Comic-Kunst
Mit Stift, Charme und Tablet - Comic-Künstlerin und Stipendiatin Greta von Richthofen zeichnet Meinersen
Marieke Eichner Veröffentlicht am 12.09.2020Auf den Überresten der alten Burg Meinersen steht ein zartrosa Fachwerkhaus – das Künstlerhaus Meinersen. Der gleichnamige Verein vergibt Stipendien an junge Künstler, die dann ein Jahr lang im Künstlerhaus leben und arbeiten. Zurzeit beherbergt das geschichtsträchtige Gebäude die Comic-Künstlerin Greta von Richthofen (31). Kurz nach ihrer Ankunft in Meinersen begann der Lockdown. Wie das ihre Planung durcheinander warf, wie sie ihre Comics entwickelt und welche Themen ihr am Herz liegen, hat sie KURT vor Ort im Künstlerhaus gezeigt – und sogar ein paar Ausschnitte ihres geplanten Meinersen-Comics zum Abdruck bereitgestellt. Danke!
„Am Anfang hatte ich ein anderes Projekt geplant – dann kam Corona“, sagt Greta von Richthofen, hält eine Tasse dampfenden Kaffee in der Hand und schaut auf ihre Notizwand. „Also habe ich angefangen, meine Umgebung und meinen Alltag zu dokumentieren.“
Sie steht in einem der Ateliers im Künstlerhaus, in dem sie im Rahmen ihres Stipendiums für ein Jahr lang lebt und wirkt. Eine Wand des großen, hellen Raums ist über und über mit bunten Notizzetteln, Vorzeichnungen, To-Do-Listen und erzähltheoretischen Anmerkungen übersät. Alles hängt in Reih und Glied, streng sortiert. Es ist das Konzept für ihren Comic „Das Gute am Ende des Tages“, der im März 2021 erscheinen soll.
Vor der Tür arbeiten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Sommerakademie – einer Reihe von Kunstseminaren, organisiert vom Team des Künstlerhauses –, während Greta ihre Notizen abschreitet und erzählt: „Am Anfang wusste ich gar nicht, dass das mein Hauptprojekt werden soll.“ Sie muss lachen. „Ich hatte da etwas anderes geplant. Dafür hätte ich aber viel reisen müssen, viel in Museen arbeiten. Das ging dann natürlich nicht.“ Zum Glück fand Greta Inspiration für ein anderes Projekt: „Einer meiner Profs hat dazu aufgerufen, während der Pandemie Tagebuch zu führen.“
Gesagt, getan: Die Wand mit Gretas Notizen ist die Konstruktion eines Comics über ihre Arbeit und ihren Alltag, über Entschleunigung, Distanz und Nähe, aber auch über das
Zuhause und über Meinersen und die Region. „Comic-Zeichnen hat – für mich – viel Konstruiertes, viel mit Planung zu tun“, erläutert die gebürtige Wienerin, die in Hamburg und Kassel studiert hat. „Aber auch das autobiografische Erzählen hat eine Dramaturgie. Ich überlege mir im Vorfeld genau, wie ich was mache – wie ich die historische Situation aus meiner Perspektive festhalten kann.“ Das Konzept steht also schon – festgehalten in Story-boards, Spannungsbögen und Schlagwortabläufen an Gretas Wand. „Bis zum Ende verändert sich vielleicht noch was, aber ich habe eigentlich immer einen Plan.“
Gretas Zeichnungen thematisieren auch ihren Arbeitsprozess selbst, die Themensuche. Sie zeigt, wie sie als bekennendes Stadtkind ihre Ankunft im idyllisch gelegenen Künstlerhaus erlebt. Und welche Gedanken macht man sich eigentlich an einer Bushaltestelle, an der kein Bus mehr fährt? „Ich habe sortiert und beschlossen, nur die Monate Februar, März und April als Zeitspanne zu nehmen.“ Greta liest aus einem Entwurf für ihren Comic: „Die Ruhe tut mir gut, auch wenn die Realität dahinter etwas tief Trauriges hat.“
