Kunst

Wer genau schaut, wird mit Zärtlichkeit belohnt - Kunst im Gifhorner Kavalierhaus: Anja Warzecha wagt eine Intervention

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 27.08.2023
Wer genau schaut, wird mit Zärtlichkeit belohnt - Kunst im Gifhorner Kavalierhaus: Anja Warzecha wagt eine Intervention

Die Museumswohnung Emma im Kavalierhaus ist um einige scheinbare Dekorationen reicher. Dahinter verbergen sich jedoch kleine Kunstwerke von Anja Warzecha, die wortlos in ihrer Umwelt aufgehen.

Foto: Anja Warzecha

Eingriff in die Gegenwart einer Vergangenheit: Die 33-jährige Künstlerin Anja Warzecha, die für ein Stipendium bis vor kurzem im Künstlerhaus Meinersen residierte, hat die Museumswohnung Emma im Kavalierhaus zum Ort und Inhalt ihrer jüngsten Arbeit gemacht. Die Intervention „Anna Warzecha zu Besuch“ in der Wohnung der 1997 verstorbenen Gifhornerin Emma Wrede zeigt kleine zeichnerische Elemente, die mit der Wohnumgebung verschmelzen. Besucherinnen und Besucher dürfen sich so auf eine enigmatische Room-Tour freuen, bei der man aufmerksam hinschauen muss: Was ist hier wahr, was ist dazugedichtet?

Das Kavalierhaus ist zweifellos ein Prunkstück der Gifhorner Altstadt. 1546 im Stile der Rennaissance fertiggestellt ist es untrennbar mit dem Gifhorner Stadtbild und der Szenerie um den Marktplatz verknüpft. Bis 1992 lebte hier Emma Wrede, deren Erben nach ihrem Tod fünf Jahre später entschieden, das Kavalierhaus und das Inventar dem Landkreis Gifhorn zu vermachen. Seitdem sind die Räumlichkeiten als Museumswohnung begehbar.

Anja Warzecha ist eine Beobachterin. Eine sehr gute sogar. Ihre Kunst entsteht immer aus einem Blickwinkel des Respekts und der Höflichkeit. Als sie die Museumswohnung als Touristin betrat, wusste sie fast auf Anhieb, dass sie dazu arbeiten wollte: „Mich hat das begeistert, was wohl viele begeistert – es ist eine private Zone und man hat das Gefühl, gleich kommt die Person, die hier wohnt, um die Ecke. Es gibt zu allem eine Geschichte.“

Diese Arbeit befindet sich im Schlafzimmer von Emma Wrede. Künstlerin Anja Warzecha setzt auf Tranparenz und Durchlässigkeit.

Foto: Anja Warzecha

Bei einer Besichtigung der Wohnung erzählen sich diese Geschichten immer im Hintergrund mit. Das Übriggebliebene spricht. Karierte Geschirrtücher, die gewaschen wurden; Einmachgläser im Abstellraum, die befüllt wurden; ein stattliches Grammophon, auf dem noch die Schallplatte „Der Wirt vom Heidekrug“ liegt; Bücher über Pilze und Gartenpflege im Regal. Deswegen wählten Künstlerin Anja Warzecha und Anette Thiele, Leiterin der Museumswohnung, einen Ansatz, der beiden neu war: eine Intervention statt einer Ausstellung. „Wir wussten, dass sich dieser Bruch mit der Idee des Museums nur als Bereicherung herausstellen kann“, berichtet Anette Thiele.

So erlebt die eingefrorene Wohnsituation, wie Leiterin Thiele sie nennt, eine lebendige Ergänzung – der soziohistorische Ausstellungsort bekommt vorsichtig Leben eingehaucht. „Die Kunst von Anja Warzecha ist so zurückhaltend wie ein Gast, der eine ihm nicht ganz vertraute Wohnung betritt“, beschreibt Anette Thiele.

Die Museumswohnung Emma im Kavalierhaus ist um einige scheinbare Dekorationen reicher. Dahinter verbergen sich jedoch kleine Kunstwerke von Anja Warzecha, die wortlos in ihrer Umwelt aufgehen.

Foto: Anja Warzecha

Die Werke von Anja Warzecha – sie wirken im Kontext der Intervention, des kurzen Ich-schau-mal-rein besonders zerbrechlich wie Porzellan. „Ein klassisches Bildformat wie eine Leinwand wäre ein kompletter Fremdkörper gewesen“, findet die Künstlerin. Deswegen setzte sie lieber auf feine Zeichnungen auf durchsichtigem Glas oder auch Stickereien auf Nylon, die sich ihrer Umwelt anschmiegen. „Ich habe versucht, immer Transparenz und Durchlässigkeit herzustellen“, erläutert Anja Warzecha. Viele der Werke zeichnete sie darüber hinaus mit einem 3D-Stift – sie sehen so fragil aus, dass man sie nicht mal berühren würde, selbst wenn man denn dürfte.

Wer die Arbeiten aus der Zeit des Stipendiums im Künstlerhaus Meinersen kennt, weiß nicht nur von der erstaunlichen Mehrfachbegabung Anja Warzechas. In Erinnerung geblieben sind von der Ausstellung „A Sense of Place“ vor allem auch die Formen, die Muster, die Ornamente, die Farben und wie sie sich zueinander verhalten. „Ich finde es immer charmant, wenn Dinge nicht zusammenpassen“, berichtet sie von den sich überlappenden Teppichen in Emma Wredes Wohnung, der Küchenschürze in Floraloptik oder den gemusterten Topflappen. „Ich mag, wenn sich Muster beißen, die Vielfalt an Textilien finde ich spannend.“

Diese Pflanze hat Anja Warzecha mit einem 3D-Stift gezeichnet. Im unaufmerksamen Vorbeigehen wird sie fast vom Muster der Tapete verschluckt.

Foto: Anja Warzecha

Noch bis 24. Oktober ist die Intervention in der Museumswohnung zu besuchen. Der Eintritt variiert, beträgt aber nie mehr als 3 Euro pro Person. Im Tausch dafür bekommt man eine einzigartige Erfahrung, einen beispiellosen Blick in ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert, wo sich das Politische im Unpolitischen auflädt und Gegenstände charismatisch um Aufmerksamkeit ringen. Und dann finden sich dazwischen die kleinen Einwürfe von Anja Warzecha. Wer nicht ganz genau hinschaut, könnte sie übersehen. Doch wer Aufmerksamkeit beweist, wird mit Zärtlichkeit belohnt.

Intervention im Kavalierhaus:
„Anja Warzecha zu Besuch“
Kavalierhaus
Steinweg 3, Gifhorn
Bis 24. Oktober
Sa. 11 bis 13 Uhr & So. 14 bis 16 Uhr


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