Letzte Ruhe

Heute ist ein schöner Tag für den Friedhof: Erika Pressel besucht seit acht Jahren jede Woche das Grab ihres Mannes mit Gifhorns Friedhofsmobil

Mia Anna Elisabeth Timmer Veröffentlicht am 22.05.2023
Heute ist ein schöner Tag für den Friedhof: Erika Pressel besucht seit acht Jahren jede Woche das Grab ihres Mannes mit Gifhorns Friedhofsmobil

Karsten Wolpers (links) organisiert die Fahrten des Gifhorner Friedhofsmobils. Auch Gamsen, Neudorf-Platendorf und Triangel werden angefahren.

Foto: Mia Anna Elisabeth Timmer

Mit Schoki und etwas Tratsch werden die Nutzerinnen des Friedhofsmobils zu ihren Geliebten gefahren. Der Friedhof ist ein Ort der Trauer, aber der Weg dorthin für die Hinterbliebenen nicht – denn ihr Friedhofsmobil ist nicht nur Transportmittel, sondern auch Treffpunkt. Und so kann ein Mitfahrer in dem gelben Wagen auch einige interessante Geschichten hören – wie die von Erika Pressel.

„Hallo – junger Mann“, ruft Erika Pressel nach vorn: „Wir brauchen das Schweinchen!“ Einige Damen wedeln mit Geld. Eine von ihnen verteilt Schokolade, eine andere holt bereits Leckereien für die Ehrenamtlichen heraus. Sie möchten spenden für ihr Friedhofsmobil. Das holt sie nämlich ab, jeden Mittwoch jeder Woche – nur im Winter fährt es nicht.

Fahrer August Heinemann reicht die hölzerne Sparbüchse nach hinten. Währenddessen fährt der Ehrenamtliche souverän durch die Gifhorner Straßen zu den Häusern der Hinterbliebenen. Er kennt hier alles: „Ich war mal bei der Post, das kommt mir zugute.“ Der 79-Jährige ist einer von sieben Fahrern und kutschiert alle sechs Wochen die Damen in die Wilscher Straße 1. Dort ruhen die verstorbenen Angehörigen der Seniorinnen.

Robert Pressel starb 2015. Seitdem besucht Erika das Grab ihres Mannes und pflegt es so gut sie kann.

Foto: Mia Anna Elisabeth Timmer

So wie der Mann von Erika Pressel. „Er verstarb 2015 – leider“, blickt sie zurück. „Der Krebs frisst alles auf, ich vermisse ihn jeden Tag.“ Seitdem lebt sie allein. Ihre Kinder sind weggezogen, die Nachbarn bieten ihr Hilfe und monatlich fährt ihr Bruder her. Doch ihren Robert ersetzen, das könnte niemand. „Ach mein Mann, das war ein richtiger Kerl zum Anfassen“, träumt die Rentnerin vor sich hin.

Robert Pressel war sportlich. Die beiden lernten sich bei einem seiner Fußballspiele kennen: „Ich bin ja gebürtige Sandkämperin – naja, heute ist das Wolfsburg. Und da hat er gespielt.“ Seinetwegen zog sie in unsere Ziegenstadt und seit ihrer Heirat nannte Erika nie einen anderen Ort ihr Zuhause: „40 Jahre haben wir miteinander verbracht.“ Die 83-Jährige beschreibt den Verstorbenen als ihre zweite Hälfte: „Wir arbeiteten auch beide im VW-Werk – also ich war bei einer privaten Firma, aber mein Büro war dort. Ich war Disponentin und er war Konstrukteur.“ Gemeinsame Hobbys betrieben sie auch, spielten zusammen Tennis.

„Manchmal schimpfe ich mit ihm, dass er mich hier alleine gelassen hat“, fährt sie fort. „Aber heute, da ist ein schöner Tag, um auf den Friedhof zu gehen.“ Sie lacht und hüpft aus dem Wagen – eben so, wie eine Frau in ihren 80ern das macht. In der einen Hand hält sie ihre Tasche, mit der anderen greift sie nach einer Halterung im Wagen und erklärt: „Die anderen brauchen den Tritt, aber ich schaffe das noch. Ich muss mich nur festhalten können.“

Erika Pressel macht sich auf den Weg zum Grab ihres verstorbenen Mannes Robert.

Foto: Mia Anna Elisabeth Timmer

Zielstrebig begibt sich Erika zum Grab ihres Mannes, es ist das schönste in der Reihe. „In dem Alter fällt einem schon alles etwas schwerer“, verrät sie. Doch: „So lange wir hier auf Erden sind, müssen wir unser Bestes geben. Ich sag da immer: Ich will, ich muss, ich kann.“ Roberts letzte Ruhestätte möchte sie dennoch bald in Ganzpflege geben. Das erklärt sich ganz einfach: „Vom Kopf geht‘s bei mir noch, aber körperlich merke ich‘s.“

Ohne das Friedhofsmobil könnte sie kaum her. Sie schildert ihren Weg zum Friedhof. Und der klingt kompliziert und viel zu lang. „Ich sag dann immer – ganz leise – Zickenstadt. Allein weil das mit den Bussen so blöd ist. Wäre das Friedhofsmobil nicht, müsste ich laufen“, führt Erika Pressel aus. Sie nutzt das Angebot seit acht Jahren jede Woche, abgesehen von ein paar Malen, an denen sie krank war.

Wie ihr geht es aber noch weiteren Gifhornerinnen, die ebenfalls das Friedhofsmobil brauchen. So etwa Marli Butterbrodt, die es seit 2018 nutzt: „Ich habe eine schlechte Anbindung mit dem Bus und ich hätte niemanden, der mich fährt. Das hier ist wunderbar“, sagt sie – und fordert die Autorin dieses Textes auf: „Schreiben Sie, das ist eine ganz hervorragende Einrichtung!“ Neben ihr sitzt Christa Wilke. Ihr Mann Helmut starb 2018. „Dann war Herr Wolpers da und meinte, ich kann hier mitfahren“, berichtet sie.

Erika Pressel (links) fuhr – so wie jede Woche – mit dem Friedhofsmobil, als KURT-Mitarbeiterin Mia eine Tour begleitete.

Foto: Karsten Wolpers

Der laut Erika „immer freundliche“ Karsten Wolpers organisiert seit 16 Jahren die Fahrten. Am Anfang fuhren die Ehrenamtlichen noch mit Privatwagen, erinnert er sich: „In den Anfangsjahren bin ich auch gefahren – da hab ich sogar schon einen Heiratsantrag bekommen.“ Seit der ersten Fahrt am 26. April 2007 hat sich einiges getan. Immer mehr Hinterbliebene nutzen das Angebot. Nur in der Pandemie war ein Rückgang spürbar, von der sich das Friedhofsmobil aber wieder erholt. Und: „Personen, die den Dienst des Friedhofsmobils ebenfalls nutzen möchten, können sich jederzeit im Friedhofsamt melden.“

Finanziert und getragen wird das Friedhofsmobil übrigens von den beiden Gifhorner Kirchengemeinden St. Altfrid und St. Nicolai. Im bevorstehenden August soll zudem ein Friedhofslauf stattfinden, um das Projekt zu unterstützen.

50 Startplätze sind ausgeschrieben – und das Friedhofsamt freut sich auch hierbei über jede Anmeldung.


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