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Tollpatschig schön: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner über abrasierte Augenbrauen und Knutschflecken

Marieke Eichner Veröffentlicht am 03.12.2022
Tollpatschig schön: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner über abrasierte Augenbrauen und Knutschflecken

Große Augen, symmetrisches Gesicht, makellose Haut – das alles kann KURT-Kolumnistin Marieke Eichner nicht vorweisen. Sie rasiert sich stattdessen lieber aus Versehen schwups die halbe Augenbraue weg – und trägt ihre selbstgemachten Schönheitsunfallflecken mit Würde.

Foto: Ekaterina Bolovtsova/Pexels

"Gib mir innere Schönheit, denn äußere Schönheit werde ich wohl nie haben“, schrieb einst der griechische Philosoph Sokrates. Und noch nie habe ich mich mit einem alten weißen Mann mehr identifizieren können; wie ich hier vor dem Badezimmerspiegel stehe und verzweifelt meine aus Versehen halb abrasierte linke Augenbraue betrachte.

Grundsätzlich bin ich sehr schlecht darin, meine mir selbst gesteckten Schönheitsideale einzuhalten: Um mir bei aufkommendem Ansatz pünktlich die Haare nachzufärben fehlt mir oft die Zeit, morgens bin ich einfach zu müde, um mir statt meines wüsten Knödels auf dem Kopf eine ordentliche Frisur zu flechten und meine lästige Angewohnheit, bei Stress an den Fingernägeln zu kauen, werde ich auch nicht los. Von gekonntem Make-up ganz zu Schweigen – ich bin einfach nicht bildend-künstlerisch begabt. Wenn ich doch das Ideal nie erreiche, warum mache ich mir dann eigentlich die Mühe?

Gefrustet lasse ich mein beleidigt dreinschauendes Spiegelbild im Bad zurück, beginne zu recherchieren und stoße schließlich auf die Attraktivitätsforschung. Dernach ist unser Urteil über die äußere menschliche Schönheit etwa zur Hälfte subjektiv, die andere Hälfte haben wir mit anderen Menschen gemeinsam.

Während ich mir die ständig schief sitzende Brille vor die durch Kurzsichtigkeit zusammengekniffenen Augen auf die krumme Nase setze, lese ich von Symmetrie, großen Augen und makelloser Haut, die gemeinhin als schön gelten. Durchaus erbost ertaste ich, ob der fiese Pickel auf meiner Wange mittlerweile etwas abgeschwollen sein könnte. Er ist es nicht. Dafür stoße ich auf ein Zitat von Coco Chanel: „Schönheit beginnt in dem Moment, in dem Du beschließt, Du selbst zu sein.“

Das erinnert mich an den Knutschfleck-Vorfall: Um meinem Oberlippenflaum beizukommen, wurschtle ich fix mit den Wachsstreifen durchs Gesicht, dann geht‘s auch schon los zum Nebenjob. Und wie ich so die Biere über die Theke reiche, beginnen Gäste mich mit schelmischem Grinsen zu fragen, ob ich einen interessanten Tag hatte. Beim Blick in den Spiegel springt mich eine frech gerötete Stelle an meiner Lippe an, die wie der dilletantische Knuschfleck einer Starkpubertierenden leuchtet. Aber der Laden ist voll und das Malheur nicht zu retten. Also, was soll‘s? Schließlich hat Coco recht: Schönsein bedeutet nicht, perfekt auszusehen. Es geht darum, die eigene Individualität zu lieben. Und zu meiner gehört trottelhafte Tollpatschigkeit.

Wenn laut Attraktivitätsforschung die Hälfte unseres Ideals von unserem eigenen Urteil abhängt, können wir uns einfach mit allen Ecken, Kanten und Knutschflecken schön finden. Und wenn wir genau das auch für unsere Mitmenschen gelten lassen, haben wir diese lästigen Ideale endlich endgültig gestürzt. Der Aufkleber auf dem Badezimmerspiegel meiner Freundin fasst das prägnant zusammen: „Fick Dich, ich bin schön.“


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