Kopfüber

Der Reichtum der Schönheit: Malte Schönfeld denkt in seiner neuen Kolumne über Geldlimits und hässliches Wohnen nach

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 26.12.2023
Der Reichtum der Schönheit: Malte Schönfeld denkt in seiner neuen Kolumne über Geldlimits und hässliches Wohnen nach

Draußen verfällt die alte, stolze Fabrik, während KURTs Kolumnist Malte Schönfeld im vorbeifahrenden Zug über Kontolimits und ästhetisches Wohnen nachdenkt.

Foto: KURT Media via Dall-E

Wie will man in dieser brutalen Welt bestehen?, habe ich mich gefragt, als ich aus dem am Bahnhof in Niemberg, Sachsen-Anhalt, stehenden Zug schaute, neben mir ein Backsteinklotz, einst eine stolze Malzfabrik. Nun steht sie da wie mit gesenktem Haupt und hängenden Schultern, eingeworfene Fensterscheiben und menschenlose Räume, so allein und doch so schön. Teurer Untergang eines Orts, eines Landes, einer Zeit. „Nach der Wende kam recht schnell das Aus“, lese ich online, und das gilt ja für vieles.

Ich bin mal wieder am Umziehen. Französischer Balkon zur Straße, vor der Sonne geschützter Balkon in den Innenhof. Doch Wohnen und Leben werden ja leider durch den Kontostand begrenzt. Ein weiteres Limit der brutalen Welt. Hassvergnügen Kapitalismus. Ungut, dass meine Freundin und ich uns auf Design verständigt habe, das wir uns nicht leisten können, doch widerspruchslos ist ja nichts im Leben.

Wie will ich aber wohnen, was gefällt mir?, überlege ich mit dem Kopf an der kalten Fensterscheibe, während – der Name ist Gefühl – Köthen die nächste Haltestelle ist. Heimat der Familie Ritter. Auch hier: Tote Industrie, aufgerissene Straßen, alles wartet, nichts kommt. Ich ziehe YouTube auf.

Mina Le ist blitzgescheit, in ihren Zwanzigern, kommt aus den USA und spricht gern über Fashion, Filme und Pop-Kultur. Ihre Katze heißt Prada, was ich angemessen abgehoben finde. Sie hat ein Video-Essay unter dem Titel „Warum ist alles so hässlich“ veröffentlicht, in dem sie graue und beige Wohngegenwart kritisiert. Ich denke, sie hat da einen Punkt: Wir sind schon gute Konformisten und zufrieden, wenn man in der Reihe steht und nicht auffällt – ob beim Wohnen oder anderswo.

Wenige Tage zuvor bin ich durch ein Modenhaus – breite Gänge, vornehme Kundschaft – gestreift. Da sah ich sie: die Traumshorts aller Traumshorts, weiße Seide, zarte grüne und rosa Querstreifen, ewig gültiger Tennis-Chic, gefertigt in Italien, dazu das passende Resorthemd, beides von der mir unbekannten, jetzt aber verehrten Brand Casablanca. Mit glühenden Fingerkuppen fühlte ich den Stoff. So weich, dachte ich mir, so himmlisch temperiert. Es gab nur ein Problem: das Preisschild. Insgesamt 1500 Euro.

Vielleicht bin ich für den Moment doch noch verdammt, in der Reihe zu stehen und nicht an der italienischen Riviera.

Zurück zu YouTube, denn immerhin da bin ich Premiumkunde: Manchmal schaue ich auf dem Channel „Architectual Digest“, wie Berühmtheiten in den Vereinigten Staaten wohnen. Da versteht man unausweichlich, dass es gar keinen Unterschied macht, ob wir mit Elon Musk und Jeff Bezos auf den Mars ziehen oder nicht, weil der exorbitante Unterschied zwischen Manhattan und Niemberg, zwischen Malibu und Gifhorner Südstadt größer nicht sein könnte. Und noch etwas fällt auf: Nirgends sieht‘s wirklich geil aus – viel Grau und Beige. Die Prominenz weiß trotz Dekadenz und Potenz nicht, wie wohnen geht. Denn gewohnt und gelebt wird da nicht – es wird maximal übernachtet.

Was das eigene Wohnen betrifft, wurden die Vorstellungen von der Design-Lampe, der Design-Vase und dem Design-Sofa vorerst in Millionen kleine Fetzen zerrissen. Ich habe jetzt eine Spülmaschine gekauft. Frohe funktionale Weihnachten.


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