Essen & Trinken
Al Sesam öffne Dich: Der libanesische Imbiss im Cardenap bereichert die Gifhorner Gastronomie
Malte Schönfeld Veröffentlicht am 02.08.2022
Krummer Rücken und ein Manakish in der Hand: KURTs Gastro-Tester Malte Schönfeld geht‘s bei seinem Besuch des Imbisses Al Sesam blendend.
Foto: KURT Media
Man kann gegen unsere Gastronomie wirklich wenig einwenden. Schaut man in der Gifhorner Kernstadt nach Restaurants und Imbissen, wird man – abzüglich des gleichförmigen US-amerikanischen Quickservice-Systemangebots, das einen mit Apps, Angeboten und Motto-Wochen unterfordert – italienische, griechische und thailändische Lokale finden, gesunde Frühstücksangebote, Kneipen, Cafés und Bäckereien. Und doch fehlt etwas. Denn manche höchst interessanten Esskulturen bilden sich nicht ab. Eine dieser Lücken schließt der libanesische Imbiss Al Sesam. KURTs personifizierte Mittagspause Malte Schönfeld hat ihn im Cardenap besucht.
Es ist der Dienstag nach dem Schützenfest. Die Fähnchen in den Stadtfarben Rot und Blau wehen ein wenig müde und schlaff im Sommerwind – ein Relikt des Wochenendes, das so vielen Gifhornerinnen und Gifhornern unvergessliche Tage beschert hat.
In Scharen standen sie hier, wo ich nun stehe, auf dem Marktplatz, die Schützenkorps in Uniform und der prallen Sonne. Der Spielmannszug hatte einen Marsch nach dem nächsten geschmettert. Es wurde marschiert, es gab herzliche Umarmungen. Jetzt ist alles ruhig. Nur die St. Nicolai-Kirche leuchtet noch im Schein der Juniglut. Zeit für eine Mittagspause.
Ich treffe meine Begleitung im Cardenap. Auch sie hat mindestens fünf Tage Schützenfest-Wahnsinn hinter sich. Ihre Stimme ist nicht wiederzuerkennen, ein Gekrächze vor dem Herrn, der Husten ist staubtrocken, der Corona-Test dafür negativ. Eine Stärkung steht auch ihr ganz gut zu Gesicht – und so hatten wir uns vor Al Sesam verabredet. „Ich mach‘ das hier mit, dann hau‘ ich aber auch wieder ab“, sagt sie und hustet einen Brocken, der aussieht wie der Umriss von Helgoland, in die Armbeuge. Wer will ihr da Steine in den Weg legen? Ich sicherlich nicht.
Den libanesischen Imbiss findet man hier seit dem Frühling. Zuerst war ich ein wenig misstrauisch, denn ich habe schon viele Geschäfte kommen und gehen sehen. Jüngst erinnerte mich ein Freund an den Dragonstore, ein Nerd-Paradies, wo man Anfang der 2000er Pokémon-Karten kaufen konnte, die heute – im jungfräulichen Zustand, versteht sich – eine Reise nach Beirut wert sein dürften. Ich zog damals ein Bisaflor, 1. Edition, tauschte es dann weiter, aktueller Marktwert: Bis zu 1500 Euro. Nun denn.
Oder der Rewe-Supermarkt, wo sich heute der Bio-Markt Mutter Grün befindet. Wir kauften da zur Fußball-Europameisterschaft 2012 vier Wochen lang reichlich Bier, man hatte so doofe Deutschlandfahnen-Schminke im Gesicht, Mario Balotelli ballerte die Nationalelf im Alleingang aus dem Turnier, hängende Köpfe, aus der Traum. Im Nachhinein frage ich mich: Welcher Traum überhaupt?
Jedenfalls gibt‘s diese beiden Geschäfte nicht mehr, wie so viele andere auch in der Gifhorner Innenstadt. Reizthema Leerstand. Daher also das Misstrauen. Doch wie sich herausstellen sollte, waren diese Bedenken völlig umsonst.
