Engagement

50 Jahre St. Altfrid: Die katholische Gemeinde in Gifhorn will eine Kirche des Handelns bleiben

Malte Schönfeld Veröffentlicht am 22.04.2022
50 Jahre St. Altfrid: Die katholische Gemeinde in Gifhorn will eine Kirche des Handelns bleiben

Freudensprünge im Weinberg Gottes: Nicola Diederich und Alfons Laumann vom Leitungs- team feiern 50 Jahre St. Altfrid in Gifhorn.

Foto: Michael Uhmeyer

Im Weinberg Gottes werden kurz die Harken und Astscheren beiseite gelegt. Schließlich darf sich die Gemeinde der St. Altfrid-Kirche, die zusammen mit St. Bernward und St. Andreas in Meine einer Pfarrgemeinde angehört, über ein Jubiläum freuen. Am 30. April jährt sich die offizielle Kirchweihe, 50 Jahre St. Altfrid in Gifhorn. Das ist nicht nur ein Grund zum Feiern, sondern auch eine Gelegenheit zum Innehalten. KURT-Mitarbeiter Malte Schönfeld sprach mit Alfons Laumann und Nicola Diederich vom Leitungsteam über die Entstehung der Gemeinde, das ehrenamtliche Netzwerk und wie die katholische Kirche trotz Missbrauchsskandalen das erschütterte Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnen möchte.

Herr Laumann, 50 Jahre St. Altfrid in Gifhorn – das hört sich im ersten Moment nach einer ungewöhnlich kurzen Dauer für eine Kirchengemeinde an. Wie hat sich die Gemeinde gegründet?
Alfons Laumann: Gifhorn hat in den 1960ern und 70ern einen ziemlichen Zuwachs bekommen. Deswegen war eine zweite katholische Gemeinde neben der St. Bernward sinnvoll. Die Zugezogenen spielen da eine wesentliche Rolle. Wir haben damals ein Grundstück gesucht, was so groß ist, dass man sowohl eine Kirche als auch ein Pfarrhaus und einen Kindergarten platzieren kann. Das Grundstück am Pommernring bot sich also an. Der damalige Gründungspfarrer hatte sogar noch die Vorstellung, ein Altenheim zu bauen. Dazu ist es aus Platzgründen dann aber doch nicht gekommen.

St. Altfrid ist mehr als eine Kirchengemeinde. Die Caritas, die Kindertagesstätten, das Frauenhaus und der Gifhorner Betreuungsverein, obendrein das Café Aller und die Geflüchtetenhilfe – schier endlos ist das Engagement in Ihren Reihen. Was hat in den vergangenen 50 Jahren die größten Freuden bereitet?
Laumann: Die größten Freuden sind zweifellos die vielen Einrichtungen, die wir haben. Wir haben sehr bewusst das Motto „50 Jahre St. Altfrid in Gifhorn“ gewählt. Denn St. Altfrid hat als wesentliches Merkmal der Identität, dass wir viele Kontakte in Gifhorn haben und pflegen. Und damit sind auch die großen Freuden verknüpft. Der Kindergarten ist da ein Merkmal. Durch ihn erreichen wir viele Leute, die Eltern genauso wie die Kinder. Dazu kommen viele Einrichtungen in Gifhorn, an denen wir beteiligt sind. Daran erkennt man die tiefe Verwurzelung mit der Stadt.

Viele Einrichtungen bedingen auch ein großes Netzwerk. Was zeichnet dieses Netzwerk aus, Frau Diederich?
Nicola Diederich: Es gibt viele Glieder, aber der große Netzwerker ist Martin Wrasmann. Martin ist mit der Motor dieses Netzwerks. Gerade auch im ökumenischen Bereich, dass da viel passiert ist, dass man da immer am Ball geblieben ist. Natürlich waren auch die jeweiligen Priester dabei, die Gemeindemitglieder, die Pfarrgemeinderäte und Kirchenvorstände.
Es ist immer ein Zusammenspiel. Es gibt eine riesige Menge an Ehrenamtlichen, die immer für irgendwas zu haben ist. Sei es im spirituellen Bereich, um für die Kinder oder Messdiener was zu machen oder einfach nur seinen Fahrdienst anzubieten. Die Gruppen der Gemeinde, die das Ganze möglich machen, machen es uns erst möglich, dass wir uns so vielseitig aufstellen können.

