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Uns fehlt ihr Glühwein, ihnen fehlt unser Gifhorn - So erlebt Schausteller-Familie Weber die Adventszeit ohne Weihnachtsmarkt

Marieke Eichner Veröffentlicht am 20.12.2020
Uns fehlt ihr Glühwein, ihnen fehlt unser Gifhorn - So erlebt Schausteller-Familie Weber die Adventszeit ohne Weihnachtsmarkt

Familienfoto in der Dosenwerfen-Bude: Nadine und Monty Weber reisen zusammen mit ihren Söhnen Justin (20), Louis (15), Jim (7) und Jack (7) von Stadt zu Stadt – normalerweise, doch zurzeit geht das ja nicht.

Foto: Privat

Weinfest, Altstadtfest, Weihnachtsmarkt und mehr – im Jahr 2020 hagelte es Absagen über Absagen für die Feiermeilen. Keine Spiel- oder Naschbuden säumten unsere Innenstadt. Was machen eigentlich die Schausteller in einer Zeit, in der ihre Arbeit – ihre Familientradition – nicht möglich ist? KURT fragte bei der Schaustellerfamilie Weber nach, seit mehr als zehn Jahren gastiert sie mehrmals im Jahr in Gifhorn. Nadine (42) und Monty Weber (42) erzählen von ihrer Familiengeschichte, ihren Reisen durch ganz Deutschland, ihrer besonderen Beziehung zu unserer schönen Stadt – und den Gifhornerinnen und Gifhornern, die sie sehr vermissen.

Obwohl Familie Weber von April bis Oktober normalerweise durch ganz Deutschland reist und jede Woche in einer anderen Stadt gastiert, sticht Gifhorn dabei trotzdem heraus. „Alle unsere vier Kinder sind in Gifhorn geboren“, lacht Nadine. Hinzu kommt, dass Familie Weber seit mehr als zehn Jahren unser Altstadtfest und den Weihnachtsmarkt mitgestaltet und auch seit fünf Jahren beim Weinfest stets mit von der Partie ist.

60 Jahre Selbständigkeit: Dafür wurde Nadines Oma Inge einst vom Schausteller-Verband mit einer Urkunde ausgezeichnet.

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Doch seit Beginn des Jahres verweilen Nadine, ihr Mann Monty und die Kinder Justin (20), Louis (15), Jack (7) und Jim (7) in ihrem Haus bei Peine. „Es ist, als ob man uns das Leben weggenommen hätte“, beschreibt Nadine Weber ihre momentane Situation. „Wir sind es nicht gewohnt, nur zur Hause zu sitzen und keine Leute zu sehen.“ Und stöhnend fügt Monty hinzu: „Jeden Tag dasselbe – das ist einfach nicht unser Leben.“

Nadine und Monty stammen beide aus traditionsreichen Schaustellerdynastien. Montys Urgroßvater arbeitete im Zirkus, sein Opa begründete die Familientradition der Schaubuden. Dort zeigte er sein Können als Lasso- und Messerwerfer. „Bei einer Veranstaltung hat er sogar dem damaligen Bürgermeister die brennende Zigarette im Mund mit der Peitsche ausgeschlagen“, erinnert sich Monty lachend.

Auch Nadines Uropa trat in Schaubuden auf, als starker Mann. „Der hat mit den Zähnen auf eine Vorrichtung gebissen und an der dann ein ganzes Pferd angehoben.“

Monty Weber (rechts) und sein Bruder Alois bei der Taufe der Zwillinge Jack und Jim – auf dem Autoskooter beim Schützenfest in Neudorf-Platendorf.

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Schaustellerfamilien kennen sich meist untereinander, so waren bereits Nadines und Montys Eltern miteinander bekannt. Monty berichtet, er sei „so 17, 18 Jahre“ alt gewesen, da habe er Wege gesucht, Nadine wiederzusehen. Gefunkt hat‘s dann – natürlich – auf dem Rummel. Über Nadines Onkel Fritzi und ihre Tante Angelika kamen die Webers dann zum Weihnachtsmarkt nach Gifhorn. Auch Montys Bruder und sein Patenonkel sind jedes Jahr mit dabei. „Als der Betreiber des Glühweinstandes verstarb, fragte man mich, ob wir übernehmen könnten“, erzählt Monty. „Das ist jetzt schon 13 Jahre her.“ Schnell kamen auch das Altstadtfest und später das Weinfest dazu. Und weil die Webers schon so lange Zeit Pizza und Schmalzkuchen, Bratwurst, Pommes, Glühwein und Eierpunsch in Gifhorn servieren, sind sie vielen Gifhornerinnen und Gifhornern vertraut. „Man kennt die Leute wirklich persönlich“, berichtet Nadine. Mit den Stammkunden halte man gerne mal ein Schwätzchen. „Die erzählen einem alles“, lacht Nadine. „Wirklich alles!“

