Bildung
Schafe, Schuluniformen und Freundschaften fürs Leben: KURT-Praktikantin Rosa Meileen Stolzenburg (16) berichtet von einem Jahr in Irland
Rosa Meileen Stolzenburg Veröffentlicht am 12.10.2024Ohnhorst, Niedersachsen, Deutschland, Schule: „Ich will hier weg“, hat sich KURT-Praktikantin Rosa Meileen Stolzenburg, Schülerin der IGS Gifhorn, mit 15 Jahren gedacht. Schüleraustausch? Das wär‘s. Irland? Warum nicht... Nach einem Schuljahr ist sie jetzt wieder zurück – und berichtet von ihren Erlebnissen. Vom Trennungsschmerz am Flughafen über achterbahnähnliche Straßen und ständiges Regenwetter bis hin zu irischen Pubs hat sie wirklich alles erlebt. Auf die allgegenwärtige – und von ihr inzwischen als sehr nervig empfundene – Frage „Und, wie war Irland?“ hat sie jetzt endlich eine passende Antwort parat: Lies doch einfach selbst.
„Ich hab‘ da mal was mitgebracht für die Klasse“, sagte meine Englischlehrerin in der Neunten – und bappte einen Flyer an die Wand. Es war der Flyer einer Austauschorganisation, und so fing mein Plan von einem Auslandsjahr an. Unspektakulär, ich weiß.
Ein Flyer, eine kurze Überlegung, eine flüchtige Idee. Und genau diese Idee habe ich ehrlich gesagt erst mal für ein paar Wochen vergessen, bis ich beim Schreibtischaufräumen den Flyer wiederfinde. Hört sich alles eigentlich ganz cool an, aber das ist nichts für mich, denke ich mir, und doch bleibt die Idee jetzt hängen.
Abendessen mit meinen Eltern, Zeit meine Idee mitzuteilen: Ich möchte vielleicht für ein Schuljahr in ein anderes Land. Welches? Keine Ahnung, irgendwas Englischsprachiges. Mit der Ausschlussmethode lande ich bei Irland: Englisch, keine gefährlichen Tiere, nicht zu warm, EU, mittlere Preisklasse – Check.
„Ich hab da mal was bestellt“, kündigt mir mein Vater ein paar Tage später erwartungsfroh an und drückt mir einen Haufen Austauschflyer in die Hand. Nach dem nicht ganz so gründlichen Durchlesen ist es dann so weit: Ich schreib einfach mal eine Bewerbung und guck, was draus wird.
Merkwürdig, was die alles von mir wissen wollen. Ich quäle mich mehrere Tage ab – und sitze gerade am dritten Schreiben, als ein Umschlag kommt: eine Austauschorganisation. Nervös reiße ich den Perforationsstreifen auf und nehme die Mappe vorsichtig heraus. Es ist bestimmt eine Absage, es ist bestimmt eine Absage, es ist bestim- „Herzlichen Glückwunsch, Du bist dabei.“ Juhu, Zusage!
Die Vorbereitungen gehen los
Neben dem Schreiben von Bewerbungen für ein Teilstipendium, damit nicht die gesamten Kosten des doch ganz schön teuren Auslandsjahres auf meiner Eltern Nacken gehen, geht es ans Online-Formulare ausfüllen, um eine Gastfamilie zu finden.
Nebenbei musste ich noch die 10. Klasse mit Abschlussprüfungen meistern, aber auch das ist irgendwie gelungen. Mit gutem Zeugnis in der Hand und Abreisedatum im Kopf fange ich aufgeregt meine Sommerferien an, bis mich meine Mutter an etwas erinnert: Was ist eigentlich mit einem Gastgeschenk?
Ich stöbere im Internet: Deutsche Süßigkeiten kommen bestimmt immer gut an, überlege ich. Und wie wäre es mit einem Fotoalbum, um nicht eine komplett Fremde bei sich aufnehmen zu müssen? Der Plan steht, am Tag vor der Abreise ist dann auch alles fertig.
Ab nach Irland
Um 3 Uhr morgens geht‘s zum Flughafen Hannover; und jetzt der schwerste Moment: das Umdrehen und Weggehen von meinen Eltern, noch mal kurz zurückgucken und dann im Check-in verschwinden.
