Musik

Pure Anarchie und neue EP: Beim Gifhorner Trio Keine Lösung trifft Classic-Rock auf Reggae und auf Hip-Hop

Matthias Bosenick Veröffentlicht am 03.01.2021
Pure Anarchie und neue EP: Beim Gifhorner Trio Keine Lösung trifft Classic-Rock auf Reggae und auf Hip-Hop

Keine Lösung hätten zum Release ihrer gleichnamigen EP gern auf einer Bühne performt. Konzerte bleiben allerdings weiterhin aus.

Foto: Kai Kestner

„Keine Lösung“ im Angebot, aber eine EP diesen Titels hat die Band diesen Namens. Da fand sich das Gifhorner Trio zum Jahreswechsel 2019/2020 neu formiert und frisch motiviert zusammen und dann durchkreuzte ein Virus die Pläne, dieses neue Bandgefühl auf Bühnen auszuleben. Also begaben sich die drei Musiker – in der ungewöhnlichen Konstellation Gitarre, Schlagzeug und Keyboard – ins Studio, nacheinander und einzeln, versteht sich, um die Muckerenergie eben auf diese Weise auszuleben, mit dem wohl wildesten Stilmix der Stadt. Bandkopf David „Dave“ Evang (42) erzählt. Und er hat viel zu erzählen!

„Pure Anarchie“ seien die vier Songs, die Keine Lösung für die EP im Kultbahnhof-Studio aufnahmen. Denn, so Dave: „Keine Lösung bedeutet, alles ist erlaubt, wir schrecken vor nichts zurück.“ Kein Genre ist für den Sänger und Gitarristen unmöglich, und nach dieser Feststellung sei es nur eine Frage der Zeit, bis auch ein Death-Metal-Stück Einzug ins Repertoire findet. Es fehlt nicht viel. Mit Classic Rock startet die EP: „D.R.K.“ steht für „Dörthe Renate Klaus“ und stammt noch aus der Zeit der ersten Besetzung, nun aber mit den neuen Mitmusikern Marcello Ebel und Arnaud Muzard musikalisch neu gestrickt. „Die Black Crowes und Selig haben mich inspiriert. Auch Led Zeppelin“, erläutert Dave. Also beinahe schon Death Metal.

Mit „Musiker und Frauen“ findet sich plötzlich ein Reggae-Stück, entsprungen einer Idee, die Marcello in einer Raucherpause hatte, ebenfalls mit neuer Musik zu einem älteren Text, und mit einem Punkrock-Mittelteil, „wie bei NOFX“, so Dave. Er lacht: „Marcello ist Metal, Arnaud ist Bluesrock, Soul, Jazz, ich bin Crossover – wir haben von Reggae keine Ahnung.“ Jetzt schon, das Lied belegt es! In „Marie-Johanna“ wiederum rappt Dave den Text, den es einmal mehr schon länger gibt, zu einem „Oldschool-Hiphop-Beat“, der als Sample das Intro ergibt. Zuletzt bestimmt ein Funk-Rhythmus das Titelstück „Keine Lösung“, „im Latin-Style mit Santana-Feeling“, so Dave lachend: „Ich weiß nicht, wie das passieren konnte!“ Und resümiert: „Unser Stil ist, keinen Stil zu haben.“ Damit sei es zwar „schwer, eine Fanbase aufzubauen, denn das stößt Leuten vor den Kopf“, glaubt er. Doch mit einem leicht geweiteten Horizont sollte man als Hörer kein Problem haben.

Die Band ohne Genre: Gitarrist David Evang (links), Keyboarder Arnaud Muzard und Schlagzeuger Marcello Ebel.

Foto: Michael Uhmeyer

Es klang bereits an: Eigentlich besteht die Band seit 2013, doch lag sie für eine kurze Weile auf Eis, weil die Gründungsmitglieder unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen hatten. Erst gegen Ende 2019 beschloss Dave, sich wieder eine Band zu suchen: „Ich habe so viele Songs und Texte geschrieben, die sollten nicht in der Schublade bleiben.“ Mit Schlagzeuger Marcello Ebel, seinem Mitmusiker bei den heute längst aufgelösten Outyards, fand er den ersten Mitstreiter, und Arnaud Muzard vervollständigte das Line-up mit demselben Instrument, mit dem es vor sieben Jahren auch startete: dem Keyboard.