Und noch eine Verbindung gibt‘s: Die beiden jüngsten Sprösslinge der Weber-Dynastie – die Zwillinge Jack und Jim – wurden 2014 beim Schützenfest in Neudorf-Platendorf getauft. „Und zwar auf dem Autoskooter“, lacht Monty. „Den haben wir damals noch gemacht. Für die Taufe kam ein Schausteller-Pastor, das war schon ein Riesenglück.“

„Das Schöne an diesem Beruf ist, dass man mit allen per Du ist“, sagt Nadine. „Wir sind jetzt seit 20 Jahren selbständig – und können uns kein anderes Leben vorstellen.“ Monty ergänzt: „Wir sind freie Menschen, das ist das Tolle.“ Dabei ist das Schaustellerleben mit einer Menge Arbeit – und Herzblut – verbunden. „Der Tag beginnt morgens um sieben, nach dem Frühstück fahre ich die Kinder zur Schule“, beginnt Nadine.

Stabuff hieß die Boxbude, mit der Nadines Uropa Oskar Rasch in den 50er Jahren unterwegs war.

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Louis, Jack und Jim besuchen eine Schule in Peine, wenn die Familie im Umkreis von 50 Kilometern arbeitet. Ansonsten gehen sie dort zur Schule, wo Familie Weber gerade steckt, die Schulbildung der Kinder wird mit einem vom Kultusministerium vorgegebenen Schultagebuch organisiert.

Sind die Kinder in der Schule, bereitet Monty die Geschäfte vor, Nadine kümmert sich „um den Haushalt und Papierkram“. Der älteste Weber-Sohn Justin arbeitet mit im Familienbetrieb, er will sich später auch als Schausteller selbständig machen. „Unser Großer nimmt mir viel ab, da kann ich mich um die Buchführung kümmern“, sagt Nadine mit dankbarer Anerkennung. Louis helfe, wenn er Zeit und Lust habe. „Der ist sich noch nicht sicher“, erzählen seine Eltern, „ob er ins Familienunternehmen einsteigen will, oder nach seinem Realschulabschluss eine Lehre in einer Autowerkstatt machen möchte.“ Und sogar die Zwillinge Jack und Jim „helfen Papa beim Aufbau“, lacht Nadine. „Die drehen dann mal eine Glühbirne rein oder tragen ein Kabel.“

Eine Schausteller-Dynastie: Nadines Großonkel Robert Rasch trat in den 50ern als Clown auf.

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An Wochentagen arbeiten Nadine und Monty bis abends zwischen sechs und neun Uhr. So weit klingen die Arbeitszeiten noch ganz normal – „aber die Wochenenden sind 24-Stunden-Tage“, betont Monty. „Beim Altstadtfest geht‘s meistens bis zwei Uhr nachts.“ Nach Feierabend übernimmt Monty den Abbau und Organisationstalent Nadine macht noch die Wäsche – „und dann geht‘s nur noch schlafen“.

Für die Kinder sei das jährliche Highlight das große Schützenfest in Hannover. „Da dürfen sie überall mitfahren – jeder kennt sie ja“, beschreibt es Nadine. „Wir Schausteller sind eine große Familie, alle halten zusammen und deshalb können auch die Kleinen alleine über den Platz laufen – denn in einer großen Familie passt man gegenseitig auf sich auf.“

Doch das freie Leben der Schausteller verändert sich seit Jahren. Immer häufiger würden sich Gäste über die Preise beschweren. „Die wissen aber leider oft gar nicht, was da alles hintersteckt“, bedauert Nadine. „Unsere Kosten nehmen immer stärker zu – und jetzt kam auch noch Corona.“

Als auch der Weihnachtsmarkt in Gifhorn abgesagt wurde, musste den Webers spontan eine Alternative einfallen. „Mein Mann hat die Weihnachtsdeko für einige Gifhorner Betriebe gemacht“, erzählt Nadine. Doch der Weihnachtsmarkt, der fehlt einfach – den Schaustellern vielleicht sogar noch mehr als so manchem Gifhorner. „Das ist schließlich unser Herzblut!“


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