In Frankfurt gelandet warte ich mit vielen anderen Austauschschülern gemeinsam erst mal eine gefühlte Ewigkeit am Gate, denn natürlich hat das nächste Flugzeug Verspätung. Nach fast vier Stunden Rumsitzen und zwei Stunden Flug sind wir dann doch endlich in der irischen Hauptstadt Dublin. Es ist 11.30 Uhr, zu Hause bei meinen Eltern bereits halb eins.
Nach zwei Tagen im Arrival Camp (Crashkurs irische Kultur und dann: Geht in den Wald, macht Feuer, natürlich im Regen) fährt uns ein Bus in die westirische Hafenstadt Galway, die schon Ed Sheeran besang und wo mich meine Gastfamilie dann abholen soll. Warten, hallo, weiter geht‘s – mit Gesprächen auf dem Rücksitz auf irischen Achterbahn-Straßen voller Schlaglöcher. Mir wird fast übel.
Willkommen in Lettergesh East, ein kleiner Ort an der Atlantikküste: eine Straße, eine kleine Ferienhaussiedlung, Felsen, Sandstrand, wenig Menschen, viele Schafe.
Endlich wieder Schule
Der erste Schultag, eine halbe Stunde mit dem Bus entfernt im 1300-Einwohner-Städtchen Clifden. Mit Uniform, aber ohne Plan sitze ich im Unterricht des Transition Years: Construction, Business, Careers – dazu die Standardfächer Englisch, Mathe, Religion und Sport. Schon für die zweite Woche ist der erste Tagesausflug geplant.
Auch im restlichen Schuljahr werden die schulischen Aktivitäten fernab des Unterrichts, die Ausflüge mit Freunden, die Trips mit meiner zwei Jahre jüngeren Gastschwester Eileen und ihrer Familie nicht weniger. Ob Workshops zur Selbstverteidigung, Spurensicherung, Comedy, Podcasts; ob nach Galway, Cork, Belfast, das nordirische Basaltsäulen-Naturwunder Giant‘s Causeway – ich bin dabei.
Kein Irland-Aufenthalt ohne Pub-Besuch: Deshalb gehe ich nach der Halloween-Party der kleinen Insel Inis Bó Finne mit meinen Freunden genau dahin – Alkohol ist aber (leider) erst ab 18. Dafür gibt‘s Wasser mit Johannisbeersirup, Chips und laute Musik. Alle grölen mit.
Es wird Weihnachten, es regnet. Doch Kekse und Dekorationen gehören dazu, also geht es mit dem Spitzbubenrezept meiner Oma und mehreren Kartons voll weihnachtlichem Kram an die Arbeit: Weihnachtsbaum aufstellen und schmücken, Lichterketten aufhängen, Geschenke vom Weihnachtsmarkt einpacken und natürlich DAS FENSTER, das spezielle Fenster zur Weihnachtszeit, mit Acrylfarbe bemalen. Meine Gastfamilie entscheidet sich für die Motive Lebkuchenhaus, Zuckerstangen, Weihnachtsbaum und Schnee. Zum Regen draußen kommt jetzt Sturm.
Mein erstes Weihnachten ohne Eltern – irgendwie komisch, von Heimweh ist trotzdem nichts zu spüren. Sollte ich mehr Heimweh haben? Alle anderen Austauschschüler rufen fast täglich bei ihrer Familie an; ich mach das so einmal im Monat. Mein stieftöchterlicher Kontakt zu meinen Eltern wird für meine Freunde zum Inside Joke.
Ein halbes Jahr schon um
Das zweite Halbjahr beginnt mit gut überstandenen Feiertagen und einem halb erwanderten Berg, für mehr haben Kondition und Motivation einfach gefehlt. Die Wahlfächer ändern sich wie jedes Quartal, aber wer macht schon gerne Buchhaltung (gähn, schnarch) statt Psychologie?
Nur noch ein paar Wochen bis zu den Sommerferien. Ein fader Beigeschmack, denn der Anfang der Ferien markiert für mich die Rückkehr nach Deutschland. Klar ist es schön, meine Familie und Freunde dort wiederzusehen, aber es bedeutet eben auch Abschied zu nehmen von den wundervollen Menschen, die ich hier getroffen habe.
