Glauben & Zweifeln

Schon der Udo und der Ödön haben‘s gefühlt: Eigentlich bin ich ganz anders – ich komm‘ nur viel zu selten dazu

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 21.02.2021
Schon der Udo und der Ödön haben‘s gefühlt: Eigentlich bin ich ganz anders – ich komm‘ nur viel zu selten dazu

Martin Wrasmann freut sich schon auf die Zeit, da die Masken fallen gelassen werden.

Foto: Çağla Canıdar

Das Blackfacing-Thema in der Januar-Ausgabe hat für mich eine wichtige Frage aufgeworfen: Woran liegt es, dass wir glauben, ohne eine Maskerade nicht durch den Alltag zu kommen, Masken zu benutzen, die auch so weit gehen, dass sie andere diskreditieren oder etwas vorspielen, was oftmals nicht stimmt? Und überhaupt, das Thema Maske ist ja nun schon seit einem Jahr vor aller Munde.

Na, welche Maske haben sie heute Morgen ausgewählt? Vielleicht die Total-happy-Maske, die keinen Zweifel daran lässt, dass ich immer gut drauf bin. Oder die Muss-das-sein-Maske, mit der ich mir möglichst viel oder viele vom Hals halten will. Vielleicht auch die Dir-zuliebe-Maske, die ein etwas vorsichtiges Grinsen auflegt. Wir alle legen Masken auf, jeden Tag, mehrfach – je nachdem, in welchem Kontext wir uns bewegen, welchen Menschen wir begegnen. Man könnte meinen, das Leben ist ein großer Fasching – oder wenn man es etwas eleganter haben möchte, ein großer Maskenball – und auch nach dem Fasching ist dann wieder Maskenzwang.

Mensch, wer bist Du? Eine uralte Frage der Menschheit – eine hochaktuelle Frage, gerade in digitaler Zeit. Wenn wir in sozialen Netzwerken, auf Insta, Facebook oder Signal etwas posten, ist unser Profil dort letztlich wie eine Maske, die nur einen bestimmten Teil von uns offenlegt. Ich kann Fake-Namen benutzen, mir überlegen, wie ich auf andere wirken will, und so präsentiere ich mich dann. Ohne Masken würden sich die Menschen wahrscheinlich gar nicht mehr erkennen.

Und so hat jede und jeder eine Art Schrank in seinem Leben, wo er oder sie die verschiedenen Masken findet: die Coolness-Maske oder die Kein-Bock-Maske, daneben die fiese Maske. In der Schule haben manche die Kein-Plan-Maske auf oder auch die Opferrolle-Maske. Den armen schwarzen Kater, der bemitleidet werden will, den gibt’s auch bei Erwachsenen. In gewissen Kreisen ist aber eher die Nachdenkliche-Intellektuellen-Maske gefragt. Masken sind Gesichter, die nicht lügen. Für die Kirche gibt’s die Heilig-Maske, die manchmal auch eher eine Scheinheilig-Maske ist.
Die Maske stellt erbarmungslos die Frage nach dem, wer ich bin. Udo Lindenberg hat dazu ein Zitat von Ödön von Horváth vertont:

Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm‘ nur viel zu selten dazu.
Du machst hier grad‘
mit einem Bekanntschaft,
den ich genauso wenig kenne wie Du.
Ich hab‘ so viel Termine
in der Disco, vor Gericht
und bei der Bank.
Da schick‘ ich einfach meine Vize-Egos
und das wahre Ich bleibt lieber im Schrank.

Udos Vize-Egos verschließen die Tür zum eigentlichen Ich – das bleibt lieber im Schrank – zwischen all den Masken, die ich mir abwechselnd im Ablauf des Tages aufsetze.

Ich sitze hier mit meiner KURT-Maske, ich möchte Sie beim Lesen erheitern, aufregen, zum Nachdenken bringen; ich will, dass Sie mir innerlich zustimmen, meine Anerkennungs-Maske wartet auf ein positives Feedback. Doch eigentlich fühl ich mich gerade ganz anders: Scheiß Corona, ich will endlich verreisen, wann gehen wieder Konzerte und so weiter. Und dann bin ich wieder bei mir.

Wer bin ich? Im beruhigten Nachdenken fällt mir dann doch einiges ein, was mich ausmacht – hinter allen Masken. Was ich gut kann, meine Macken. Die Menschen, die mich mögen und die, die mich brauchen. So langsam wird mein Ego wieder fühlbarer; macht mir klar, dass ich, so wie ich bin, wertvoll und einzigartig bin – egal was ich leiste oder darstelle. Das hätte ich beim Lamentieren fast vergessen. So werde ich hinter allen Alltagsmasken – ich hoffe es werden immer weniger – mein eigentliches Ich nicht aus dem Blick verlieren. Denn eigentlich bin ich ganz anders – und ich komme immer öfter dazu.

Wie üblich im Karneval, nehme ich den Maskenball auf und verabschiede mich im Versmaß:

Den Wunsch hat mancher auf der Erden,
endlich ein anderer Mensch zu werden.
Und weil er‘s nicht fertigbringt, nicht kann,
drum legt er sich schnell eine Maske an.
Und manch einer trägt sie mit Eifer sogar
im Fasching und mehr noch
durchs ganze Jahr.

So viele, fast jeder, so wag‘ ich zu sagen,
wird hin und wieder die Maske tragen.
Damit die anderen wunder was denken
und ihm ihre größte
Hochachtung schenken:
Die Maske des Anstands, der Integrität –
als ob einer gar keine Fehler mehr hätt‘!
Die Maske der Demut, der Frömmigkeit,
als wäre man stets für den Himmel bereit.

Wir wissen natürlich: Das ist nicht ehrlich.
Und dennoch scheint es uns unentbehrlich.
Uralt schon scheint dies Verhalten zu sein.
Schaut einfach in die Bibel rein –
wo selbst der Teufel maskiert ist gegangen
im Paradies in Gestalt einer Schlangen:
„Wie Gott ihr werdet: weise und mächtig!“
Mehr sein, als man ist – das wäre prächtig!

Doch stand ihm das nicht,
dem Menschen, dem kleinen,
der mehr sein wollte und
mehr noch scheinen.
Mit einem Schlag, als er sich dann sah,
stand nackt er und ganz ohne Maske da.
Und die Moral von der Geschicht:
Die Maske allein zählt noch lange nicht!

(nach Pater Heribert Graab)

Martin Wrasmann, Pastoralreferent emeritus der St. Altfrid-Gemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe bitte an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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