Land & Leute

Das sind die Geheimnisse von Gifhorns altem Friedhof

Marieke Eichner Veröffentlicht am 02.04.2021
Das sind die Geheimnisse von Gifhorns altem Friedhof

Studentinnen und Studenten der TU Braunschweig haben den alten Friedhof geophysikalisch untersucht und Metall in der Erde ausmachen können. Nun wird gegraben.

Foto: Çağla Canıdar

Wucherndes Efeu, umgekippte Grabsteine und ungepflegte Trampelpfade: „Seit Jahren verschlechtert sich der Zustand des alten Friedhofs“, bedauert Gifhorns Kulturamtsleiter Dr. Klaus Meister. „Da sollten wir mal was ändern!“ So gründete er im Juni 2020 die Arbeitsgruppe „Alter Friedhof“. Die 20 zumeist ehrenamtlich Engagierten aus den Bereichen Lokalgeschichte, Museumspädagogik, Kirchengeschichte und Archäologie wollen den Geheimnissen des Ortes auf die Spur kommen. Studentinnen und Studenten sowie Mitarbeiter der Technischen Universität Braunschweig haben bereits Stellen für archäologische Grabungen ausgemacht. Die Ergebnisse der Nachforschungen sollen auf dem Gelände ausgestellt werden. Gifhorn bekommt ein neues, stadtnahes Ausflugsziel im Grünen. Doch welche Geschichten hat uns der alte Friedhof zu erzählen?

Das erste Geheimnis des alten Friedhofs ist sein Alter. Dr. Uwe Gierz, Kirchenarchivar der St. Nicolai-Gemeinde, sucht in alten Kirchenregistern und Rechnungsbüchern nach Nachweisen für Beerdigungen. „Früher musste man ja für alles extra zahlen: Kirchengeläut bei der Beisetzung, der Grabstein und so weiter“, erklärt er. „Die noch erhaltenen Aufzeichnungen beginnen erst um 1630 – davor ist Ebbe, da gibt’s kaum was.“ Doch aus alten Dokumenten geht hervor, dass bereits im Jahr 1382 die Junker Eberhard und Konrad von Marenholtz eine Kapelle für Gifhorn stifteten. Die dem Heiligen Georg geweihte Kapelle stand nördlich der Ise gegenüber dem damaligen Celler Tor – also dort, wo heute der alte Friedhof liegt.

Uwe Gierz vermutet, dass spätestens seit der Hildesheimer Stiftsfehde in den Jahren 1519 bis 1523 die Verstorbenen der Stadt dort beigesetzt wurden. Während der Stiftsfehde wurde Gifhorn nämlich fast vollständig zerstört – aber die Georgskapelle blieb verschont. Der älteste Nachweis für eine Beerdigung in der Kapelle, den der Kirchenarchivar fand, stammt von 1616. In diesem Jahr wurde die erst dreieinhalb Jahre alte Magdalena Dorothea Holstein beigesetzt. Uwe Gierz stieß auch auf Aufzeichnungen über Zahlungen für Grabsteine auf dem Gelände um die Georgskapelle. Für zehn Taler erwarb ein Gifhorner im Jahr 1628 fünf „Leichsteine“.

Seine Nachforschungen konzentriert der Gifhorner Kirchenarchivar vor allem auf alte Dokumente. „Er schreibt ja auch an einem Buch über die Kirchengemeinde“, merkt der Arbeitsgruppenleiter und Gifhorner Kulturamtsleiter Klaus Meister an. „Der hat‘s wirklich drauf als Historiker.“

Heinz Gabriel (von links), Klaus Meister, Andreas Hördt und Christopher Virgil besprechen die Untersuchungsergebnisse auf dem alten Friedhof.

Foto: Çağla Canıdar

Doch den Geheimnissen des alten Friedhofs auf den Grund zu gehen, ist aufwendig. Zumal die Georgskapelle schon lange nicht mehr steht und sich die Spur vieler alter Grabplatten in der Region Gifhorn verliert.

Nicht zuletzt, weil Friedhof und Gotteshaus immer wieder Zeugen der Gifhorner Geschichte wurden, wie Uwe Gierz im Manuskript seines Buches beschreibt. Etwa 1810, als napoleonische Soldaten nach Gifhorn kamen. Die Georgskapelle war gerade erst aufwendig saniert worden: Die Lehmwände wurden durch Ziegelwände ersetzt und der Boden mit Steinplatten aus Velpke ausgelegt. Nichtsdestotrotz verwandelten die napoleonischen Befehlshaber das Gebäude kurzerhand in eine Schmiede – sie entkernten das Gebäude und machten aus dem gesamten Mobiliar Feuerholz. In den folgenden Jahrhunderten wurde oft saniert, renoviert, an- und umgebaut. Doch langsam wurde der Platz auf dem Gottesacker knapp.