Meine Begleitung und ich schauen auf die Karte. Vegetarische und vegane Speisen sind luxuriös gekennzeichnet, und die Gerichte tragen so tolle Namen wie Zatar, Fattusch-Salat und Baba Ghanoush – Al Sesam öffne Dich, hier tut sich ja eine ganz neue Welt auf. Wir bestellen Linsensuppen, Manakishs, also flache Teigbrote mit Würzung und Belag, gefüllte Weinblätter und Böreks.
An dieser Stelle muss man zwei Dinge erwähnen: Bis auf wenige Ausnahmen werden alle Gerichte frisch zubereitet, was zu einer Wartezeit führen kann. Hat man es eilig, sollte man auf Nummer sicher gehen und telefonisch vorbestellen. Zudem finden sich bei Al Sesam bis auf wenige Barhocker kaum Sitzmöglichkeiten. Gerade im Sommer sollte das aber keine Probleme bereiten, schließlich bietet es sich an, im Freien zu essen.
Unsere Gerichte kommen. Los geht‘s mit der Linsensuppe – und da legt Al Sesam mal direkt vor. Cremige Angelegenheit, die Zubereitung hat keine Brocken geworfen, eine richtig gute, angenehme Schärfe. Obendrauf schwimmen frittierte, krosse Brotstreifen – das habe ich auch noch nicht erlebt! Schweineleckerer Start.
Wie es nun weitergeht, darf man selbst bestimmen. Und das ist ja das Schöne an Lokalen wie Al Sesam: Die Karte ist überschaubar, dafür lassen sich die einzelnen, Mini- bis mittelgroßen Gerichte kinderleicht kombinieren. Ein Spinat-Manakish und Sfiha Baalbaki, also libanesische Teigtaschen mit Hackfleischfüllung passen genauso gut zusammen wie der Taboulé-Salat mit Bulgur, Tomaten, Zwiebeln, Olivenöl sowie Petersilie und der Hummus. So wie man es haben möchte, kommt es zusammen.
Mit unseren Gerichten unterm Arm wandern wir in Richtung Marktplatz, setzen uns neben den Löwen-Brunnen, der wohlig plätschert. Als nächstes nehme ich mir den Zatar-Manakish. Zatar ist arabisch und heißt Thymian, hinzu kommen Gewürze des Sumachbaumes, Tomatenscheiben, Gurkenwürfel, schwarze Oliven und feine Minzblätter. Dieses warme Brot in den Händen zu halten, löst bei mir irgendwie eine ganz natürliche Zufriedenheit aus. Reinzubeißen, steigert dieses Gefühl nur noch. Allen voran die Verbindung von Thymian und Minze, diese beiden Kräuter harmonieren spielerisch und elegant. Als abschließenden Snack genehmige ich mir die Böreks mit Käsefüllung und die gefüllten Weinblätter.
Wie wir so unter der schattenspendenden Baumkrone sitzen, blicke ich auf den Marktplatz und lege die Füße auf die Bank. Noch immer ruhig. Neben mir krabbeln einige Ameisen, doch ich bin zu beseelt, um mich zu rühren. Ruckartig springt meine Begleitung auf und verkündet ihren Abschied: „Ich muss mich jetzt echt ausruhen.“ Unsere Wege trennen sich.
Zwei Tage später. Ich sitze in der Redaktion, es ist Mittag und mein Magen knurrt. Ich denke an Al Sesam und dass es eine Bereicherung für die Gifhorner Gastronomie ist. Ich werfe meinen Beutel über, marschiere los. In dem Moment, als ich die Imbisstür aufschiebe, lächelt mich der Inhaber Chadi Hassoun direkt an.
Al Sesam
Cardenap 2-4, Gifhorn
Di. – So. 11 bis 19 Uhr
Tel. 0176-74798263