Kopfüber

Kraulen statt maulen: Unser Autor hat sich sportliche Vorsätze gemacht

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 07.02.2023
Kraulen statt maulen: Unser Autor hat sich sportliche Vorsätze gemacht

Dünne Beine, sehnige Arme, Pombärbauch", stellt KURTs Kolumnist Malte Schönfeld bei sich fest. Doch sein Arzt rät ihm zum Schwimmen.

Foto: Privat

Ein Zug nach dem nächsten. Die Hände falten vor der Brust ein Dreieck, die Arme verdrängen nach außen das Wasser, die Streckung bis zum Ende. Auf die Atmung achten. Ein, aus. Ein, aus. Nicht zu aufgeregt die Beinarbeit, kräftige, klare Bewegungen. Noch einmal Luft holen. Gleich habe ich es geschafft, gleich kann ich den Beckenrand berühren.

Ich bin Schwimmer. Also vom Kopf her. In meiner Vorstellung schon seit einigen Wochen. Wirklich im Hallenbad war ich erst zweimal. Ob man sich da schon Schwimmer nennen kann? Weiß ich nicht. Aber fast hätte ich mir im Shop eine Schwimmbrille gekauft. Ich musste wieder was tun. Sagte auch mein Arzt.

Zwischen Weihnachten und Neujahr. Ich sitze im Wartezimmer eines Orthopäden. Stern, Focus, Frau im Spiegel. Wenige Minuten später: ich im Spiegel, und zwar im Behandlungszimmer. Eigentlich bin ich wegen Fersenproblemen gekommen. Die haben so Beulen. Doch der Arzt sagt: „Sie sind ja total krumm. Obenrum freimachen.“ Also stehe ich da: Schulter hängt, Becken hängt, Bauch hängt. Ich gucke mich an. Wann ist das denn so aus dem Ruder gelaufen? Der Arzt diktiert, massiert der tippenden Arzthelferin die Schulterpartie. Ich sage: „Habe seit Jahren keinen Sport mehr gemacht.“ Der Arzt denkt: Sieht man. Er sagt aber: „Dann sollten Sie dringend wieder anfangen. Wie wäre es mit Schwimmen?“

Zuhause liege ich auf meinem roten Perserteppich und starre die Decke an. Ja, wie wäre es denn mit Schwimmen? Laufen geht ja nicht wegen der Ferse. Versteht sich von selbst. Ballsport habe ich durch, Kampfsport ist der Name schon so blöd, bleiben von den ernstzunehmenden Sportarten nur noch Tennis, Golfen und, ja, Schwimmen. In diesem Moment kracht ein Vogel gegen mein Fenster.

Da sind wir dann also: neues Jahr für mich, neue Einlagen für die Fersen. Festgelegtes Ziel: geiler Body bis zum Sommer. Das wäre es. Einmal bestaunt werden, nicht bestaunen. Vorerst Verzicht auf: Chips ungarisch zur Bundesliga, Limonade zur alltäglichen Freude, Alkohol im Januar (Stichwort: Dry January). Hilfsmittel: Badehose (Calvin Klein), vielleicht Ernährung (Stichwort: Veganuary), eventuell mehr Sprudelwasser trinken (Gerolsteiner).

Samstag, 7. Januar. Hallo Hallenbad, ich bin im Team Tagesticket. Probleme am Eingang mit dem Drehkreuz. In der Umkleidekabine der Ganzkörpercheck: dünne Beine, sehnige Arme, Pombärbauch. Kurze Zeit später das erste Mal im Wasser. Das Gefühl von Leichtigkeit. Bahn nach Bahn nach Bahn. 600 Meter geschafft, deutliche Ermüdungserscheinungen. Pause. Wechsel in die Textilsauna. Können sich auch nur Deutsche ausdenken. Erholung.

Dann kommt der Total-GAU durch die Tür: Zwei gesixpackte Typen, zwei superfitte Girls, Astralkörper wie Ryan Gosling und Kylie Jenner, Abijahrgang, hot as fuck, ihnen liegt auf ewig die Welt zu Füßen. Sie wischen sich betont unangestrengt die Strähnen aus der Stirn, die vom Chlorwasser und natürlich NICHT VOM SCHWEIß nass sind. Ich gucke, nein, glotze. Ich muss aussehen wie ein Perverser. Vom Haaransatz läuft ein Tropfen über meine unrasierte Wange, den Hals hinab, über die kraft- und formlose Brust in den Bauchnabel. Ich denke: Meine Zeit ist abgelaufen.

Als ich zwei Tage später die nächste Einheit absolviere, schaffe ich 800 Meter. Am folgenden Morgen kann ich mich kaum bewegen. In jeder Faser meines Körpers Muskelkater. Ich liege wieder auf dem Teppich, diesmal wehrlos, und lese eine Kurzgeschichte von Murakami. Die schlaflose Protagonistin zieht im menschenleeren Schwimmbad ihre Bahnen, wie von Zauberhand wird sie muskulöser, jünger, schöner.

KURT-Kolumnist Malte Schönfeld schreibt die monatliche Kolumne „Kopfüber“. Leserbriefe gern an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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