Im Jahr 1891 wurde schräg gegenüber des alten ein neuer Friedhof angelegt – und als der 1958 eine eigene Kapelle bekam, verlor die Georgskapelle an Bedeutung. Die St. Nicolai-Gemeinde verkaufte sie 1970 an den Gifhorner Steinmetzmeister Friedrich Wolf – und der ließ sie abreißen. Wo sie einst stand, befindet sich heute das Floristikgeschäft Maja. An der Rückseite des Gebäudes befinden sich noch fünf Grabplatten aus der alten Kapelle. Auch die St. Nicolai-Kirche schmücken alte Grabsteine: Die Grabplatten des 1626 verstorbenen Superintendenten Martinus Vitus und seiner Frau sind im Kirchturm eingearbeitet. In der Gifhorner Schlosskapelle befinden sich ebenfalls alte Grabsteine.

Heinz Gabriel stieß auf alte Grabplatten in einem Brunnen in Kästorf. Die alten Steine wurden oft als Baumaterial wiederverwendet und sind über die gesamte Region rund um Gifhorn verstreut.

Foto: Heinz Gabriel

Aber Heinz Gabriel, ehrenamtlicher Beauftragter für die archäologische Denkmalpflege in Gifhorn, vermutet alte Grabplatten im gesamten Landkreis. Früher wurden sie nämlich gern als Baumaterial wiederverwendet. „Viele Gifhorner haben sich Platten weggeholt, die sind in alle Winde zerstreut“, meint Heinz Gabriel. Er durchforstete die Aller-Zeitungs-Jahrgänge 1871 bis 1956. „Im Sandsteinbrunnen in Kästorf sind Grabplatten aus der Georgskapelle eingearbeitet“, berichtet er. „Sie wurden auch als Uferbefestigung der Ise genutzt. Etwa an einem Grundstück an der Celler Straße, unweit der KURT-Redaktionsräume.“ Heinz Gabriel hat sie sich per Boot angesehen. „Der Steg zur Ise ist verwildert und verwuchert, da kommt man nur auf dem Wasser ran.“ Bei seiner Recherche stieß er auch auf einen Artikel vom 7. Dezember 1909 über einen weiteren Grabplattenfund in Flussnähe. „Beim Bau der Cardenap-Brücke wurden bei Erdarbeiten in der Tiefe Grabplatten gefunden“, erzählt Heinz Gabriel. „Die waren etwa von 1630. Heute sind sie leider verschwunden.“

Zum Glück kann die Arbeitsgruppe noch einer weiteren Quelle nachgehen: den Kriegerdenkmälern auf dem alten Friedhof. Im Jahr 1953 – da fanden dort schon längst keine Beerdigungen mehr statt – wurden drei Denkmäler vom Gifhorner Schillerplatz auf den alten Friedhof umgesetzt. Auf den drei zum Teil stark verwitterten, steinernen Schwergewichten stehen die Namen der Gifhorner, die in der Schlacht bei Langensalza, im Deutsch-Französischen Krieg und im Ersten Weltkrieg starben. Im darauffolgenden Jahr kam dann noch ein Gedenkstein für die Gifhorner Toten des Zweiten Weltkrieges hinzu. Außerdem wurde 2019 das Denkmal für die Weltkriegstoten des MTV Gifhorn von der Bleiche auf den alten Friedhof gebracht. An allen habe der Zahn der Zeit genagt, bedauert Klaus Meister. „Sie müssen konserviert und restauriert werden.“

Unzählige Namen sind in die Oberflächen der Kriegsdenkmäler graviert. Um die Schicksale hinter den Namen zu erfahren, durchsucht der Gifhorner Heimatforscher Günter Dröge alte Ausgaben der Tageszeitung. „Ich schaue, ob die Namen auf den Denkmälern in den Todesanzeigen auftauchen“, berichtet er. Unzählige Male ist er fündig geworden. „Es zeigt den Irrsinn und Wahnsinn des Krieges. Wie viele junge Menschen ihr Leben lassen mussten. Junge Leute, die ihr Leben noch vor sich hatten.“

Schriftlich festgehaltene Bezahlungen von Grabsteinen auf dem alten Friedhof fand Dr. Uwe Gierz in Kirchenrechnungsbüchern wie diesem aus dem Jahr 1667.

Foto: Uwe Gierz

Allerdings ist Gifhorns alter Friedhof nicht nur ein Ort der Trauer und des Gedenkens. Der alte Gottesacker hat eine Besonderheit. Es ist für einen Friedhof eher atypisch, mag grotesk oder gar morbide erscheinen. Aber in seiner jahrhundertelangen Geschichte hat sich das Gelände im Grünen gleichzeitig zu einem Ort der Erholung und der Lebensfreude entwickelt. Nicht nur, dass es heute mehr an einen Park, denn an einen Friedhof erinnert. „Im August 1942 gab es dort ein Sommerfest“, berichtet Heinz Gabriel. „Mit Ketten- und Kinderkarussell, Luftschaukel, Drehtisch und Schlaghammer.“ Davon berichtete dereinst die Tagespresse. Elf Jahre später gibt es sogar eine Meldung über den Bau eines Kinderspielplatzes inklusive Sandkiste auf dem alten Friedhof.

