Glauben & Zweifeln

#allemalklarkommen - Wir sollten aufhören, uns reflexartig gegenseitig in irgendwelche Ecken zu treiben

Martin Wrasmann Veröffentlicht am 23.05.2021
#allemalklarkommen - Wir sollten aufhören, uns reflexartig gegenseitig in irgendwelche Ecken zu treiben

Martin Wrasmann ist ein großer Freund der Satire – doch auch dafür gelten Grenzen, wie er betont.

Foto: Çağla Canıdar

Riesenaufregung um den Aufstand der 53 Kunstschaffenden: Darf man unter dem Hashtag #allesdichtmachen politische Entscheidungen insgesamt, besonders aber in Zeiten einer Pandemie so aufs Korn nehmen? Liefers, Uhl, Möhring, Tukur und Co haben sich entschieden, ihre Prominenz zu nutzen, um auf für sie zweifelhafte Entscheidungen in der Pandemiebekämpfung hinzuweisen. Mit #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer werden nicht nur politische Entscheidungen, sondern auch die Medienberichterstattung teils sarkastisch kommentiert. Diese Aktion wirft somit knallhart die Frage auf: Wie weit darf Satire gehen?

#allemalneschichtmachen war eine der ersten Reaktionen derer, die in Kliniken und Intensivstationen am Limit ihrer Kräfte sind und unter ihrem Hashtag kreativ reagiert haben. Unter #manmussnochmalbeilanzsitzen wurde die Gesamtlage minutiös seziert und bewertet. Schnell wurde in diesem wie anderen Medienformaten klar und deutlich, dass #gutrecherchiertistdoppeltwahr eine Binsenweisheit guten Journalismus ist. Es stimmt schon nachdenklich, dass Künstler:innen sich so dermaßen instrumentalisieren lassen, oder, so die Unterstellung #meinnameisthase, sie sich wohl unzureichend um die Strategie und Intention dieser Aktion gekümmert haben. Hinter der Aktion steht nämlich unter anderem Bernd K. Wunder, der sich in der Vergangenheit als Corona-Leugner in Szene gesetzt („Covid-19 ist eine Grippe“) und Befürworter:innen eines Lockdowns als Mundschutzknappen und Corona-Nazis tituliert hat. Unter medialem Druck hat sich Bernd K. Wunder dann (#wundergibtesimmerwieder) von seinem #wasjucktmichmeingeschwätzvongestern distanziert. Diese Art von Zündeln und Löschen ist ja als eine Strategie einer bestimmten Partei hinlänglich bekannt – #daswarallesnichtsogemeint.

All das hätten Schauspieler Ulrich Tukur und all die anderen wissen oder mindestens bedenken müssen – #wesliedichsingdesgeistichbin. Mehr als das ist jedoch zu kritisieren, dass sich vor allem Kunstschaffende, die in der Corona-Zeit mehr oder minder in der Komfortzone leben, die Pandemiestrategie mit Hohn und Zynismus überziehen, ohne selbst einen Diskurs zu eröffnen, was denn die Lösungen sein könnten – #egomaneinnenwelt.

Was hat die ganze Aktion mindestens bewiesen: Ja – #ichdarffastallessagen und #allemaldagegenhalten sind verbrieftes Recht freier Meinungsäußerung, die in keiner Weise zur Disposition steht. Dem kann die Einsicht folgen, dass das, was man losgetreten hat, nicht besonders clever war. Gut, dass viele der Künstler ihre Beiträge wieder zurückgezogen haben. Doch #diegeisterdieichrief..., genau, die werde ich so schnell nicht wieder los. Jede und jeder sollte sich weitestgehend der Konsequenzen des eigenen Handelns bewusst sein, denn auch #alterschütztvortorheitnicht. Jedoch, und all das lehrt die Debatte, muss dieses plumpe Schwarz-Weiß-Denken endlich aufhören, mit dem wir uns reflexartig gegenseitig in irgendwelche Ecken treiben, aus denen dann keiner mehr rauskommt.

#allemalaneinentisch – und sich unterstellungsfrei den Zukunftslösungen widmen und einen Beitrag leisten für einen Diskurs, der eben nicht auf #twitterblasenbasiertenreflexen beruht. Also, was darf oder muss Satire leisten? Mindestens nicht die Wahrheit widerlegen, wohl #diefingerindiewundenlegen und damit auch die wunden Punkte treffen, pointierter #despudelskern herausarbeiten, zuspitzen und den Hang zu scharfen Worten vorantreiben, gegen aufgeblasene Langeweile antreten. Doch auch für die Satire oder den scharfen Einspruch gelten die Grundfesten der Humanität: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wie oft hat überzogene Satire schon ganze Biographien gebrochen.

Und doch soll auch die #leichtigkeitdesseins den Satirekurs durchziehen. #witzeüberanderemachtmannicht ist eine Grenzboje im Sturm der Leichtigkeit. In so aufgeregten Zeiten sollten #allemalklickmachen und sich den scharfen Blick bewahren – und vor allem nicht vergessen, dass gute Satire zum Ziel haben muss, sowohl zum Nachdenken als auch zum Lachen anzuregen, wie zum Beispiel mit dieser binnentheologischen, selbstkritischen Satire, wie sie auf der Seite TheoLeaks zu finden ist: Produktinnovation Gürtelhalter für den Heiligenschein.

Auf dieses Produkt hat die Christenwelt gewartet. Nach jahrelanger Entwicklungsarbeit erlangt der praktische Gürtelhalter für Heiligenscheine nun Marktreife. Mit dieser kreativen Produktinnovation gibt es nun endlich Linderung für die großen Herausforderungen besonders heiliger Christen in der Welt.

Im Gespräch mit TheoLeaks erläutert Produktentwickler Helge Schnallt die Vorteile der neuartigen Gürtelhalterung: „Wer kennt das nicht? In der vollbesetzten Straßenbahn, beim Einsteigen ins Auto – ständig ist der Heiligenschein im Weg. Welcher Christ wurde noch nicht beim Kinobesuch angefeindet, wenn der Heide hinter ihm keinen freien Blick auf die Leinwand hatte? Oder wem ist es noch nicht passiert, dass beim Zusammenstoß mit einem Bruder die Heiligenscheine tragischerweise vertauscht wurden?“

Nach den praktischen Halterungen für Handys und Taschenmesser kann sich der Christ von heute nun endlich auch seinen Heiligenschein komfortabel an den Gürtel hängen. Neben all den Vorteilen hat TheoLeaks jedoch eine Schwachstelle des Produkts ausmachen können: Wie sollen Christen in der Welt nun erkannt werden, wenn man nicht mehr an äußeren Merkmalen sieht, wie fromm sie sind?

In diesem Sinne: #kurtundgut

Martin Wrasmann, Pastoralreferent emeritus der St. Altfrid-Gemeinde in Gifhorn, schreibt die monatliche KURT-Kolumne „Glauben & Zweifeln“. Beipflichtungen wie auch Widerworte sind stets willkommen. Leserbriefe gerne an redaktion@kurt-gifhorn.de.


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