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Freiheit ist keine Straftat: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner denkt über das Abtreibungsrecht nach

Marieke Eichner Veröffentlicht am 23.06.2022
Freiheit ist keine Straftat: KURT-Kolumnistin Marieke Eichner denkt über das Abtreibungsrecht nach

Während Spanien mit neuen Gesetzesinitiativen Frauenrechte verstärkt, schaffen einige Bundesstaaten der USA das Recht auf Abtreibung beinahe ganz ab. KURT-Kolumnistin Marieke Eichner hat darum einen Blick auf die deutsche Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch geworfen.

Foto: Unsplash

Ich liebe Geschichtsdokus. Als ich 10 Jahre alt war, sah ich zum ersten Mal im Fernsehen das Stern-Cover aus dem Juni 1971: „Wir haben abgetrieben!“ Da lernte ich: Restriktives Abtreibungsrecht ist Geschichte. Und vor ein paar Tagen sah ich, dass in Spanien bald nach schwedischem Vorbild sexualisierte Gewalt als Vergewaltigung betrachten werden soll – egal ob das Opfer sich wehrt oder eine Handlung aus Angst geschehen lässt. Verbale sexualisierte Gewalt – Catcalling – soll auch strafbar werden. Und Menstruationsurlaub wird’s wohl ebenfalls geben. Man könnte fast annehmen, Frauen werde endlich das Recht auf freie Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper zugestanden. Oder?

Im US-Bundesstaat Texas sind seit kurzer Zeit Abtreibungen verboten, sobald der Fötus einen Herzschlag hat – also etwa ab der sechsten Woche. Da haben die meisten Frauen ihre Schwangerschaft noch gar nicht bemerkt. Auch bei Vergewaltigung und Inzest gibt‘s keine Ausnahme. Oklahoma hat jüngst gleichgezogen. Vielleicht werden die USA bald kein Milchpulver mehr einfliegen, sondern Metallkleiderbügel.

Denn egal wo, egal wann: Abtreibungen gab es schon immer und es wird sie immer geben – egal, welches Recht gilt. Weil es immer Frauen gibt, die keine eigenen Kinder wollen.

Zurück nach Deutschland: Zu erfahren, wo Abtreibungen angeboten werden, gestaltet sich schwierig. Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs untersagt „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Mediziner:innen, die offen kommunizieren, dass sie Abtreibungen durchführen, müssen deshalb mit einem Strafverfahren rechnen. Die Bundesregierung plant den Paragrafen abzuschaffen – die meisten Probleme wird das aber nicht lösen.

Seit 2003 hat sich die Zahl der Mediziner:innen, die eine Abtreibung vornehmen, fast halbiert. Ungewollt Schwangere hätten weniger Probleme, Mediziner:innen für eine Abtreibung zu finden, wenn diese nicht grundsätzlich als Straftat – geregelt in Paragraf 218 – gälte. Es geht schließlich um medizinische Grundversorgung: Kein Verhütungsmittel ist zu 100 Prozent sicher; ungewollte Schwangerschaft – und damit auch die Abtreibung – gehört zur Lebensrealität. Außerdem ist es eine Gleichberechtigungsfrage: Es gibt keine vergleichbare Situation für Männer, in der ihnen die Selbstbestimmung über Körper und Zukunft verwehrt wird.

Die Psychologieforschung zeigt, dass schon die Zeit im Uterus die Psyche des Menschen prägt. Zudem haben Kinder ein ganz feines Gespür für Ablehnung. Und die pflanzt sich in die Seele wie wucherndes Unkraut, bis es jede Beziehung – ob nun zu sich selbst oder anderen – vergiftet. Kein Kind sollte bei einem Menschen aufwachsen, der es nicht lieben kann. Jeder Mensch braucht Liebe.

So, Kolumne fertig. Jetzt gönn‘ ich mir die fünfte Menstruationsschmerztablette. Ich kann schließlich nicht all meine Urlaubstage für dieses lästige Rumgeblute verbraten.


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