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VW-Abgasskandal - Staatsanwaltschaft und Polizei durchsuchen Büros einer Ingenieursfirma in Gifhorn

Redaktion Veröffentlicht am 01.07.2020
VW-Abgasskandal - Staatsanwaltschaft und Polizei durchsuchen Büros einer Ingenieursfirma in Gifhorn

Betrugssoftware auf VW-Wunsch? Die Ermittler durchsuchten am Mittwoch auch Büros einer Ingenieursfirma in Gifhorn.

Foto: Pixabay (Symbolfoto)

Der Abgasskandal flog bei Volkswagen auf – aber könnten auch Lieferanten von Software und Motorsteuerung vorher etwas gewusst oder zumindest geahnt haben? Die Frage bekommt nun neue Brisanz. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch. Die Diesel-Ermittler müssten demnach tief in die Akten und weit in der Zeit zurück blicken: Bis ins Jahr 2006 reichen die Vorwürfe, die am Mittwoch zu einer neuen Razzia in der Branche bei Continental, VW und weiteren Firmen in mehreren Bundesländern geführt haben – darunter auch in unserem Gifhorn. Ehemalige und teils auch noch aktive Beschäftigte der einstigen Siemens-Autotechnik-Tochter VDO könnten nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Hannover demnach in Teile der Betrugsaffäre um millionenfach manipulierte Abgasdaten verwickelt sein.

Continental wies eine mögliche Mitverantwortung bei der Entwicklung illegaler Technik zurück. Der Dax-Konzern bekräftigte seine Position aus früheren Prüfungen: „Wir haben an keinen unserer Kunden Software zum Zweck der Manipulation von Abgastestwerten geliefert“, heißt es in dem von der Deutschen Presse-Agentur verbreiteten Artikel. Vielmehr hätten sich die jeweils gültigen Grenzwerte „grundsätzlich einhalten lassen“. Man wolle die Lage gemeinsam mit den Behörden aufklären, so Conti laut der DPA.

Die Strafverfolger bewerten das Thema – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt – skeptischer. Denn die Vorwürfe beziehen sich keineswegs auf ein Kavaliersdelikt: Es geht laut der Deutschen Presse-Agentur um Beihilfe zum Betrug im VW-Dieselskandal gegen sieben Ingenieure und zwei Projektleiter. Dazu kommen Ermittlungen wegen mittelbarer Falschbeurkundung. Quelle des Ganzen ist das schon länger laufende Verfahren in Braunschweig. Dort sind neben dem früheren Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn zahlreiche weitere Mitarbeiter angeklagt, über einen Prozessbeginn wurde allerdings noch nicht entschieden.

Kern der Untersuchungen im Fall Continental laut der Staatsanwaltschaft Hannover: Man prüfe, ob Mitarbeiter von Siemens VDO – von Conti 2007 für einen zweistelligen Milliardenbetrag übernommen – möglicherweise den Auftrag für die Steuerung der 1,6-Liter-Ausgabe des späteren VW-Skandalmotors EA 189 annahmen. Und zwar in dem Wissen, dass Volkswagen damit betrügerische Absichten verfolgen wollte.

Es werde überdies Hinweisen nachgegangen, dass die Dokumentation der Software beeinflusst wurde. So ergibt sich der Anfangsverdacht: Beschäftigte der heutigen Conti-Automotive-Sparte könnten „Wünschen von VW entsprochen“ haben, eine verbotene Abschalteinrichtung herzustellen, berichtet die DPA. Sichergestelltes Material müsse nun ausgewertet werden.

Der Automobilzulieferer Continental bekam Besuch von Staatsanwaltschaft und Polizei an seinem Sitz in Hannover.

Foto: Pixabay (Symbolfoto)

Polizisten und Staatsanwälte statteten neben der Continental-Zentrale in Hannover auch Büros in Regensburg und Frankfurt einen Besuch ab. Volkswagen habe am Stammsitz Wolfsburg ebenfalls Unterlagen herausgeben müssen. Außerdem seien Standorte einer Ingenieurfirma in Gifhorn und Berlin aufgesucht worden. Nach Informationen der „Wirtschaftswoche“ werden Beschäftigte des Zulieferers IAV als Zeugen geführt – ähnlich wie Continental-Mitarbeiter Anfang des Jahres bei Abgas-Untersuchungen gegen den japanischen Autohersteller Mitsubishi.

Die VW-Dieselaffäre war im September 2015 zuerst in den USA ans Licht gekommen. Der heute größte Autokonzern der Welt hatte manipulierte Reinigungssysteme in Fahrzeuge eingebaut, die in Tests niedrigere Stickoxid-Emissionen anzeigten als im tatsächlichen Straßenverkehr. Das Unternehmen stürzte in eine tiefe Krise, die über 30 Milliarden Euro kostete. Es kam zu zahlreichen zivil- und strafrechtlichen Verfahren – die gesamte Autoindustrie büßte enorm an Vertrauen ein.

Auch wenn bisher nur Volkswagen gezielte Manipulationen einräumte, gibt es Streit über die rechtlichen Grauzonen rund um sogenannte Temperaturfenster, innerhalb deren die Abgasreinigung zum Schutz von Bauteilen verringert werden darf, berichtet die Deutsche Presse-Agentur. Und es ergab sich demnach die Frage, ob womöglich auch Zulieferer in Täuschungsabsichten eingeweiht waren oder diese zumindest billigend in Kauf nahmen. Sie bestreiten dies.

Der weltgrößte Autozulieferer Bosch war ebenfalls schon ins Visier geraten, berichtet die DPA. Die Stuttgarter hatten die Motorsteuergeräte gestellt, mit deren Software die VW-Dieselwagen manipuliert wurden. Im Mai 2019 verhängte die Staatsanwaltschaft deshalb eine Geldbuße von 90 Millionen Euro wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht – und schloss das Verfahren damit ab. Sie war zu der Überzeugung gelangt, dass die Initiative von Mitarbeitern der jeweiligen Autohersteller ausgegangen war und nicht von Bosch. Gegen einige Mitarbeiter des Zulieferers laufen aber immer noch Ermittlungen.

Continental – Nummer zwei der Zulieferbranche – baut seine Strukturen in Richtung Elektronik, Sensorik, Elektromobilität und Software um. Die Antriebssparte, die bald ein eigenständiges Unternehmen werden soll, hat aber beispielsweise auch Techniken zur Abgasnachbehandlung und Katalysatoren im Programm. Ebenso liefert der Konzern Bauteile zur Einspritzung von Harnstoff-Lösungen („AdBlue“) zu, mit denen Stickoxide im Abgasstrom reduziert werden sollen.


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