„Da ist es doch sehr wahrscheinlich, dass unter der Grasnarbe noch etwas versteckt ist“, meint Klaus Meister. „Ich hatte eine sehr laienhafte Vorstellung von einem Verfahren, mit dem man quasi in die Erde gucken kann.“ Darum habe der Gifhorner Kreis- und Stadtarchäologe Dr. Ingo Eichfeld Kontakt zur Technischen Universität Braunschweig aufgenommen. „Wir haben erstens Störungen des Erdmagnetfelds gemessen“, erklärt Professor Dr. Andreas Hördt, Leiter des Instituts für Geophysik. „Zweitens haben wir den Georadar verwendet. Der funktioniert wie ein Blitzer fürs Auto – nur in den Untergrund. Und drittens haben wir ein elektromagnetisches Verfahren angewandt. Damit findet man Metall.“

Die Untersuchungen sind abgeschlossen, die Daten am Computer ausgewertet und der Professor berichtet freudig: „Da sind tatsächlich Strukturen im Untergrund!“

An 20 Stellen befinden sich ein oder zwei Meter unter der Oberfläche metallische Objekte, die „größer als eine Cola-Dose, aber kleiner als ein Auto sind“, so Andreas Hördt. Davon seien vier besonders interessant. „Wir haben den Ort und die Tiefe grob abschätzen, aber die Größe nicht genau bemessen können.“ Der Bereich ist jedenfalls „definitiv nicht langweilig“.

Stehen also archäologische Grabungen auf dem Plan? „Na klar!“, betont Klaus Meister. „Herr Eichfeld stellt derzeit einen Antrag auf vier Grabungen – natürlich ist der da heiß drauf.“ Bisher habe es noch nie Grabungen auf dem alten Friedhof gegeben, erzählt der Kreis- und Stadtarchäologe. „Wir sprechen uns mit dem zuständigen Kirchenamt Gifhorn und dem Kirchenbauamt Celle ab“, hebt Ingo Eichfeld hervor. „Wir wollen die Totenruhe nicht stören.“

Die Kapelle vor ihrem Abriss 1971.

Foto: Repro: Stefan Koch

„Die interessanten Punkte liegen alle nah am Grundstück von Floristik Maja. Im vorderen Teil des Friedhofs, zur Straße hin“, so Klaus Meister. Gifhorns Stadt- und Kreisarchäologe präzisiert: „Wir wollen möglichst nah am Kern des Friedhofs graben, da wo früher die Kapelle war.“ Andreas Hördt „wäre gerne bei der Grabung dabei“. Der Professor hat angeboten, „bevor die Bagger kommen“, die Messungen sicherheitshalber zu wiederholen. „Herr Eichfeld wird kein Problem haben Arbeitskräfte zu finden“, resümiert Klaus Meister. Aber die müssen nicht nur eine Schaufel halten können, sondern auch mit Sachverstand und Vorsicht arbeiten. „Es gibt die archäologische Arbeitsgemeinschaft des Museums- und Heimatvereins. Das sind 10, 15 Leute, die sind Grabungen gewohnt.“

All die Quellenrecherche, Suche in Archiven und bald auch die Ausgrabungen speisen ein neu erstelltes, stetig wachsendes Wiki über den alten Friedhof – eine Online-Datensammlung, an der alle Beteiligten mitwirken. „Im Prinzip kann jeder Interessierte mitmachen, jeder der Kenntnis hat zum alten Friedhof“, sagt Ingo Eichfeld. Der Kreis- und Stadtarchäologe hat online eine Liste mit sämtlichen Namen erstellt, die auf den Gräbern und Denkmälern des alten Friedhofs zu entziffern sind. Vielleicht findet manch ein Gifhorner ja seine Vorfahren auf der Liste. „Wir sind für jeden Hinweis für die Nachforschungen sehr dankbar“, betont Klaus Meister. „Und auch die Arbeitsgruppe ist kein geschlossener Kreis“, fügt er einladend hinzu.

Man müsse den drei Funktionen des Friedhofs – historische Begräbnisstätte, Gedenkort und innerstädtischer Park – wieder gerecht werden, findet Kulturamtsleiter Meister. Im Frühjahr sollen die ersten Informationstafeln aufgestellt werden, die Arbeitsgruppe erarbeitet Konzepte für Führungen. Doch auch landschaftlich soll der alte Friedhof ansprechender gestaltet werden. Dann wird er uns beim Spaziergang im Sonnenschein seine Geschichten erzählen...

Viele weitere Infos im Wiki:
www.alter-friedhof.mhv-gifhorn.de

Kontakt für Interessierte:
Klaus Meister
Tel. 05371-88226
klaus.meister@stadt-gifhorn.de


Coole Leute gesucht – wir stellen ein!

Informiere Dich über Jobs in unserem Medienhaus! Wir sind auf der Suche nach tollen Menschen, die bei uns einsteigen möchten.

Mehr erfahren