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Wenn Du coverst, bist Du nur Zweitbester: Gifhorns Rock-Band Di6e setzt auch zum 30. Geburtstag auf eigenen Rock

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 20.11.2022
Wenn Du coverst, bist Du nur Zweitbester: Gifhorns Rock-Band Di6e setzt auch zum 30. Geburtstag auf eigenen Rock

Aus Gifhorns Rock-Szene sind Di6e nicht wegzudenken – ob auf dem Altstadtfest oder Ende November zum runden Geburtstag im Kultbahnhof. Es soll eine Reise durch die Bandgeschichte werden.

Foto: Tanja Frieling

Was ist das eigentlich: eine 6 oder ein C mit Bonus? Wer den Bandnamen Di6e liest, steht vor einem Rätsel. Das die fünf Musiker dieser Gifhorner Rockband gern lösen, während sie noch viele weitere Geschichten erzählen, denn davon sammelten sie genug – in den 30 Jahren, die es diese Gruppe jetzt gibt. Den runden Geburtstag feiern Sänger Michael Alvin, Bassist Stefan Thode, die Gitarristen Andreas Balnuweit und Wolfram Vahl sowie Schlagzeuger Alain Soubercaze am 26. November im Kultbahnhof. KURT erzählten sie von Konzerten in Polen, von Musik für die New Yorker Lions, von der Band als Familie – und dem tragischen Tod ihres Bandvaters Sven Kling.

„Das war ein neuralgischer Punkt, als unser Bandgründer starb“, spricht Stefan allen aus der Seele. 2015 war das, als Schlagzeuger Sven Kling die Welt verließ. Die verbliebenen Musiker beraumten eine Krisensitzung ein, berichtet Andreas: „Wir haben überlegt: Machen wir weiter?“ Stefan: „Es war sein Projekt gewesen – er würde als letztes wollen, dass wir alles hinschmeißen, also haben wir weitergemacht.“ Mit Alain als neuem Schlagzeuger. „Wir hatten ein Casting, Alain ist es geworden“, so Stefan, der Alains Vorlieben im Jazz sieht. Andreas betont: „Alain passt menschlich und musikalisch hervorragend rein!“

Die Gründung dieser Band geht auf ebenjenen Sven Kling zurück. Es war Anfang der 90er im Keller der Grundschule in Gamsen, in dem sich viele Bands zum Proben trafen. Auch über die Trennwände hinweg. „Ich hab den Schlagzeuger Sven kennengelernt, wir haben gejammt“, erzählt Andreas. „Irgendwann rief er an, er würde eine Band gründen wollen, einen Bassisten hatte er schon.“ Das war Stefan, der den Posten kurz darauf wieder räumte, um ihn 2012 erneut einzunehmen, bis heute. „Wir haben uns getroffen und es hat geklappt“, fährt Andreas fort. Da Sven noch einen zweiten Gitarristen dabeihaben wollte, kam Wolfram „Vahli“ Vahl dazu. „Und dann brauchten wir noch einen Sänger“, so Andreas. Nach einigen Proben traf Sven auf Michael: „Und der hat sich bei uns als Sänger etabliert“, so Andreas.

So stand die Urbesetzung der Band, die sich zunächst The Dice nannte. Und die mit einer Prämisse startete, der sie bis heute treu geblieben ist: nie covern, nur eigene Songs. Stefan weiß: „Wenn Du coverst, bist Du nur Zweitbester – der Beste ist der, der das Original gemacht hat.“ Musikalisch bedienten sich The Dice bei verschiedenen Genres: Reggae, Hardrock, Balladen und Funk fallen als Schlagwörter. Man hört es den Songs an, die mit überraschenden Brüchen und abwechslungsreich rocken. Stefan bemerkt: „Wir verschmelzen die Genres zu etwas Eigenem.“

Bereits 1994 wählten die Musiker aus ihrem Programm die vier besten Stücke aus, um sie in den Whiteline-Studios in Braunschweig für die EP „Child Of This Nature“ aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt spielte Sven Zimmermann den Bass, den es später nach Süddeutschland zog, und als Keyboarder und somit sechste Würfelseite war Sascha Riechers mit im Studio. An nur einem Wochenende fanden Aufnahmen, Mix und Mastering statt. Einige wenige Exemplare der CD gibt es sogar noch.

Zu Beginn der 2000er, „gerade so am Anfang der digitalen Aufzeichnung“, so Andreas, nahm die Band dann ihr erstes Album „Be Me“ auf. Die Bandbesetzung wechselte lediglich an den Tasten: Michaels Bruder Edwin Maringka bediente das Keyboard. „Der hat viele Songs geschrieben und arrangiert, die wir heute noch spielen“, schwärmt Andreas. Stefan bestätigt: „Edwin ist ein Multitalent!“ Auch Edwin zog es jedoch alsbald berufsbedingt in die Ferne und er verließ The Dice. Das Album entstand in Westerbeck im Studio von Michael Wehr.