Der letzte Schultag rückt still immer näher, er schleicht sich im Schatten um die Ecke, bis er direkt vor mir steht: Einige erhalten Urkunden für besondere Leistungen, die Austauschschülerinnen und Austauschschüler bekommen Geschenke.
Der Abschied beginnt
Um uns noch nicht endgültig verabschieden zu müssen, entscheiden meine Freunde und ich alle zusammen noch in die Innenstadt zu gehen. Ein letztes Mal in unser Stammcafé, ich bestelle – wie immer – Ziegenkäse-Sandwich und Mango-Smoothie. Noch scheint es mir unbegreiflich, dass das wohl das letzte Mal ist, dass ich alle sehen werde – bis mein Gastvater mich abholen will. Unerwartet scheint die Sonne, es sind 18 Grad. Meine irischen Mitschüler berichten von einer Hitzewelle, die zwei Jahre zurückliegt. Da waren es 25 Grad.
Wir tauschen lange herzliche Umarmungen aus, die Gemüter sehnen sich nach mehr Zeit. Mit einem letzten Blick zurück verschwinde ich ins Auto, eine Wange immer noch tränennass. Die Rückfahrt: still, angespannt, keiner sagt ein Wort. Mein Gastvater ist genervt, weil ich so lange gebraucht habe – in Gedanken hänge ich noch bei meinen Freunden, die ich fürchte nie wieder zu sehen.
Auch wenn heute der letzte Schultag war, steht nächste Woche noch ein Praktikum an: Beim Juwelier an der Hauptstraße kratze ich Unkraut aus den Gehwegfugen vorm Geschäft und streiche eine Wand an – die letzten Mittagspausen vor meinem Abflug verbringe ich dann doch noch mit meinen Freunden, viele letzte Male in unserem Stammcafé.
Einige Regentage und viele emotionale Abschiede später fängt das Kofferpacken an: zwei Koffer, ein Rucksack und viel zu viel Zeug – da muss wohl ein Paket mit dem restlichen Kram verschickt werden, hilft ja alles nichts.
Zurück nach Deutschland
Mit einem 19,9-Kilo-Koffer und einem anderen, der nur durchs Draufsitzen zugeht, fahren wir viel zu früh los. Der Abschied von meiner Gastfamilie fällt deutlich kürzer aus, holprig, ich habe nicht geweint – was das wohl über mich aussagt? Na ja, genug Zeit darüber nachzudenken habe ich ja, mein Flug geht nämlich erst in fast vier Stunden.
Zurück in Hannover empfangen mich meine Eltern mit einem Bernd-das-Brot-Willkommen-zurück-Schild – und schließen mich in ihre Arme.
6 Tipps fürs Auslandsjahr
Ein Jahr im Ausland
Wie man sich bewirbt, was es kostet und wo es finanzielle Hilfe gibt
Ein Auslandsjahr ist so gut wie überall möglich – Europa, Amerika, Asien, Afrika oder Australien. Neben Schuljahren im Ausland gibt’s noch viele Möglichkeiten mehr: Au-pair-Aufenthalte, Work & Travel, Sprachreisen, Auslandspraktika und Freiwilligenarbeit.
Gerade bei einem Auslandsschuljahr lebt man im Normalfall bei einer Gastfamilie. Darum kümmert sich eine Austauschorganisation, genauso wie um den Schulbesuch im Wunschland, Workshops zur Vorbereitung und Nachbereitung sowie einige Ausflüge vor Ort.
Wie viel ein Auslandsschuljahr kostet, kommt natürlich auf das Land an – die Preisspanne reicht von 6000 bis 30.000 Euro für ein ganzes Schuljahr. Dazu können Extrakosten für Flüge, Versicherungen, Schulgeld und Visum kommen. Und das empfohlene Taschengeld ist auch höher als Zuhause.
Vollstipendien, Teilstipendien und auch Leistungen aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) können unterstützen – hierfür muss man sich gesondert bewerben.
Noch mehr Infos:
austauschjahr.de
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