Die Gründung von Keine Lösung fand seinerzeit „aus einer Bierlaune heraus“ statt, erzählt Dave, also aus der besten, die man einer Bandgründung zugrundelegen kann. Damals war Lars Hapke sein Nachbar, mit dem er sich regelmäßig „auf ein Bier“ traf. Irgendwann stellten sie beide fest, dass sie Instrumente spielten und beschlossen, dies auch mal gemeinsam zu tun, und zwar in der Besetzung „Keyboard, Gitarre, Bier“. Recht schnell gesellte sich Alain Soubercaze als Schlagzeuger hinzu, und mit ihm nahm das Trio auch gleich ein erstes Demo auf, eine CD-R mit vier Songs. Doch nach einigen Jahren entwickelten sich die drei musikalisch auseinander und widmeten sich eigenen Projekten – und davon nicht wenigen, aber dazu später mehr. Dave erzählt: „Keine Lösung war für ein gutes Jahr auf Eis gelegt.“ Bis er eben 2019 mit Marcello und Arnaud neue Mitstreiter fand.

Was gar nicht so einfach war, mit Blick auf den Keyboarder, doch kam Dave da seine Tätigkeit im Kultbahnhof zugute, denn dort lernte er Arnaud in einem anderen Kontext kennen und sprach ihn auf einen möglichen Einstieg bei Keine Lösung an, sobald er wusste, dass der Keyboarder keine anderen Verpflichtungen mehr hatte: „Und Arnaud hat sofort zugesagt!“ Die Chemie stimmte und sofort planten die drei zu proben, befeuert von der Lust auf Live-Konzerte im anstehenden Sommer 2020 – der bekanntlich wegen Covid-19 für Gigs ins Wasser fiel.

Einen Gig gab es aber trotzdem für Keine Lösung, und zwar im Nordsound Showroom in Oebisfelde bei einer Open Stage. Ohne Publikum zwar, aber als Livestream. „Das war eine tolle Produktion“, schwärmt Dave, und freut sich auch, dass das Trio aufgetreten ist, ohne vorher richtig proben zu können. „Das war unser allererstes Konzert“, mit vielen Improvisationen, weil sie einfach noch gar nicht ausreichend Songs zur Hand hatten. „Ich mache seit 30 Jahren Musik“, sagt Dave, „aber ich hab mir noch nie vor einem Auftritt so in die Hose gemacht.“ Kein Wunder: Ohne Publikum gibt es kein Feedback. „Das war grausam“, befindet Dave und stellt fest, dass sich alle hinterher einig waren, noch nie so ein schlechtes Konzert gespielt zu haben. Eine satte Fehleinschätzung, wie die Musiker herausfanden, als sie sich den Stream später auf YouTube ansahen: „Wir waren angenehm überrascht, wie gut das lief! Ich bin stolz auf die Jungs.“

Nach gut einem Jahr haben Keine Lösung ihre selbstbetitelte EP fertig im Kasten. Was fehlt, ist der letzte Schliff. Dann können die sechs Songs endlich gestreamt werden.

Foto: Kai Kestner

Und deshalb ergänzen auch zwei Stücke aus diesem Auftritt die vier Studio-Songs auf der EP. Der erste ist „Märchenonkel“, ein Lied, das es nicht nur ebenfalls schon länger von Keine Lösung gibt, sondern das Dave außerdem als Bandmitglied von Hoax auf deren letztem Album „Shake Up The Monster“ unterbrachte, allerdings mit einem von Sänger Vincent auf Donald Trump umgemünzten Text. Für Keine Lösung indes bleibt Dave bei seinem ursprünglichen Text, der weniger politisch ausgerichtet ist, denn seine Vorstellung ist: „Lass uns die Schweiz sein!“ Zwar feiert er politisch eindeutige Bands wie Rage Against The Machine, sieht seine Band aber als reine Unterhaltung. Zu Hoax hingegen passe das Politische, findet Dave – aber „wir stellen uns nicht hin und präsentieren eine Lösung“, denn: „Wir haben Keine Lösung.“