„Mir geht es nicht darum, politisch zu werden. Ich versuche, die banalen, alltäglichen, kleinen Situationen darzustellen. Zu zeigen: Es gibt nicht nur Extreme. Jede Person hat eine Geschichte zu erzählen.“
Dass Greta darin ihre künstlerische Nische gefunden hat, zeigt sich, als sie mit leuchtenden Augen und euphorischer Stimme erläutert: „Das ist eine ganz eigene Comic-Strömung. Wenn man in die Geschichte guckt – nicht nur in die des Comics –, dann ist es meist der weiße, männliche Held, der am Ende als Sieger herausgeht. Aber es gibt viele Comic-Zeichnerinnen, die sich der Alltäglichkeit zuwenden. Es sind Geschichten, die sich lohnen, erzählt zu werden.“
Da kann auch der künstlerische Leiter des Künstlerhauses, Jochen Weise (74), nur zustimmen. Er legt die künstlerische Gattung fest, für die das alljährliche Stipendium ausgeschrieben wird – und war selbst im Jahr 1990 Stipendiat des Künstlerhauses. „Ich verfolge die Entwicklung der Kunst. Ich habe festgestellt, dass der Comic zu einer eigenen künstlerischen Gattung geworden ist. Dieses Genre zeigt großes Interesse am Zeitgeschehen“, so Jochen Weise. Bei der Auswahl der ausgeschriebenen Gattung hat er auch die Besucher und Mitglieder des Künstlerhauses im Blick, auch für sie soll es interessant sein.
Denn die Künstler, die ein Stipendium erhalten, wirken auch an den Ausstellungen, den Vorträgen und Kunstseminaren mit, die das Künstlerhaus in Meinersen anbietet. Darunter sind Werkschauen ebenso zu finden wie Poetry Slams oder die bereits erwähnten Kurse der Sommerakademie. Auch Greta von Richthofen wird am Ende ihres Stipendienjahres in Meinersen eine Abschlussausstellung organisieren dürfen – und ihren in Meinersen entstandenen Comic präsentieren.
Selbst Künstler, weiß Jochen Weise um die Schwierigkeiten dieses Berufsfeldes: „In diesem Beruf setzen sich nur die wirklich Guten auf dem Markt durch.“ Daher seien die Stipendien des Künstlerhauses in Meinersen vor allem für junge Künstler von hoher Wichtigkeit, oft ergeben sich Folgestipendien. Finanziert und möglich gemacht werden die Arbeit und die Stipendien des Vereins Künstlerhaus Meinersen durch die Bösenberg-Stiftung aus Meinersen, die Sparkasse Celle-Gifhorn-Wolfsburg, die LSW, die Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, die Landkreis-Gifhorn-Stiftung, die Gemeinde Meinersen sowie den Lüneburgischen Landschaftsverband.
Jochen Weise ist dankbar für die Unterstützung aus der Region – als sich in den 80er Jahren zum ersten Mal Künstler im Künstlerhaus niederließen, sei die Reaktion der „konservativ geprägten Dorfbewohner“ nämlich laut Jochen Weise noch mehr oder weniger deutlich ablehnend gewesen. Das sehe heute zum Glück ganz anders aus, sagt der künstlerische Leiter: Die Kurse der Sommerakademie seien trotz Abstands- und Hygieneregeln gut besucht, die Gäste aufgeschlossen, freundlich und motiviert – sie fühlen sich offensichtlich wohl im altehrwürdigen Künstlerhaus und den dazugehörigen Parkanlagen.
Genau wie Greta von Richthofen – ihr gerade entstehender Comic, der nicht zufällig den Titel „Das Gute am Ende des Tages“ tragen soll, ist der Ausdruck ihrer Lebenseinstellung und das Resümee ihrer Ankunftszeit in Meinersen: „Es war eine Zeit, in der dachte ich mir oft: Es ist wichtig, sich mit dem aktuellen Weltgeschehen zu beschäftigen. Aber eben auch: Der Spaziergang heute war schön – die Sonne hat geschienen.“