Anders das zweite Album „Sunny Side Of Life“, das The Dice 2009 in ihrem Proberaum in Gamsen selbst aufnahmen. So praktiziert es die Band übrigens bis heute: Nachdem der Keller in Gamsen nicht mehr zur Verfügung stand, wechselten die Musiker über einen kurzen Zwischenstopp in der Fritz-Reuter-Realschule an ihren heutigen Standort im Heidebrink, auf dem Gelände der früheren Firma von Andreas, wo die Band ebenfalls ein Studio einrichtete.

Seit diesen Tagen sind einige Jahre vergangen. The Dice, später dann zur Namensänderung Di6e per Unterlassungsklage gebeten, feiern in diesem Jahr ihren 30. Geburtstag.

Foto: Di6e

„Sunny Side Of Life“ war also gerade im Kasten, das Cover, Aufkleber und T-Shirts gedruckt – da wedelte plötzlich eine süddeutsche Band namens The Dice mit einem Abmahnschreiben, erzählt Andreas: „Die hatten die Namensrechte und drohten mit einer Unterlassungsklage.“ Um einen fünfstelligen Betrag ging es damals, eine Katastrophe für die Gifhorner. „Wie schaffen wir es und retten das Ganze?“, rekapituliert Michael und präsentiert als Antwort das in Weiß gehaltene Logo von Dice, über dessen C er einen roten Halbbogen legt: Aus dem C wurde so mit einem einfachen Strich eine 6. Das war es! Michael lacht: „Wir haben alles händisch, analog und oldschool, wie wir sind, korrigiert.“ So wurde also aus The Dice flugs Di6e. Mit entsprechenden Irritationen beim Publikum: Einige lasen „Di-sechs-e“, andere auf Englisch „die sexy“. Eines ist sicher: „Der Name ist Google-kompatibel“, lacht Michael. Und Stefan ergänzt: „Dadurch ist ein Symbol entstanden, worüber sich die Leute unterhalten.“

Dennoch steht auch für die Gefolgschaft natürlich die Musik im Vordergrund. Zu dem Thema betont die Band, sich nicht von Strömungen beeinflussen zu lassen: „Deutschrock kam und ging wieder, irgendwann kam Electro dazu“, zuckt Michael mit den Schultern. Mit gewaltigem Understatement mutmaßt er, dass die Geradlinigkeit von Di6e „unseren musikalischen Limitierungen geschuldet“ sei, aber eigentlich ergibt sich daraus ein Qualitätsmerkmal: „Wir sind authentisch geblieben.“ Er grinst: „Die Musik, die wir jetzt machen, war schon mal aus der Mode – die übernächste Generation sagt jetzt: Ihr habt Eure Musik auf oldschool gemacht!“ Er schüttelt den Kopf: „Nee!“ Di6e haben sich schlichtweg nicht verändert. Stefan ergänzt: „Wir kriegen schon mit, was modern ist, wir möchten es aber nicht machen, sondern nur das, was uns Spaß macht.“

Ebenso aktuell sind viele der alten Texte, für die Michael verantwortlich zeichnet: „Ich habe ausgedrückt, was uns beschäftigt, klassische Themen wie Liebe, Hass, Betrug, wie wundervoll der Planet ist – und wie zerstörerisch, mörderisch, unmoralisch der Mensch.“ Resigniert stellt er fest: „Viele Themen sind niemals aus der Aktualität gefallen, was wir vor 30 Jahren gemacht haben, hat heute noch Gültigkeit – Rassismus, Diskriminierung, wie wir uns lieben und zerstören können.“ Ebenso wie bei der Musik ist die Band bei ihren Texten nie auf Trends gesprungen, bemerkt aber bei aktuellen Inhalten oft: „Das Thema hatten wir schon.“ Michael seufzt: „Wir sind Relikte, Dinosaurier von vor langer Zeit.“

Als „Fossil“ bezeichnet sich die Band auch beim Thema Digitalisierung ihrer Musik: Die gibt es nämlich bislang ausschließlich auf Tonträgern, nicht als Download oder Stream. Immerhin einige Videos sind bei YouTube zu sehen. Andreas lenkt ein: „Spotify und Bandcamp: wollen ja, man muss es nur machen.“ Wichtiger sei: „Wir spielen und den Leuten gefällt‘s!“

Bewegende Live-Konzerte gab es für Di6e in 30 Jahren zahlreiche. Allen voran die vielen Gigs auf dem Gifhorner Altstadtfest, der Auftritt beim Magnifest in Braunschweig – und der im Eintracht-Stadion, im Rahmen eines Spieles der Braunschweiger Football-Mannschaft New Yorker Lions.

