Glauben & Zweifeln

Blackfacing – Schwarzsein ist keine Verkleidung: Warum wir unsere Sternsinger-Traditionen dringend überdenken müssen

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 16.01.2021
Blackfacing – Schwarzsein ist keine Verkleidung: Warum wir unsere Sternsinger-Traditionen dringend überdenken müssen

Mit einem Archivbild kündigte KURT die Sternsinger-Aktion in Gifhorn an – darauf zu sehen ein schwarz angemalter Caspar. Martin Wrasmann erläutert die ursprüngliche Idee. Doch für Blackfacing sieht auch er keinen Platz mehr.

Foto: Çağla Canıdar

Zu Beginn des neuen Jahres wären sie wieder unterwegs gewesen – Tausende Kinder und Jugendliche, die als Sternsinger den Segen an die Häuser der Menschen bringen und Spenden für Kinder in der Ukraine sammeln, auch bei uns in Gifhorn. Coronabedingt fand die diesjährige Aktion als „Sternsinger to go“ statt. Sie schafft eine Win-win-Situation für viele Beteiligte und zieht deshalb viele in den Bann, weil es eine Aktion von Kindern für Kinder ist, ausgelöst vom Kind in der Krippe in Bethlehem. Eine Aktion frei von aller Kritik, ja wäre da nicht der Umstand, dass einer der drei Heiligen Könige, als die die Sternsinger unterwegs sind, schwarz geschminkt ist und damit die Debatte über das Blackfacing auf den Plan ruft, wie geschehen nach der Veröffentlichung eines Fotos im vergangenen KURT.

„Wir empfehlen, die Kinder nicht zu schminken“, erklärten die Verantwortlichen der Sternsinger-Aktion. Der alte Brauch, dass sich ein Sternsinger der Gruppe schwarz schminkt, sei auf Darstellungen der Heiligen Drei Könige zurückzuführen: Auf diesen repräsentierten Caspar, Melchior und Balthasar die drei damals bekannten Erdteile Asien, Afrika und Europa, der schwarze König stehe für Afrika. „Dem lag der positive Gedanke zugrunde, dass Gott für alle Menschen Mensch geworden ist. Deswegen hat dieser Brauch auch nichts mit dem rassistischen Blackfacing zu tun“, heißt es weiter. Blackfacing bezeichnete die abwertende Darstellung dunkelhäutiger Menschen im 19. Jahrhundert auf Jahrmärkten und Volksbühnen. Als Sternsinger zeigten sie „Gesicht für eine Welt, in der jeder Mensch so angenommen und geachtet ist, wie er von Gott geschaffen wurde“.

Eine gute Begründung, so finde ich. Ist das nicht übertrieben, die Frage nach dem Blackfacing dieser Aktion überzustülpen, fragen jedoch andere. Und weiter: Darf nicht etwas, das als gute Tradition und auch gut begründet gepflegt wurde, weitergeführt werden? Muss denn alles und jedes mittlerweile auf den Prüfstand gesellschaftlicher Normierung gestellt werden?
Ich meine: Ja, es muss. Gerade auch die Maskerade zum Beispiel an Karneval zeigt offen, dass sich mit der Annahme einer anderen Hautfarbe Verniedlichung und auch Abwertung in den Alltag schleicht.

Wie sprechen, ohne zu verletzen? Wie handeln, ohne Grenzen zu setzen? Die Haut ist unser körpereigenes Grenzorgan. Es markiert den Übergang von innen nach außen. Und umgekehrt. Und die Haut ist das Organ, ohne das Blackfacing nicht auskommt. Hier wird die Maske aufgetragen und die Täuschung inszeniert.

Was wir als Person bezeichnen, stammt aus dem Maskenspiel des antiken griechischen Theaters. Das lateinische Wort personare meint nichts anderes als hindurchtönen. Vielfach werden durch Schminken, Tätowierungen et cetera Botschaften über die Haut transportiert – und es sollte sehr genau hingeschaut werden, was denn da so hindurchtönt. Dazu gibt es eine klare Ansage: „Schwarze Menschen sind nur aufgrund ihrer Hautfarbe alltäglicher Diskriminierung ausgesetzt. Blackfacing gelte als rassistisch, weil es die Identität und die Erfahrung schwarzer Menschen als Kostüm behandelt, das weiße Menschen beliebig an- und ausziehen können“, erklärte der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch, als das Wort „Blackfacing“ zum Anglizismus des Jahres 2014 gekürt wurde.

„Wir müssen uns gemeinsam überlegen: In welcher Art von Gesellschaft wollen wir leben? Finden wir es okay und normal, dass sich Menschen in einer freien Gesellschaft diskriminiert fühlen müssen, nur weil die Mehrheit das nicht als problematisch betrachtet?“, fragt Tahir Della von der Initiative schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). Er findet es schon „fast belustigend“, wenn Weiße etwas empört fragen, was man angesichts politischer Korrektheit denn noch dürfe: „Im Grunde genommen darf man eigentlich alles in der Gesellschaft. Und trotzdem ist es beispielsweise auch nicht akzeptabel, im Karneval antisemitische Kostüme zu tragen. Es ist nicht neu, dass Blackfacing rassistisch ist. Schwarze Menschen hat es schon immer gestört, nur haben sie kaum Gehör gefunden.“

Ich selbst war als Kind acht Jahre lang der König Melchior, damals haben wir die Frage nach dem schwarzen König nie aufgeworfen, und auch heute ist die Sternsinger-Aktion frei von jedem Rassismus, ob mit oder ohne schwarzen König. Doch wir sind mittlerweile versucht zu lernen und Gehör zu schenken. Die Blackfacing-Debatte zeigt auf, wie nützlich es für unsere gesellschaftlichen Diskurse sein kann, Gewohntes und Tradiertes neu zu überdenken, und, wenn nötig, den Erkenntnissen einer aufgeklärten, liberalen und diversen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts anzupassen – oder auch als gut Geprüftes zu bewahren.

Aber wenn es schon um die Maskerade geht: Beim Blackfacing ist es offensichtlich. Genauso problematisch finde ich die ungeschminkten Fratzen, die unser gesellschaftliches Klima vergiften – selbst farblos oder maximal braun teilen sie Menschen nach Geschlecht, Herkunft und Religion ein und werten diese in der Regel dabei ab.

Sie merken schon, liebe Leser/in, Leser*innen, Lesende, LeserIn, Leserinnen, Leser, es gibt viele Themen, über die wir uns im Hier und Heute neu verständigen müssen. Dazu mehr im nächsten KURT.

Martin Wrasmann, Pastoralreferent emeritus der St. AltfridGemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe bitte an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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