Erlebnis statt Ergebnis

Nervenkitzel, Sammelkarten und Pivo: KURT-Redakteur Malte Schönfeld jubelt live bei der Fußball-Europameisterschaft in Berlin für Kroatien

Redaktion Veröffentlicht am 20.06.2024
Nervenkitzel, Sammelkarten und Pivo: KURT-Redakteur Malte Schönfeld jubelt live bei der Fußball-Europameisterschaft in Berlin für Kroatien

KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld und seine Freunde hatten großes Losglück und durften sich über Tickets für das EM-Spiel zwischen Spanien und Kroatien freuen. Sie drückten – wie unschwer zu erkennen ist – der kroatischen Mannschaft die Daumen.

Foto: Malte Schönfeld

Einige der lebhaftesten Erinnerungen sind für einen Fußballfan zweifellos an die Großveranstaltungen geknüpft. Selbst Menschen, die den Sport und seine Kultur kaum verfolgen, haben wohl schon etwas vom Wunder von Bern gehört oder irgendwo die Schmach von Córdoba aufgeschnappt. Wann Deutschland Weltmeister geworden ist, können auch die Partypatrioten dank der Sportfreunde Stiller im Schlaf aufzählen. Mailand oder Madrid, Hauptsache Italien – kennt jeder. Der Kopfstoß des französischen Ausnahmekönners Zinédine Zidane ist ein Meme geworden, keinem folgen auf Instagram mehr Menschen als CR7, Cristiano Ronaldo.

Der Fußball ist ein globales Durchdringungserlebnis. Und als ein solches schossen die Glückshormone wie kleine dribbelnde Ronaldinhos durch meinen Körper, als mir ein guter Freund die Möglichkeit offenbarte, dass ich eine Karte für das EM-Spiel zwischen Spanien und Kroatien übernehmen könnte. Wochenlang freute ich mich auf diese Reise nach Berlin. Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin, beziehungsweise nur ich, weil meine Freunde dort eh schon wohnen.

Samstagmorgen, als ich am Spieltag auf dem Sofa meiner Freunde in Moabit aufwache, ist das erste, was ich sehe, das rot-weiß-karierte Trikot von Dado Pršo aus dem Jahr 2004, was ich tags zuvor bei einem spektakulär-freundlichen Kroaten in Wilmersdorf per Kleinanzeigen-Deal eingetütet habe. Er selbst habe keine Karten bekommen, meinte er bei der Übergabe im Treppenhaus eines gelben Mehrfamilienhauses etwas geknickt, doch immerhin habe er seine Helden beim freien Training in Neuruppin erlebt, und mir wünsche er jetzt ganz viel Spaß mit dem Trikot. Wir schworen uns noch kurz auf einen Underdogsieg der seniorenhaften Kroaten um Weltfußballer Luka Modrić (38) gegen Spanien ein, das seinerseits mit der nächsten Generation an Ballmagiern und Zauberfüßen wie dem unglaublichen Lamine Yamal (16) antreten würde.

Nach dem Frühstück in der Moabiter Wohnung regnet es drei Stunden, eine zeitlupende Ewigkeit auf sonnenstrahllosen 60 Quadratmetern, die ich damit überbrücke, mir die Glanzmomente vergangener Europameisterschaften ein tausendundeinstes Mal anzuschauen. Das Golden Goal des Franzosen David Trezeguet 2000 im EM-Finale gegen Italien, Rehakles’ Wundertitel 2004, der Freistoßhammer von Michael Ballack 2008, Mario Balotellis ikonischer Statue-Jubel 2012, den ich damals auf dem Gifhorner Marktplatz niedergeschlagen ertragen musste. Noch kann ich es nicht glauben, dass ich in wenigen Stunden im Olympiastadion sitzen werde, dort, wo in einem Monat auch das Finale stattfinden soll.

Als der tiefgraue Himmel sich endlich fertig ausgeschüttet hat, ist es Zeit für einen Spaziergang – endlich raus, endlich EM-Stadtluft schnuppern. Kroaten fahren mit flatternden Fähnchen am Auto die Altonaer Straße entlang, und als wir im Biergarten des Schleusenkrugs sitzen, um unsere Aufregung runterzukühlen, tauchen immer mehr rot-weiße Fangruppen auf; von Spanien-Fans bisher nichts zu sehen. Am Zaun des Zoologischen Gartens kann man von außen ein paar Tiere beobachten, Wildhunde, Lamas. Plötzlich ein lautes Brüllen, Tosen, Röhren. „Das muss das Löwengehege sein“, schätze ich. „Ehrlich gesagt glaube ich, dass das die kroatischen Fans sind“, sagt meine Freundin kleinlaut – und sie hat recht. Schnell ein Abstecher zur Siegessäule, die heute besonders zu leuchten scheint.