2018 war das, als Di6e für einen Gig bei einem Heimspiel gebucht wurde. Vor dem Spiel performten sie einen Song auf der Bühne vor dem Stadion, in der Halbzeitpause wechselten sie nach drinnen. „Wir haben auf dem Rasen gespielt, vor 4000 Leuten“, strahlt Andreas und setzt schwärmerisch nach: „Wir haben einmal im Stadion gespielt.“ Und nach dem Spiel ein ganzen Konzert draußen. Zu diesem Anlass strickten Di6e ihren Song „In Your Eyes“ um in „Like A Lion“, extra für die Mannschaft. Noch heute wird der bei den Heimspielen gespielt und auch die Single fand schnell ihre Abnehmer.

Applaus für diese irre Bandgeschichte: Gifhorns Di6e bringen seit drei Jahrzehnten Power-Pop‘n‘Rock auf die Bühne.

Foto: Tanja Frieling/TF-oto

Die Bandbreite der Konzerte reichte „von kleinen Kneipengigs bis zu einem Festival im Meiers“, spannt Andreas den Bogen weiter. Zu letzterer Aktion, „New City Rock“, gab es 2009 sogar eine Doppel-CD, auf der die Gifhorner mit zwei Songs vertreten sind. „Wir waren die einzigen, die eine Zugabe spielen durften“, ergänzt Andreas. Vahli erinnert sich: „Unser Bassist stand im Stau.“ Andreas fährt fort: „Wir hatten schon einen anderen Basser angehauen backstage!“ Jener hätte sich aus dem Stand die für ihn fremden Di6e-Songs aneignen müssen, Vahli grinst: „Der hatte schon Blut auf der Stirn.“ Der sich auflösende Stau löste aber auch diese Spannung und der eigene Bassist erreichte die Halle rechtzeitig.

Groß war ein Gig in Hannover vor 3000 Leuten, eine weitere „Riesenbühne“ bespielten Di6e in Polen. Vahli meint: „Da waren wir noch grün hinter den Ohren.“ Andreas ehrlich: „Das gehört in die Kategorie ‚Was ist in der Nacht von Freitag auf Sonntag passiert‘.“

Bis kurz vor der Pandemie stand der Band zudem ein eigener Bus zur Verfügung, „mit dem sind wir bis in die Schweiz gefahren“, erzählt Vahli. „Das war ein Multivan mit Flugzeugsitzen.“ Kein Scherz, beteuert Stefan: „Die hatten wir aus Buxtehude, von Ryanair – aber nicht erste Klasse.“ Dennoch Luxus, so Vahli: „Wir hatten P.A., Backline, Schlagzeug komplett im Bus, die ganze Mannschaft!“

Dabei stellt Stefan fest, dass man Di6e in der eigenen Region „relativ selten“ zu sehen bekommt. Das soll anders werden, als nächstes bei der Geburtstagsfeier im Kultbahnhof. Vor dem Auftritt zeigt die Band über einen Beamer eine Foto-Präsentation. „Wir stellen uns mit allen unseren Wegen von 1992 bis 2022 vor“, gibt Stefan aus. Die Songs im Geburtstags-Set decken dieselbe Zeit ab. Andreas wirft ein: „Das ist pretty much der Bogen, den wir jedes Mal schlagen.“ Nur, dass diesmal auch Songs im Set sind, die die Band länger nicht gespielt hat.

Außerdem arbeitet die Band an neuen Stücken. Aufgenommen werden sollen die im eigenen Studio. Es wären die ersten seit 2009. „Aber die Zeit ist unser bösester Feind“, lenkt Stefan ein. Zudem verzögerte die Pandemie eine Menge Arbeit.

Eine Sache ist der Band noch wichtig: Überraschend, dass nicht bei jedem Treffen im Proberaum auch geprobt wird. Andreas sagt dankbar: „Wir sind beste Freunde, sind Familie.“ So kommt es regelmäßig dazu, dass sich die Musiker lediglich unterhalten. Stefan unterstreicht: „Hier kommt man gerne her und weiß, wenn man ein Problem hat, das wird gelöst.“ Das „Zwischenmenschliche“ sei allen enorm wichtig: „Sonst würde es uns nicht so lange geben.“ Er lacht: „Manchmal vergessen wir, Musik zu machen.“ Garantiert passiert Di6e dies nicht am Samstag, 26. November, wenn das Quintett ab 20 Uhr im Kultbahnhof den 30. Geburtstag feiert – überdies der erste Auftritt der Band dort.

Geburtstagskonzert:
30 Jahre Di6e
Samstag, 26. November
20 Uhr, Kultbahnhof
Am Bahnhof Süd 9
Gifhorn
www.di6e.de


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