. Gern wäre er daher auch in den Veröffentlichungen aktueller, doch hat er zwar – was Tobi fehlt – Zeit, doch fehlt ihm – was Tobi hat – der technische Sachverstand. „Tobi macht sich richtig viel und super Arbeit, der kennt sich gut aus“, schwärmt Paul. Und weil er dafür nun mal Zeit braucht, veröffentlichen Amy Baker eben nur zwei bis vier neue Stücke pro Jahr.

Leider nicht auf CD, wie Paul bedauert: „Ich bin oldschool, ich würde gerne eine CD rausbringen und auf Konzerten verkaufen, ich will etwas in der Hand halten können.“ Doch sieht es mit den Rechten für physische Tonträger ganz anders aus als beim Streaming, wofür es deutlich weniger Regularien gibt, wie etwa, dass es keine Medleys sein dürfen. Daher muss es bei der digitalen Variante bleiben. Ein Dienstleister übernimmt für die Band das Hochladen. Nur wenige Klicks, dann sind die Portale gefüttert. Da strahlt der Schlagzeuger: „Ich finde es erstaunlich, dass das so einfach geht.“ Jetzt gibt es die Musik von Amy Baker zwar auf Spotify, Deezer, Tidal, Google Play, Apple Music und YouTube – aber eben nicht zum Anfassen. Geld will die Band damit überdies nicht verdienen, so einfach geht das auch gar nicht. Bislang hatten ihre Songs nämlich zusammen erst etwas über 3000 Streams, immerhin verteilt auf 60 Länder: „Das ist nicht die Welt, da bleibt nicht viel hängen“, sagt Paul, und betont dabei: „Dafür machen wir‘s nicht!“ – sondern für den Spaß, und den hört man auch digital.

Wer aber nun ist überhaupt diese Amy Baker? Die faktische Antwort lautet: Neben Schlagzeuger Paul sowie Sänger und Gitarrist Doc Tobi sind dies Sven „Killa(haase)“ Haase am Bass, David Richter als zweiter Gitarrist und als Quereinstieg Sängerin Anika „Ani“ Neumann-Koppen, die gelegentlich auch zur Melodica greift. Die romantische Antwort auf die Frage nach einer konkreten Person bleibt indes aus: „Der Name ist frei erfunden“, erzählt Paul. Und das kam so: Als Sven, Tobi und Paul noch bei den Weltenrettern spielten, sahen sie sich mit dem Ausstieg des Sängers Marc D vor die Wahl gestellt, wie es weitergehen sollte. Die Band mit einem neuen Sänger weiterführen, kam für sie nicht in Frage, also spielte das Trio zunächst unter dem sperrigen Alias „Doctor Hook And The Cheeseheart Pirates“, bis ihnen Marc D bei einem Besuch im Proberaum vorschlug: „Nennt Euch doch Meredith Baker.“ Die Band bewegte den Vorschlag in ihrem Herzen: „Erst haben wir das abgetan“, so Paul, dann aber doch befunden: „Wenn, dann Amy!“ Und sich feixend überlegt: Welche Erwartungen hat das Publikum von einem Act, der als Amy Baker angekündigt wird und einem dann „Punkrock um die Ohren ballert?“ Und umgekehrt: „Als Punkrockband heißt man eher nicht Amy Baker.“ So stand der Name dann also fest. Erst später kam heraus, dass es bereits eine US-Sängerin namens Amy Baker gibt: „Deshalb heißen wir im Streaming jetzt Amy Baker Band.“

Tobias „doc Tobi” Kramer (von rechts), Sven „Killa(haase)” Haase, Mark „Paul” Schmitz, David Richter und Anika „Ani” Neumann-Koppen sind zusammen die Cover-Rocker Amy Baker.

Foto: Çağla Canıdar

Der Ausstieg von Marc D stellte außerdem die Weichen für das Konzept mit den Cover-Songs: „Die Weltenretter mit anderem Sänger war nix, neue Songs schreiben ohne Texter und mit zu wenig Zeit war nix“, so Paul. Also spielten die verbliebenen drei zunächst ihre Lieblingslieder nach, von Weezer bis Social Distortion. Mit der Erkenntnis: „Das kommt auf Altstadtfesten nicht, das kennt keiner.“ Und da Paul selbst „großer Fan“ der Band Me First And The Gimme Gimmes ist, die sich ihrerseits mit Punkrockcovern empfiehlt, lehnte sich Amy Baker an dieses Konzept locker an.

Für einige ihrer Songs übernahmen die fünf teilweise die Arrangements von „Me First“ und entwickelten sie weiter, andere gestalteten sie als Band gemeinsam neu. „Zuletzt haben wir viele Medleys gemacht“, so Paul. Darunter eines mit den schlimmsten Eurodance-Hits der 90er, die in diesem Gewand erst ihre wahren Qualitäten offenbaren, ganz neu ein deutschsprachiges mit Schlager, Pop und NDW sowie ein Elvis-Medley. Ungeplant war dabei übrigens, dass dessen „Always On My Mind“ von den Pet Shop Boys gecovert in das 80er-Œuvre von Amy Baker passt: „Aber das war Zufall“, so Paul. Genau andersherum verhält es sich mit „Tainted Love“ von Soft Cell, dessen Original von Gloria Jones er erst später entdeckte – und an dem sich nun die Version von Amy Baker orientiert: „Das ist besser!“ Und ist aktuell im Stream der meistgehörte Song der Band.