Der zweite Song ist „Immer, wenn‘s am schönsten ist“, basierend auf einem Bluesthema und von Dave mit einer Slidegitarre gespielt. „Das ist der Clapton in mir“, grinst er und fügt hinzu, dass sie beide am selben Tag Geburtstag haben. „Das ist mit mein Lieblingstext“, verrät er außerdem, der sich darum dreht, dass es auf einer Party gerade hoch hergeht – und die Begleitung nach Hause will. Dave sinniert: „Das zieht sich durch alle Texte: Bier, Frauen und Partys.“ Dabei lässt er durchblicken, dass einige Geschehnisse in den Texten fiktiv sind, andere autobiografisch: „Jeder kann zuhören und überlegen, welcher stimmt und welcher nicht.“

Die Sprache kam bereits auf Hoax und die Outyards, und das sind nicht die einzigen weiteren Betätigungsfelder für Dave, Marcello und Arnaud. Früher war Dave gefragter Tourmusiker, der mit Helden wie Alice Cooper oder Doro Pesch „quer durch Europa“ reiste, bis er sich mit 30 Jahren entschied, als krisensicherer Gitarrenlehrer zu arbeiten; Corona gibt ihm Recht. Mit der Heavy-Metal-Band Seducer gelang es ihm erstmals, dem Traum vom Rockstar näher zu kommen; zwölf Jahre lang spielte er bei den Schweimkern, seit acht Jahren schon wieder nicht mehr. Aber dafür ist Marcello dort heute der Schlagzeuger. Der vielgefragte Arnaud spielt außerdem noch bei Gate4Five und King‘s Call und war zuvor bei No Excuses.

Dave spielt dazu bei Axecellerator und war erst „Feuerwehrmann“ und ist jetzt fest bei Hoax sowie deren Seitenarm Ramones Experience. Und zwar ganz spontan, als er mit der Band Tempest aus Griechenland zurückkehrte und sich in 14 Tagen fast 30 Songs der Ramones aneignen musste: Eine Probe, und es lief.

Als Keine Lösung freuen sie sich, dass Volker Schlag sie in seinem Studio aufnehmen lässt – zu beider Seiten Vorteil, wie Dave weiß: „Er kann sein Studio wieder in Gang bringen, wir sind beide dankbar.“ Zudem staunt Dave, wie professionell Volker aufgestellt ist, zwischen „Oldschool-Equipment und modernen Computern“. Auch bringt Volker Produktionshilfen ein: „Er hat meine Songs kapiert“, freut sich Dave.

Als CD oder gar auf Vinyl wird es die EP nicht geben, weil das Interesse zu gering und die Werbung ohne Auftritte müßig ist. Auch hat Dave keine Energie mehr, wie früher die CDs selbst zu brennen und die Cover zu Hause auszuschneiden.

Wo genau die EP digital veröffentlicht wird, war zum Zeitpunkt des Interviews noch unklar. „Wahrscheinlich läuft es auf Streaming-Portale hinaus. USB-Sticks fänd ich schön, wir könnten sie bedrucken mit dem Keine-Lösung-Logo – um etwas in der Hand zu haben.“

Früher spielte Dave jedes Jahr im Advent vor dem H1, „da gab‘s noch keinen Pavillon, wir standen im Schneesturm – wir waren die ersten dort“, erinnert er sich. Keine Lösung traten dort ebenfalls auf, in der alten Besetzung. Im Advent 2020 fiel die Aktion wie so viele andere aus. Immerhin kann man sich Keine Lösung via EP nach Hause holen – es gibt also doch eine Lösung.

Keine Lösung:
EP „Keine Lösung“
6 Songs
www.facebook.com/keineloesungband


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