Welche Bedeutung hat das Ehrenamt?
Laumann: Ich fange bei der Antwort mal andersrum an. Die Hauptamtlichen sind zentral im Netz und gruppieren um sich eine große Schar von Ehrenamtlichen, damit vielfältige Gruppen und Aktivitäten überhaupt möglich sind. Das Gemeindeleben hat schon einen Großteil der Identität durch die Ehrenamtlichen. Gerade weil wir bei uns keinen festen Pfarrer mehr haben, der die zentrale Figur ist, wurden mehr und mehr Aufgaben an die Ehrenamtlichen weitergegeben.

Wie dürfen sich die Gifhornerinnen und Gifhorner in der Stadt Ökumene vorstellen? Hat das immer gut geklappt?
Laumann: Es gibt im Laufe jedes Jahres mehrere Aktionen: gemeinsame Gottesdienste, beispielsweise im Rahmen des Altstadtfestes, traditionell Pfingstmontag, Himmelfahrt, Silvester, Erntedank. Aufgrund von Corona war das zuletzt nicht immer umzusetzen, aber auch da wird zukünftig wieder mehr möglich sein.

Ihr Pfarrer Thomas Hoffmann hat in seiner „Stellungnahme zur aktuellen kirchlichen Situation“ deutliche Worte im Zuge der Missbrauchsskandale gefunden. Er schrieb: „Wir als Kirche sind so tief gefallen. Dies hat zur Folge, dass wir in den nächsten Jahrzehnten in ethisch-moralischen Fragestellungen kein ernstzunehmender Partner in unserer Gesellschaft sein werden.“ Wie kann die katholische Kirche das Vertrauen der Gläubigen, aber auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnen?
Laumann: Für uns als lokales Leitungsteam ist primär, was wir vor Ort machen. Um sich ganz konkret mit dem Thema auseinanderzusetzen, haben wir eine Arbeitsgruppe gebildet, die ein Schutzkonzept erarbeitet hat. Wir haben uns angeschaut: Wie ist die Gebäudesituation, wie sind die Bereiche gestaltet, in denen sich tagsüber die Kinder aufhalten. Wo müssen wir mehr Transparenz und Offenheit schaffen, um ein freundlicher und vertrauenswürdiger Ort zu sein, wo Leute gern ihre Kinder in den Kindergarten schicken.
Wir sind keine klerikale Kirche, die sich von einem Pfarrer ihre Berechtigung holt. Wir sind eine Kirche der Beteiligung. Gerade auch durch unser Netzwerk an Ehrenamtlichen. Ohne sie würde St. Altfrid nicht existieren. Aber auch in diesem Punkt gilt: Wir schulen alle Haupt- und Ehrenamtlichen als eine der wenigen Gemeinden im weiten Umkreis alle zwei Jahre. Das ist ein immenser Aufwand, wenn 300 bis 400 Ehrenamtliche geschult werden. Damit haben wir eine große Wehrhaftigkeit.
Unsere Überlegungen reichen so weit, die Kinderbeichte abzuschaffen, damit ein Priester nicht mehr mit einem Kind in einem isolierten Raum sitzt.
Diederich: Und wir haben unsere Stärke immer behalten als offene Gemeinde für Geflüchtete. Das Thema Armut und Kampf gegen Armut war immer primär auf der Tagesordnung. Und ich glaube, der Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche insgesamt, den unser Pfarrer in einer brutal guten Weise beschrieben hat, als Selbstreflexion, kann auch hier heißen: Wir haben diesen Vertrauensverlust in der Gesellschaft der Stadt nicht, so ist es zumindest meine Wahrnehmung, wie ihn die katholische Kirche insgesamt in der Bundesrepublik hat.

Wofür möchte St. Altfrid weiterhin einstehen, wofür vielleicht neu einstehen?
Laumann: Die Grundwerte von St. Altfrid sind Offenheit und Engagement für die Menschen. Das sind Werte, die sich im Laufe der Zeit wandeln, weil sich auch die Anforderungen an eine Kirchengemeinde wandeln. Die Menschen ändern sich. Hinzu kommt der Zuzug aus verschiedenen Regionen. Da muss eine Gemeinde schauen: Was sind die Bedarfe? Das trägt zum Wandel der Aktivitäten und des Außenbilds der Kirchengemeinde bei. Und doch sind wir immer darum bemüht, an unseren Grundwerten festzuhalten.

Die Bewegung Maria 2.0 fordert nicht nur die Aufklärung der Missbrauchsskandale, sondern auch eine bessere Integration der Frauen in der Kirche – auch in Verantwortung. St. Altfrid unterstützt diese Forderungen.
Laumann: Ja, es gibt eine Gruppe, die sich mit diesen Themen auseinandersetzt, weil es Themen sind, die uns allen am Herzen liegen. Mit diesen Ansätzen wollen wir die Weiterentwicklung der Kirche fördern. Manche Forderungen haben wir bereits umgesetzt. Wir wissen aber auch, dass das andernorts nicht der Fall ist.
Diederich: Genau, wir feiern eine Ausstellung in St. Bernward. Sie zeigt Bilder einer Künstlerin, die die Päpste der Vergangenheit mit weiblichen Gesichtern darstellt. Aus dem Johannes-Fest machen wir das Johanna-Fest. So wollen wir die Rolle der Frau in der Kirche feiern.