Die Auswahl der Hits ist übrigens nicht zwingend vom persönlichen Geschmack der Musiker gesteuert: „Auf ‚Heaven Is A Place On Earth‘ von Belinda Carlisle wäre ich von allein nicht gekommen“, gibt Paul zu. „Aber es kommt auf den Spaß an der Sache an.“ Und darauf, ob die Band Lust hat, die Songs auch zu spielen, nicht nur, ob das Publikum sie hören will: „Helene Fischer schließen wir aus!“ Den Wunsch danach hörte die Band tatsächlich schon häufiger – nichts für die Punkrocker. Die 80er hingegen, so Paul, „hat man heute noch im Ohr, auch wenn man auf anderen Wellen unterwegs war“.

Das war Paul seinerzeit vornehmlich in Velpke und Wolfsburg, erst seit zwei Jahren ist er Gifhorner. Klassisch der Liebe wegen: Aus einer langjährigen Fernbeziehung – sie in Hamburg, er in Wolfsburg – machten Beide nun einen gemeinsamen Haushalt, der erschwinglicheren Mieten wegen in Gifhorn. Eine Wahl, mit der Paul zufrieden ist: „Für mich ist Gifhorn in Ordnung, ich muss auch nicht mehr jedes Wochenende weg sein.“ Und selbst wenn, wird er hier fündig: etwa im Kultbahnhof, bei Axel Prahl in der Stadthalle oder im Sommer bei dessen „Tatortpartner“, so Paul. „Und kleinere Konzerte gibt es auch alle Nase lang, mit Freunden wie Van Damned und Co“, bemerkt Paul; bei denen spielen übrigens André Borawski und Thomas Krehfeld mit, zwei frühere „Die-letzten-Kavaliere“-Mitstreiter. Dabei ist er nicht einmal Neu-Gifhorner: Anfang der 90er hatte er für ein Jahr in Gifhorn gelebt, bis er auf eigenen Füßen gestanden hat und nach Wolfsburg zurückgezogen war.

„Helene Fischer schließen wir aus“ – dafür verrocken sie 80er-Hits.

Foto: Çağla Canıdar

In der Gegend startete Paul auch seine musikalische Karriere, um das Jahr 1988 herum, mit Akuter Kackreiz, denen bis heute Kultduft anhaftet – und die überraschenderweise kürzlich beim von Paul organisierten „Open Arsch (Closed)“ im Wolfsburger Hallenbad eine fröhliche Auferstehung feierten, mit der Aussicht auf ein neues Leben. „Bis 1998 habe ich in Kellercombos in Velpke gespielt, ich hatte nie richtig Auftritte“, erzählt Paul. „Dann habe ich einen Entschluss gefasst: Ich versuche es richtig oder lasse es bleiben.“ Er schaltete eine Zeitungsannonce, „Drummer sucht Punkrockband“, auf die sich Marc D meldete, damals Sänger bei Die letzten Kavaliere, davor noch bei den Bonner Präservativen. „Da bin ich eingestiegen, die haben genau so einen wie mich gesucht, das passte wie Arsch auf Eimer“, schwärmt Paul. Marc D spielte ihm eine Demo-CD vor, die mit einem Drumcomputer eingespielt war: „Das war genau meine Musik.“ Und Paul hängte sich rein, er befestigte etwa beim Proben die Sticks mit Klebeband an den Händen – und überzeugte auch Die letzten Kavaliere davon, dass er zu ihnen passte. Paul: „Das war mein Einstieg in die halbprofessionelle Musik.“ Von dort aus ging es dann nach deren Split von 2004 bis 2011 zu den Weltenrettern.

Dort spielten auch Doc Tobi und Sven, die ihrerseits auch vorher schon anderweitig aktiv waren: Tobi bei Wasteland und Someday Soon, Sven bei Phosphatfrei und bis heute parallel bei Straight Ahead. David indes ist der Jüngste in der Band, wiederum Sohn eines Musikers, nämlich Christoph „Cheecho“ Richter, der mit Svens Bruder Jörg alias Joffka bei Schorf spielt und den Amy Baker einfach fragten, ob er nicht der zweite Gitarrist werden wollte. Wollte er: „Er kam vorbei, hat gespielt, es hat gepasst, seitdem ist er dabei“, so Paul. „Er ist ein bisschen jünger, er kennt die meisten Songs gar nicht, aber er hat Spaß daran.“ Weit kurioser war später der Zugang von Ani: „Sie ist eine Freundin von Haase, sie hat uns gesehen und Bock drauf, bei uns zu singen“, erzählt Paul. Dabei machte sie nie zuvor etwas Musikalisches, sie stand jedoch als Mitglied einer Tanzgruppe auf der Bühne. Und die Quereinsteigerin passt zu Amy Baker: „Sie gibt uns den richtigen Kick, sie ist mit Feuereifer dabei“, so Paul.

Konzerte sind konkret noch nicht in Aussicht, aber eine Bewerbung für das Gifhorner Altstadtfest läuft. Dort spielten Amy Baker bereits 2017 und 2018. Paul: „Wir hoffen, wir sind wieder auf der H1-Bühne dabei!“ Bis dahin kann man sich die inzwischen 13 Studio-Songs von Amy Baker auch im Streaming anhören, zum Vorfeiern gewissermaßen.

www.amybaker.de
Streaming via Spotify, Deezer, Tidal, Apple Music, Amazon Music


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