Wieder zu Hause die letzten Vorkehrungen. Sommermärchen-Vibes aufbauen: „Zeit, dass sich was dreht“ von Herbert Grönemeyer. Trikots überziehen, Zähne putzen und das erste Pivo öffnen. Mhmmm. Aus der Haustür. Entscheidend, dass wir zwischendurch noch beim Teigmeister Pizzen gefuttert haben, sonst würde der unaufhaltbare Rausch aus Euphoriesprudel, Flaschenbier und Lautstärke schnell zum Problem werden. Am S-Bahnhof ein weiteres Pivo. Der Kioskbesitzer wünscht mir Glück, da der kroatische Keeper Dominik Livaković bei seinem Herzensverein Fenerbahçe Istanbul spielt, wovon ich keine Ahnung habe. Aufgeflogen als Touristen-Fan. Egal. Schnell in die Bahn, in der wir uns fast auf den Füßen stehen.

Am Stadion angekommen. Quetschen auf der Treppe am Gleis. Jetzt sehen wir auch ein paar Spanier, alle in den roten Trikots mit den königlich goldenen Streifen, Farbe im Gesicht, jubelnd, singend, feiernd. Doch die Kroaten sind in der Mehrzahl. Auf zehn Kroaten kommen vielleicht zwei Spanier. Und die meisten von ihnen haben schon gut ihre Pivos intus. Bengalos werden am Stadionbiergarten gezündet. „Papa, was ist das?“, fragt ein Sohn, und der Alte kommt in Erklärungsnot. Ein Kroate, der aussieht wie ein Dynamo-Zagreb-Hooligan, will mir für 50 Euro meine Sonnenbrille abkaufen – ich lehne mutig ab.

Bestes Wetter, beste Laune, im Hintergrund das Olympische Tor und die historischen Ringe.

Foto: Privat

Wir kommen auf den Haupteingang zu, Zwergenschritt für Zwergenschritt, vor uns das riesige olympische Tor mit den fünf Ringen. Dahinter das Oly, wie die Fans von Hertha BSC es nennen. Braungebrannte Kroaten neben mir, Frauen mit falschen Haaren, dazwischen Pfandsammler mit Einkaufswagen. Überall Polizei. Für einen kurzen Moment gibt’s Aufregung, weil die Tickets noch nicht in der App auftauchen, doch das regelt sich.

Vor dem Stadion endet dann die Fußballromantik. Lieblose Uefa-Dönerbuden, TV-Showrooms, wo man EA Sports FC spielen kann, Fanshops, Sponsoren überall. Was mein Herz erwärmt: Topps-Sammelkarten, ähnlich wie die bekannten Panini-Stickern, die man per Glücksrad gewinnen kann. Wer braucht schon Fußballromantik, wenn er Sammelkarten haben kann? Ich komme zu spät, leider, darf aber trotzdem zwei Booster haben. Der Spieler in mir ist stimuliert. Ich ziehe einen glitzernden Kevin De Bruyne und eine Legendenkarte mit Unterschrift von Robin van Persie. Was für ein Tag. Darauf erstmal ein Pivo.

Jetzt aber wirklich ins Stadion und auf unsere Plätze. 70.000 Menschen in einem Kessel. Es sind nur noch wenige Minuten, bis zum Anpfiff. Um uns echte Kroaten mit echt viel Begeisterung bei der Hymne. Der Liedtext läuft auf einem Bildschirm, ich versuche laienhaft mitzusingen. Ganz andere Aussprache haben die Jungs da drüben. Sehr schön auch immer die spanische Hymne, nicht so schnarchig, hauptstadtbonnig wie die deutsche. In diesem Moment kommt mein dritter Freund. Endlich sind wir vollzählig. Und nun wird runtergezählt: 10 – 9 – 8 – „excuse me“, einmal noch Platz machen, weil jemand durch will – 4 – 3 – 2 – 1 – düüüüüüüüt. Anpfiff.

Als wir gegen Mitternacht die Eckkneipe „Zum Stammtisch“ verlassen, rollt nochmal das Spiel in seinen Highlights an mir vorbei. Kroatien, unser Kroatien, schlecht wie selten zuvor. Im eigenen Ballbesitz grausam langsam, im Defensivverbund mehr Lücken als mein Lebenslauf. Der 16-jährige Spanier Yamal ist der Star des Spiels. Modrić, Kovačić, Brozović, alle hecheln hinterher. Schon zur Halbzeit ist die Partie gelaufen, 0:3. Es ist auch der Endstand. Da helfen auch die Pivos nicht.

Das Erlebnis aber wird für immer bleiben.


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