Stichwort lokale Kirchenentwicklung: Wie kann sich St. Altfrid zwischen Fortnite, Netflix und Spotify gerade bei jungen Menschen behaupten?
Diederich: Ich würde gern alles durch die rosarote Brille sehen, aber es ist schon schwierig. Gerade in der Corona-Zeit war es doppelt schwierig. Kinder kommen noch gerne mit ihren Eltern mit: Wir haben eine Kinderkirche, die ganz toll läuft; wir haben eine Jugendgruppe, die sich weiterhin trifft. Die Kinder kommen so spielerisch mit dem christlichen Glauben in Kontakt. Die Vorbereitungen zur Erstkommunion und zur Firmung werden gut getragen. Und wir haben die Pfadfinder, einen starken Jugendverband in der Stadt mit mehr als 100 Mitgliedern.
Aber zwischendurch ist es schwierig, gerade wenn die jungen Leute wegziehen. Der Input ist einfach zu groß.

Wir leben gerade in einer Welt-lage, die äußerst bedrückend sein kann. Sie haben es beide gesagt: St. Altfrid stand auch immer dafür, Geflüchteten einen Raum zu geben und damit auch eine Stimme. Was ist das Tröstliche, das die Gemeinde in dieser Zeit in die Welt senden kann?
Laumann: Wir stellen fest, dass gerade jetzt – in der Zeit, wo vieles, was lange konstant und sicher galt, ins Wanken geraten ist – der Bedarf der Menschen nach gemeinsamem Gebet sehr groß ist. Dass der Bedrücktheit und Ungewissheit Platz gegeben wird, dass die Leute es äußern, dass sie darüber sprechen. Oder sei es, dass sie nur eine Kerze anstecken. Wir haben neben dem Altar einen großen Kerzenleuchter stehen, wo die Leute eine Friedenskerze anstecken und sich zum Gebet noch in der Kirche aufhalten können. Wir geben diesen Bedürfnissen einen Raum.
Nicht zu vergessen: Wir sind an der Initiative beteiligt, durch die das ökumenische Friedensgebet entstanden ist, welches montags in der St. Nicolai stattfindet.

Kommen wir zurück auf das Jubiläum: Wie feiert St. Altfrid nun sein 50-jähriges Bestehen?
Laumann: Wir feiern das ganze Jahr! Los ging‘s mit dem Neujahrsempfang to go – den haben wir erfunden. Nach dem Gottesdienst haben alle eine kleine Sektflasche bekommen mit ein bisschen Gebäck dran, um zu Hause auf St. Altfrid anzustoßen – auf eine etwas unkonventionelle Art.
Unser Hauptfeiertag aber bleibt der Tag des 50. Kirchweihfests am 30. April. Da wird’s einen Gottesdienst geben, im Saal werden die alten Filmaufnahmen von Alfred Bzdak gezeigt. Außerdem haben wir die Mitglieder nach alten Fotos gefragt – thematisch sortiert soll es dazu eine Fotoausstellung geben. Unsere Festschrift, in der viel Arbeit steckt, ist ein weiteres schönes Element des Jubiläumsjahres. Und gegen Ende des Jahres soll es einen Jubel-Gottesdienst geben, zu dem alle Sakramentsjubilare eingeladen sind, auch die Goldkommunionkinder, die zugezogen sind.
Diederich: Und zu unserem Jubiläumstag am 30. April findet traditionell der Tanz in den Mai statt. Das haben wir immer gefeiert – und so wird es auch in diesem Jahr sein.

Hat Papst Franziskus schon eine gesegnete Flasche Schampus geschickt?
Laumann (schmunzelt): Angekommen ist noch nichts. Die ist bestimmt noch auf dem Postweg.

50 Jahre St. Altfrid: Großes Fest in Gifhorn
Zur Feier des 50. Kirchweihfestes lädt die St. Altfrid-Gemeinde, Pommernring 2, in Gifhorn ein. Für Speisen und Getränke ist gesorgt.

Samstag, 30. April
16 Uhr: Festgottesdienst
17.30 Uhr: Begegnung und Fotoausstellung
20 Uhr: Tanz in den Mai

Anmeldung: Tel. 05371-12864 oder pfarrei@altfrid-gifhorn.de


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